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Vom Wort zum Sprachkunstwerk

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Deutscher Wortschatz. Ein Wegweiser zum treffenden Ausdruck. Von Hugo W e h r 1 e. Ernst- Kiett-Veriag, Stuttgart. 515 Seiten.

Vierzig Jahre lang hat der 1951 verstorbene H. Wehrle an seinem Werk gearbeitet, das nunmehr in 11. Auflage erscheint und dessen Titel zu einem Begriff geworden ist. Im Unterschied zu anderen Wörterbüchern und sprachlichen Nachschlagewerken ist im vorliegenden das Material nicht alphabetisch, sondern nach Begriffsklassen geordnet. Eine Uebersichtstafel, S. VIII bis XXIV, erschließt das System, und zwar ein recht papierenes. (Das Sein, die Seinsordnung, der R,aum, die Erscheinungsformen des Seins, Geistesleben, Gebiet des Wollens, Gefühlsleben.) Aber hier ist guter Rat teuer. Daher hält man sich Heber an den „Wortweiser“ ab Seite 305 und tastet sich von dort nach vorn. Das Buch soll der Schrumpfung des deutschen Wortschatzes entgegenwirken, und man wird, besonders auf Gebieten, die einem weniger vertraut sind, Anregung genug finden. Der Sammlerfleiß des Autors war groß, aber es fehlt ein Etwas, das „geistige Band“, das das Ganze zusammenhält. Auch sollte Ballast über Bord geschüttet werden, so etwa das „geistliche Schlaf- trünklein“, das uns als Synonym für „Erholung" kredenzt wird. Anderseits müßten neuere sprachschöpferische deutsche Autoren wie Borchardt, Jünger, die Langässcr, Benn und viele andere „aufgeschlüsselt“ werden. Dann erst wäre der verpflichtende und sehr anspruchsvolle Titel des Werke gerechtfertigt.

Vom ABC zum Sprachkunstwerk. Eine deutsche Sprachlehre für Erwachsene. Von W. E.’ Süßkind. Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart. 232 Seiten. Preis 8.80 DM.

Der Autor versichert eingangs seinem Leser, daß dieser nicht noch einmal auf die Schulbank zurück müsse, um die versäumte oder verschlafene Grammatikstunde nachzuholen; denn Sprachwissenschaft sei keine regelsetzende (normative), sondern eine beschreibende (deskriptive, empirische) Disziplin: eine verlockende, aber nicht ganz ungefährliche These, da man sich im Deutschen, wenn man gegen die Sprache sündigt, nur allzugern auf sein „Gefühl“ beruft. Und dazu hat nur derjenige ein Recht, der sein Sprachgefühl — so er überhaupt eines besitzt — auch ausgebildet und verfeinert hat. Also kein Elementarbuch, sondern ein sehr unterhaltsamer, geistreicher Kurs für Fortgeschrittene. Süßkind, einer schwäbischen Familie entstammend, hat als Schriftsteller, Redakteur und Uebersetzer mit der Sprache zu tun gehabt. Aus dieser dreifachen Beschäftigung kommt ihm jene „heitere Sicherheit",

die sich auch dem Leser mitteilt. Man müßte auf viele Einzelheiten hin weisen, um Art und Umfang des Buches anzudeuten. Am besten gefallen uns jene Kapitel, in denen der Autor praktische Erfahrungen des Handwerks mitteilt und auf eine Formel zu bringen sucht, etwa wenn er über die Ichform oder über die Kunst des Anfangens spricht. Daneben findet er auch Zeit zu einer anmutigen Verteidigung des vielgescholtenen Relativpronomens „welcher“ und für die Erforschung von Randgebieten („Die Sprache der Reklame“). Auch das vorliegende Buch ist, wie der „Deutsche Wortschatz“, weitverbreitet und erreicht mit der letzten umgearbeiteten Neuauflage das 30. Tausend.

„Die Sprache." Von Karl Kraus. Kösel-Verlag, München, 448 Selten, Preis 25 DM.

Zum ersten Mal erschienen die ausgewählten Aufsätze und Studien zur Sprache von Karl Kraus 1937, ein Jahr nach dem Tod des Autors. Der vorliegende Band wurde vön Heinrich Fischer betreut, der auch drei neue Beiträge eingefügt hat („Wenn das Wort ergriffen wird“, „Dichters Klage“ und die umfangreiche, einen sehr aufmerksamen Leser voraussetzende Abhandlung „Subjekt und Prädikat“). Karl Kraus bedarf wohl keiner Präsentation. Es sei nur daran erinnert, daß sich Richard Dehmel, Frank Wede- kiod, Georg Trakl, Theodor Haecker, Sigismund von Radecki, Karel Capek und Oskar Kokoschka wiederholt zu ihm_J ek:innt haben. Künstler also und Schriftsteller, die aus den verschiedensten Richtungen kommen. In der Tat: ein anregendes, ein lehrreiches, aber auch ein durch seinen Fanatismus erschreckendes Buch. Karl Kraus war ein ebenso eifriger wie gewalttätiger Liebhaber der Sprache, und wer in einer Sprachpolemik recht hatte, bestimmte nur er. Kein Wunder, daß zuweilen bei Meinungsverschiedenheiten nicht Argumente vorgebracht, sondern die Gegner mit einer Schimpfkanonade zugedeckt werden. — Leopold Liegler hat schon 1920 auf die Aehnlichkeit zwischen der Sprachphilosophie der Romantiker (besonders Novalis, Schlegel und Brentano) und der von Karl Kraus hingewiesen. Das trifft besonders auf den letzteren mit seinen spielerisch-oberflächlichen Sprachassoziationen zu.

Bezeichnend, daß die drei hier besprochenen Autoren aus dem süddeutschen Raum kommen. Ihm entstammt auch der vorzügliche Ludwig Rei- ners, dessen „S t i 1 k u n s t“ an dieser Stelle ausführlich gewürdigt wurde und den man, wenn von Bemühungen um die deutsche Sprache in der Gegenwart die Rede ist, mit an erster Stelle nennen müßte.

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