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VOM MITLEID ZUR FREIHEIT

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Mit der Erfindung der Dampfmaschine und dem Anbruch des Eisenbahnzeitalters trat die Industrialisierung auf den Plan und veränderte mit einem Schlag die Volkswirtschaft. Aus dem begüterten Bürgertum und dem ehrbaren Handwerkerstand kommend, führten die Industrieherren ein Feudalsystem ein, das eine gewisse Ähnlichkeit mit der Leibeigenschaft der Bauern aufwies. Diese neuen Machthaber stiegen ohne Praxis, bar jeder Moral und ganz ohne Tradition in einen neuen Beruf ein. Damals gab es die Kinderarbeit, den 16 bis 18 Stundentag, keinen Urlaub, kein Mutterrecht, keine Krankenkasse und auch sonstige spätere Errungenschaften wie die Altersversorgung u. a. nicht.

Das Arbeiterelend, das in grauen unpersönlichen Mietskasernen wucherte, rührte selbst die fern von diesen Dingen stehende liberalistische Weltanschauung. Diese Schriftsteller hatten jedoch bestenfalls Mitleid mit den Arbeitnehmern. Mehr nicht. Aber dieses dichterische Mitleid war schon viel; es war der Funke, an dem später die Fackel der Freiheit entzündet werden konnte.

Da war der aus Ungarn stammende Karl Isidor Beck, der 1879 in Wien starb. Er war der Sänger der Armen und Unterdrückten. In einem Gedicht aus dem Jahre 1844 schrieb er vorwurfsvoll:

„Da schau her, verzweifle, Rabenvater!

Wer zeugen will, muß auch versorgen wollen;

wir spielen Sklaven auf dem Welttheater und du versprachst uns Herrn, und Bürgerrollen.

Ein junger Dichter, bereits deutlicher und mit dem 1. Mai schon bekannt, schrieb damals:

„ … Ein rotes Fähnlein flattert von der Barke Stoßt ab! Vom andern Ufer winkt Erlösung!

Altösterreich wirft von sich die Greisenkrücke,

Der erste Mai führt uns zu jungem Glücke.”

Der Salzburger Dichter Ferdinand Sauter, Wahlwiener, schwärmte mit vielen anderen im Vormärz für die Freiheit. Im Sturmjahr 1848 besingt er sie mit den Worten:

„Das Äthermeer, des Opfers Rauch, die Menschenbrust durchweht dein Hauch.

O Freiheit, laß zu deinen Füßen mich deinen Sternenmantel küssen.”

Auch die Arbeitermutter läßt der Dichter Anton Wildgans in seiner „Armut” zu Wort kommen. Etwa, wenn sie die inhaltsvollen Worte spricht:

„Und wenn ich einmal für mich was begehrte, war immer ein Grund da, der es verwehrte.”

Wildgans erzählt auch von einem „armen Mädchen”, das in einem sonnenlosen Zimmer eine armselige Kindheit verbrachte, dort, „wo trübe der Tag ist und stickig die Nacht”.

Und Anastasius Grün, recte Graf von Auersperg, wurde schon wegen seines „Spaziergängers” und der freiheitlichen Töne, die darin vorkamen, von der Polizei verfolgt. Er reihte sich tapfer ein in die Reihe der Freiheitssänger und schrieb in einem Gedicht:

„Freiheit ist die große Losung, deren Klang durchjauchzt die Welt;

Traun, es wird euch wenig frommen, daß fortan ihr taub euch stellt!”

Auch unser steirischer Volkserzähler Peter Rosegger schlug in diese Leier und trat gleich nach der l.-Mai-Feier der Arbeiterschaft für diese ein. In seinem „Heimgarten” erzählt er von dieser ersten l.-Mai-Feier: „Ich war überaus glücklich, daß die Arbeiterschaft diesen Tag so würdig beging, daß sie es verstand, den Weltfeiertag zu einem wahren Ehrentag für sie zu machen…”

Hermann von GiIm, der 1864 in Linz starb, verfaßte 1841 ein Gedicht unter dem Titel „Arm und reich”. In der letzten Strophe heißt es da, sehr vorwurfsvoll an die Reichen adressiert:

„Es sprach das Volk: ,Ihr trinkt aus gold’nen Schalen, uns aber dürstet, wollt uns nicht vergessen!’

Drauf sprachen sie: ,So lindert euch die Qualen und trinkt die Tränen, die wir euch erpressen!’ “

Der Lyriker Ferdinand von Saar stand 1855 unter dem Eindruck der ersten Eisenbahnen — ein Jahr vorher war die Semmeringbahn eröffnet worden! Und so spricht der Lyriker in einem Gedicht alle Bedrängten an:

„Doch vielleicht erfüllt schon morgen, morgen sich die große Zeit, die da enden wird die Sorgen einer schnöden Dienstbarkeit.”

