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Vom Subtilen zur Satire

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Auf einem Zettel, der im Arbeitszimmer von Marguerite Duras, der Autorin von „Hiroshima, mon amour”, an der Wand hängt, stehen Worte von Robespierre. Sie besagen, daß man, um eine Mission zu erfüllen, genau das Gegenteil dessen tun müsse, was vordem getan wurde. Befolgt Marguerite Duras diese Aufforderung in dem Schauspiel „Ganze Tage in den Bäumen”, das derzeit im Akademietheater zu sehen ist?

Eine alte Frau, die in den Tropen eine Fabrik aufgebaut hat und reich geworden ist, kehrt für kurze Zeit in ihre Heimat zurück, um vor ihrem Tod nochmals ihren Sohn Jacques zu sehen. Sie strotzt von Vitalität und Energie, haßt aber die Leute, die arbeiten. Der 45jährige Sohn dagegen, der in einem Nachtlokal die Gäste empfängt und mit dem Animiermädchen Marcelle lebt, hat nichts erreicht, ist völlig inaktiv, faul, als Junge verbrachte er „ganze Tage in den Bäumen”, statt zur Schule zu gehen. Aber die Mutter ist stolz auf ihn, denn etwas von seiner Art steckt, allerdings längst verkapselt, auch in ihr: Mit fünfzehn Jahren fand man sie eingeschlafen irgendwo in den Feldern.

Das Stück führt fast ausschließlich die psychologische Situation zwischen Mutter und Sohn vor. Diese Ausrichtung ordnet es dem früheren Theater • zu. Da die Szenen aber nahezu handlungslos sind — die Mutter läßt sich, ehe sie abreist, von ihrem Sohn bestehlen, Marcelle verläßt Jacques, das ist alles —, da das Stück fast monologisch von den Erinnerungen, Hoffnungen, Gefühlsvorstellungen der alten Frau in überaus subtiler seelischer Durchzeichnung beherrscht wird, wirkt es gestrig und heutig zugleich.

Im Anschluß an das Schauspiel der Duras wird nun, nach Jahren, der Einakter „Der Liebhaber” von Harold Pinter auch in Wien gespielt. Pinter, der seine ersten Stücke in der Nachfolge von Beckett und Ionesco schrieb, bietet hier Boulevardtheater etwas gehobener Art. Er führt eine Fiktion vor: Fallweise kommt Richard zu seiner Frau Sarah als ihr imaginierter Liebhaber Max, sie spielt hin und wieder ihm, gegenüber eine Dirne. Die Untreue ist da keine tatsächliche Untreue, nur eine, die sie sich gegenseitig vorspiegeln. Das ist erotische Schauspielerei aus dem Wunsch nach Abwechslung, erotische Schizophrenie, bei der die EiifersbW weil ltar W-?TeMth! betrifft. Das Raffinement der Sinne bedarf hier der Imagination als Agens. Erotik ohne Eros.

Das erste Stück inszenierte Kurt Meisel mit wechselndem Rhythmus mit Parlando und Fortissimo, mit Pausen nahezu wie ein Musikstück. Alma Seidler bietet als Mutter alle Facetten dieser Rolle. Das Hemmungslose der Liebe zum Sohn, das Quietschvergnügte und Melancholische, das Vornehme und, im Schwips, Ordinäre. Eine Spitzenleistung. Alexander Trojan ist als Sohn ganz haltloser, alternder fescher Kerl. Ebenfalls durch Haltlosigkeit, aber durch resignierende, kennzeichnet Inge Brücklmeier die Marcelle. Den Einakter inszenierte Meisel als ein

Ballspiel der Worte. Bei Annemarie Düringer spürt man eine vom Intellekt her gelenkte hellwache Erotik. Albert Rueprecht erweist als Richard herbe Männlichkeit. Einfallsreiche Grundrißlösungen sind ein Vorzug der Bühnenbilder von Lois Egg.

Den 32jährigen Prager Dramatiker Vaclav Havel kennen wir durch fast kabarettistisch wirkende Satiren auf die Bürokratie in totalitären Staaten, die sie ad absurdum führen. In dem Stück „Von der Schwierigkeit, sich zu konzentrieren”, das im Kleinen Theater der Josef stadt aufgeführt wird, zeigt sich bereits eine Wandlung der dramatischen Intention.

Noch gibt es da eine bürokratische Maßnahme, der Wissenschaftler Huml wird durch eine Frau Dr. Bal-

carkova mit Hilfe eines Computers getestet, der aber dauernd nicht funktioniert, was billig spaßhaft wirkt. Huml widerlegt das Prinzip dieser ihrer Untersuchungen, worauf die Balcarkova sich ihm nach einem Nervenzusammenbruch an den Hals wirft und voraussichtlich seine Geliebte wird. Hiezu kommt, daß ihn zwei Frauen bedrängen, die Gattin, die seine bisherige Geliebte verabschiedet sehen möchte, und Renate, im Streben, sich an ihre Stelle zu setzen. Fazit: Die Satire wirkt flach und wird mit schwankartigen Belanglosigkeiten gestreckt.

Da nun hat sich Havel etwas dramaturgisch Neues ausgedacht. Er führt die Begebnisse, die sich in Huml bündeln, nicht in chronologischer Reihenfolge vor, sondern wirft sie völlig durcheinander, manches Spätere sieht man zuerst. Wozu? Titel bezieht sich wohl auf den Zuschauer, der sich offenbar nicht konzentrieren soll, da Havel- Nichtigkeiten mit leichter Hand serviert. Gedankliche Stellen Wirket!;’ obwohl notwendig, als Fremdkörper, da fehlt die Satire. Ein ständiges Auf und Zu der Türen, ein unentwegtes Herein und Hinaus der Figuren in den 27 Szenen soll Spaß bereiten. Es ermüdet auf die Dauer.

Mit Präzision läßt Heinrich Schnitzler als Regisseur das permanent Bewegte der Vorgänge ablaufen. Alfred Böhm erweist als Huml die bewährte Komik seines Phlegmas, aber weder den Wissenschaftler noch die Anziehung auf die Frauen glaubt man ihm. Unter den weiteren Mitwirkenden bieten besonders Gretl Elb als Gattin und Dietlind Macher als Sekretärin einprägsame Gestalten.

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