Vom Sport und vom Hohn

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Ein alter Brauch darf nicht verwesen, die letzte Stund’ wird vorgelesen!“ Also, liebe Freunde der Deutsch-Stunde - "ja, Sie beide meine ich!“ -, hingesetzt und zugehört. Doch das, was früher so selbstverständlich war, ist heute gar nicht mehr so einfach. Denn was mag es denn sein, das eine möglichst große Menge an Menschen gemeinsam hören möchte, nicht nur so irgendwie, sondern aus ganzem Herzen und mit weit offenem Ohr? Literatur? Bäh. Gedichte? Ächz. Also ein Drama, mit verteilten Rollen, etwa … Ach so, das auch nicht. Was darf es denn sein? Alles klar, Sport. Ein Sportmärchen muss her! Mühelos übertrumpfen Kommentatoren die Kabarettisten.

Oder ist es einfach nur schön, wie das Thema Nummer eins - also natürlich Fußball - alles andere überlagert, wie jede ernsthafte Auseinandersetzung mit europäischen Situationen und Befindlichkeiten unweigerlich ins Elferschießen mündet, ja, angesehenste Kommentatoren amateurpsychologisch dahergscheiterln und die Meinung verbreiten, ein Sieg Griechenlands würde dem ganzen Volk kollektiven Auftrieb geben und daher die österreichische Finanzsituation quasi über die Bande verbessern?

"Damals, als Österreich Europameister war …“

Also begänne ein Sportmärchen der Jetztzeit mit den Worten: "Damals, als Österreich Fußballeuropameister war …“ Das Damals liegt in der Zukunft, doch ist die Zukunft nichts anderes als das Gestern des Übermorgen. Merke: "Torwärts, und nicht vergessen, worin unsre Stärke besteht!“ Aus dem alten Solidaritätslied wird ein Chor für Solisten, der Konsens über die Schönheit gemeinsamen Spracherlebens ist weitgehend aufgekündigt; wo Reservate bestehen bleiben, wird es bald geführte Besuchergruppen geben. Der Rest wird zufrieden sein, in der letzten Stunde die Kopfhörer auf den Ohren zu haben und jeder für sich etwas Einmaliges zu hören. Es existieren wehmütige Berichte vom Gesang der Seekühe, die nicht ahnten, dass sie bald Gegenstand der Erinnerung sein könnten. Die Seekühe sind vorbei, ihr Gesang ist verweht. Verweht und verwest - nur ein Buchstabe Unterschied. Na ja, vielleicht wird ja doch noch vorgelesen. Und Sportmärchen enden mit "… es wird einmal …“.

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