Ada Christen, selbst aus dem Wiener Arbeiterstand und mit einem Adeligen verheiratet, war eine mutige Vorbotin der Arbeiterdichtung. Sie, die im Arbeiterbezirk Favoriten ihre letzte Ruhestätte fand, weil sie unweit der Arbeitersiedlungen auch starb, schrieb 1878 im Gedicht „Die Not”:

„All eure romantische Seelennot schafft nicht so herbe Pein, wie ohne Dach und ohne Brot sich betten auf einen Stein.”

Einer aber, der die Not der Bedrückten schon besser verstand, weil er sie selbst erlebte und in seiner Autobiographie „Das rauhe Leben” genau beschrieb, war Alfons Petzold. 1912 vergleicht er die Fabriksarbeiter mit „Teilnahmslosen”. Und so nennt er auch sein Gedicht, in dem es in der zweiten Strophe heißt:

„Sie sind nicht Menschen mehr, sind nur Maschinen, die in den vorgeschrieb’nen Stundenkreis sich drehen müssen, ohne daß von ihnen nur einer seine Kräfte zu schätzen weiß.”

Gerade diesem Gedicht kommt heute, im Zeitalter der Automatisierung, erhöhte Bedeutung zu. Auch Josef Weinheber, der im Hyrtl’schen Waisenhaus in Mödling aufgezogen wurde, ahnte etwas von der seelenlosen Arbeit. Wie sonst hätte er schreiben können:

„Wir Hände millionenmal, in Werkstatt und Maschinensaal den Griff zu machen hingestellt; gleich reich, gleich arm in aller Welt.

Gedungen für den Bissen Brot, aus Nöte dienend einer Not…”

Wie groß die Not jener Tage gewesen sein muß, beweist die Tatsache, daß die soziale Dichtung auch Volksliedtöne anschlug. So sang Johann Sioly auf der Pawlatschen: „Während im Salon, im warma, mancher scherzt und singt und lacht, liegt am Stufen unt’n ein Armer, krank und hilflos in der Nacht.”

Und als im alten Wien die Zeugmachergesellen streikten, nahm sich ihrer der Bänkelsänger Hanner an. Er sang:

„Man weiß doch, wie die Zeiten sind,

Fast alles klaget sich; Und viele haben Weib und Kind,

Wer nähret sie und mich?

Da wird der Mensch oft desparat,

Ihm fehlet die Geduld —

Sagt, wer die meiste Ursach’ hat?

Ihr Herren habt die Schuld!”

Für die damalige Zeit, da die Jakobinerfurcht durch Österreich geisterte, war dies ein mutiges Lied und rührte vielleicht erstmals an das soziale Gewissen.

Auch die Dichterin des „Grimmingtor”, Paula Grogger, ließ sich von der sozialen Dichtung mitreißen und schildert im Gedicht „Die Verwahrlosten” das Leben der Vorstadtkinder. Da heißt es:

„Doch auch solche gibt’s, die draußen stengan, weils geboren sand aus wildem G’setz,

Gassenkinder. Ihre Handeln glängen gierig durch das hohe Gatternatz…”

Die Vorboten der Arbeiterdichtung wurden später von profilierten Schriftstellern, die meist aus dem Arbeiterstand kamen, abgelöst, wie Alfons Petzold, der in Kitzbühel starb, oder Rudolf Hawel, dessen Hauptwerk „Mutter Sorge” in Wien zur Aufführung gelangte, Karl Adolph, der Sänger der

Not der Wiener Arbeiter, sowie der aus Ungarn stammende Max Winter, dessen Feuilletons und Reportagen echten sozialen Tiefgang besitzen. Auch Ferdinand Hanusch, der Gewerkschaftsmann, schrieb als ehemaliger Textilarbeiter für die Arbeiter und setzte vielen bekannten Österreichern, so dem Bauernphilosophen Konrad Deubler, ein Denkmal. Hierher gehören auch der vom Gründer der „Furche” geschätzte und geförderte Franz Josef Krainhöfer, der uns mit seinen Erzählungen in die Welt der Fabriken und Werkhallen führt und nicht zuletzt Luitpold Stern, Hans Winterl, Heinrich Holek und Karl Kaniak. Der Letztgenannte war nicht nur Arbeiterschriftsteller, sondern auch Simmeringer Heimatforscher.

Dir Vorboten der österreichischen Arbeiterdichtung waren Wegbereiter für jene, die bereits die ersten Früchte ernten konnten. Und wenn heute der Arbeiter in Österreich einen Lebensstandard einnimmt, von dem die vorangegangenen Generationen nicht einmal zu träumen wagten, so waren an der Erreichung dieser sozialen Errungenschaften die Dichter und Schriftsteller des sozialen Gewissen, die die Not und die Armut, die Ungerechtigkeit und das Elend aufzeigten, maßgeblich beteiligt.

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