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VOM UNERFÜLLTEN SEIN

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Es handelt sich jetzt darum, in diesem Haus, wo ich den Schlaf wiederzufinden trachte, mein Dasein abzuwickeln. Ich habe jeden Briefwechsel mit Paris eingestellt. Dort öffnet man die eingehenden Briefe und schickt mir nur die allerwichtigsten zu. Ich stehe mit niemand in Verbindung. Mein Nesselfieber hingegen macht sich wieder bemerkbar Ich beobachte erneut, daß es sich gern pudelwohl fühlt und von meinem Dahinvegetieren profitiert. Arme, Brust, Stirn brennen wie Feuer. Ich werde wohl unheilbar bleiben, da dieses Übel von gleicher Herkunft ist wie das Asthma, und so kann ich lediglich mit einem Auf und Ab rechnen. Ich gehe der einst vielgeliebten Sonne aus dem Weg. Im Schatten folge ich ihrer Bahn. Die übrige Zeit schließe ich mich ein. Ich lese und schreibe. Die Einsamkeit nötigt mich. Robinson und seine Insel zu sein und mich selber zu durchforschen. Ich verwende darauf nicht Einsicht, die mir abgöht, wohl aber Beherztheit, die mir zu eigen ist und die mir die mangelnde Klugheit ersetzt.

Unfähig, einer vorgeschriebenen Bahn zu folgen, gehe ich völlig planlos vor. Ich kann nicht lange einer Idee nachlaufen. Ich lasse sie entwischen, wenn es darauf ankommt, sie anzu- pirsęhen und zu überrumpeln. Mein ganzes Leben lang oblag ich der Gedankenjagd auf diese Art, da mir’s nun einmal nicht besser gelingen will. Man täuscht sich, wenn man meine Zufallstreffer auf Geschicklichkeit zurückführt und es für Strategie hält, wenn ich einen Bock schieße. Kein Mensch war jemals von so viel Unverständnis, so viel Liebe und so viel Haß umgeben, und wenn das Bild, das man sich von mir macht, alle verdrießt, die von Ifern über mich urteilen, so gleichen diejenigen, die sich mir nähern, der Belle in meinem Film, die vor dem Tier zaudert, bis sie das gütige Geschöpf entdeckt, das nichts anderes im Schilde führt, als ihr Herz zu rühren.

Ich darf sagen, daß meine schönsten Freundschaften eben diesem Kontrast entsprangen.

Die Legenden, die mich umstellen, halten die Dummköpfe von mir fern. Der Intelligenz bin ich verdächtig. Wer zwischen beiden bleibt mir gewogen? Die fahrenden Leute, die mir gleichen, ihren Standort öfter wechseln als ihr Hemd und ihr kurzes Aufenthaltsrecht jeweils mit einer Schaustellung erkaufen. Daher zeigt sich meine Einsamkeit nie als Schweigsamkeit. Nur zeige ich mich erst bei der Parade oder zur Stunde meines Auftritts. Dafür entschuldige ich mich bei allen, die mit mir im Zirkuswagen hausen und die darauf schließen mögen, daß ich ihnen das Ärgste zugedenke, denn sie bekommen nur meinen Unstern zu Gesicht.

Mich plagt, wie alle Vagabunden, der Trieb nach einem eigenen Dach überm Kopf. Ich suche eines auf dem Land. Finde ich’s, so will mir’s der Besitzer nicht verkaufen, weil ihm angesichts meines Überschwanges die Augen aufgehen, oder aber er verlangt mir zuviel dafür ab. (Nach der Drucklegung dieser Seiten, habe ich das Haus erstanden, das mich erwartete. In ihm sehe ich die Druckfahnen durch Fern den Klingeln und Schellen des Palais Royal, ist es meine Zuflucht.) Es führt mir die prachtvolle absurde Hartnäckigkeit des pflanzlichen Daseins beispielhaft vor Augen. Dort bringe ich Ordnung in meine Erinnerungen an frühere Landaufenthalte, als ich so von Paris träumte, wie ich später in Paris darauf sann, die Flucht zu ergreifen. Die Flut der Wassergräben und die Sonne bemalen meine Zimmerwände mit ihrer gleitenden, gleisnerischen Marmorierung. Und überall jubelt der Frühling.

In Paris treibe ich nichts Passendes auf. Die Wohnungen, die man mir anbietet, schrecken mich ab. Ich möchte, daß sie mirzurufen: „Ich habe dich erwartet." — Gewohnt, mich aufs Unverhoffte zu verlassen, wurzle ich in meinem Schlupfwinkel ein.

„Ich spüre eine gewisse Schwierigkeit zu sein “ Das gab der hundertjährige Fontenelle zur Antwort, als er im Sterben lag und der Arzt ihn fragte: „Was spüren Sie, Herr Fontenelle?“ Nur war eben seine Schwierigkeit die der letzten Stunde. Die meine datiert von eh und je.

Es muß wie im Traum sein, wenn man sich in seiner Haut wohlfühlt. Ich trage von Geburt an eine schlecht verstaute Fracht in mir herum. Ich befand mich niemals im Lot. So lautet die Bilanz meiner Selbstprüfung. Und statt mich bei dieser unseligen Beschaffenheit in meiner Stube zu vertäuen, trieb ich mich auf allen Wellen herum. Seit meinem fünfzehnten Lebensjahr habe ich nicht eine Minute lang ausgesetzt Immer wieder begegne ich dem einen oder dem anderen, der mich duzt und den ich nicht wiedererkenne, bis dann eine unbegreifliche Hand den ganzen Schauplatz eines längst vergessenen Vorfalls, bei dem der Betreffende seine Rolle und ich die meine spielten, unversehens dem Dunkel enthebt. Ich war in eine solche Menge von Vorgängen verstrickt gewesen, daß sie mir nicht nur einzeln, sondern schockweise dem Gedächtnis entfallen. Eine Grundwelle wirbelt sie an die Oberfläche mit „allem, was darinnen ist“, wie die Bibel sagt. Unglaublich ist, daß lange Perioden, die man bis in die kleinsten Umstände hätte durchleben sollen, so wenig Spuren hinterlassen. Daher kommt’s, daß ich beim Durchwühlen meiner Erinnerungen immer zuerst eine Figur ausgrabe, an der noch die Erde haftet. Wenn ich dann den Daten, Aussprüchen, Orten, Vorgängen nachspüre, verwechsle ich Zeit und Stätte, bringe alles durcheinander, datiere vor, gehe zu weit zurück und weiß schließlich nicht mehr ein noch aus.

Mein Hauptanliegen ist, eine mir entsprechende Aktualität zu leben. Ich behaupte nicht, daß sie rascher läuft als die andere, aber sie ist mir nun einmal genehm. Diese meine Zeitgemäßheit löscht die Zeit so gründlich aus. daß es mir möglich wird, mit Delacroix und Baudelaire zu plaudern. Sie erlaubte mir, den damals noch unbekannten Marcel Proust als berühmt einzuschätzen und so vor ihn hinzutreten, als besäße er schon den Ruhm, der ihm eines Tages zuteil werden sollte. Als ich entdeckt hatte, daß mir diese Art von Zeitenthobenheit als Privilegium gegeben sei und daß es zur Erwerbung besserer Vorrechte zu spät war, da habe ich mich darin ausgebildet und mehr und mehr darein versenkt.

Aber mit einmal öffne ich ein Auge; ich sehe heute ein, daß ich, um des Nachdenkens enthöben zu sein, das ungeeignetste Verfahren anwandte, daß ich mich mit geringen Geschäftigkeiten abrackerte, die uns versklaven und verbrauchen, und daß ich Hansdampf in allen Gassen war. Ich versteifte mich darauf, wurstelte, yiechanišch. Jdi' wär diesdfrt Trö ri111 so verhaftet, daß. ich den Notwehrinstinkt, der mich žų/ ęyoĮtg''.', “anhielt, mit drestrlinieidlidreii-Betriebsamkeit Verweehsehe. -s

Heute weiß ich um das Gleichmaß Bescheid. Sobald ich ein Auge öffne, schließe ich das andere und nehme schleunig Reißaus.

Aus: „Die Schwierigkeit zu sein.“ Verlag Kurt Desch

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