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Von „Arideres Osterreich” bis „Zentrdfiiedhof'

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Nach Meinung des Genfer Historikers Andre Beszler hat Österreich eine „Identität ohne alle Konturen”. Eine solche Identität entziehe sich dem Zugriff, „und vielleicht ist das gut so”. Robert Menasse sieht in einer solchen Identität die große Kontinuität Österreichs und gewinnt der Kontur- und Ge-schichtslosigkeit das „Glück des Vergessens” ab: „Der Neuanfang der Zweiten Bepublik ist deshalb gelungen, weil man dabei nur nach vorn und nicht zurück auf die Erste geblickt hat.” Also nicht „Blick zurück im Zorn”, sondern Blick nach vorn. Trotz alledem: Jede Generation ist auf der Suche nach ihrer kollektiven Identität. So auch die Verfasserinnen der „Inszenierungen”. Sie präsentieren eine neue, eine andere Identität als frühere Sucher und repräsentieren damit die Generation der Dreißigjährigen. Wir, die wir jetzt um die 60 sind, haben mit 30 noch „Österreich-Mappen” geführt. Wir haben „Ö.-Be-kenntnisse” als Erkenntnisse gesammelt. „Nation Österreich” hieß mein erster Leitartikel. Staatsnation, Kulturnation, Verfassungsnation, Vaterland, Muttersprache, . Heimat ... Österreich war Ideologie des Herzens. Die Verfasserinnen lassen sich auf solche „Österreichereien” der sentimentalen Art nicht ein. Ihre Nationalität ist vor allem Rationalität.

Das Buch „Inszenierungen - Stichwörter zu Österreich” von Susanne Breuss, Karin Liebhart und Andreas Pribersky ist das wissenschaftliche Ergebnis des vom Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung unterstützten Projekts „Aspekte österreichischer kultureller Identität”. An -ton Pelinka hat es initiiert. Es ist frisch und sachlich, seriös und witzig. Identität ist danach kein leerer oder gar Lehrer-Wahn, auch kein nationaler Minderwertigkeitskomplex (vergleiche K. Bittermann), sondern ein sozialwissenschaftlicher Befund und Begriff. Aber auch wenn mehr vom goldenen Hirn als vom goldenen Wiener Herz die Rede ist, so ist es doch ein durch und durch patriotisches Buch. Die Autorinnen lieben dieses Land.

Aber es ist ein kritischer Patriotismus. Manche Stichwörter stechen. Manche sind Schlagwörter, manche Klischees. Von den uns im Englischen umschreibenden „M's”: Mountains, Mu-sic, Mozart, Mary Therese ... kommen Musik (das umfangreichste Stichwort) und Mozart, im zusammengesetzten Hauptwort, Mozartkugel immerhin das süßeste, vor. Barock, Biedermeier, Fin de siecle (zwischen den Stichwörtern Europa und Freud) findet man ebenso wie Operette, Opernball (nicht von Haslinger) und Opfermythos. Für mich ein wichtiges Stichwort ist „Ausland”. Denn dort fand ich unser Image oft „mieser” (weil Österreich kritischer gesehen wurde) als im ■ Inland („Jetzt erst

recht”, „Mir san mir”). Daher soll heute als Maxime unserer Politik und unseres Verhaltens gelten: „Was wird das Ausland dazu sagen?”

Susanne Breuss (Jahrgang 1963) ist Volkskundlerin und Kulturwissen -schaftlerin, Karin Liebhart (Jahrgang 1963) Politikwissenschaftlerin, Andreas Pribersky (Jahrgang 1957) Politikwissenschaftler und Leiter der Außenstelle Budapest des Österreichischen Ost- und Südosteuropa-Instituts. Sie haben gut zusammengearbeitet und ein Beispiel der Interdiszi-plinarität gegeben, das Vorbild werden könnte. Auswahl der Wörter und Arbeit an den Texten erfolgten im Trialog, wobei überwiegend Gleichsinnig- und -stimmigkeit festzustellen sind. Damit wird das Buch einheitlich und eindeutig. Es hat Profil und Konturen. Ist es deshalb ohne österreichische Identität? Nein, aber es stellt eine neue und andere dar.

Es gibt Bücher, die will man immer wieder und weiter lesen. Dieses muß man lesen. 80 Strichwörter von „Anderes Österreich” bis „ Zentralfried-hof” verführen dazu. Man geht durch sie wie durch die vielfältigen österreichischen Landschaften, die durch Wege und Wegweiser verbunden sind.

Ja, Österreich ist Landschaft. Sie ist ein Stichwort. Wald (noch immer 46 Prozent Österreichs) ist es nicht. „Kulturgroßmacht” rangiert vor „Bodenkultur” oder „Landeskultur”. Sie sind keine Stichworte. Aber unsere Landschaft ist auch Ausdruck unserer Kultur wie Kunst und Wissenschaft. Als Ersatz wird Josef II. am Pflug - Abbildung auf einem Porzellanpfeifen-köpf - gezeigt. Ist das ein Verweis auf eine „Inszenierung durch Bilder ohne Worte”? Die Visualisierung der Inszenierungen wäre interessant und aktuell. Stichwörter zu Österreich als Vi-deocassette!

Vieles und viele sind da. Manche fehlen. Mir fehlen Erzherzog Johann, Herr Karl und Ötzi. Aber Wichtiges und Wesentliches ist vorhanden. Die Bundesländer sind dargestellt; ausdrücklich und ausführlich Burgenland, Kärnten, Niederösterreich, Tirol, Vorarlberg und das ist gut so; Kammern und Kommunen (2.300) nicht; Regionen („Gaue”? „Viertel”?) waren vorgesehen, Verwaltung und Bürokratie („Bepublik der Mandarine”) nicht. Einiges davon findet sich im „politischen System”, „sozialen Konsens”, „Treffpunkt der Diplomatie”. Ausführlich und ausgezeichnet sind behandelt Bundespräsident, Essen und Trinken, Gemütlichkeit, Neutralität, Niederösterreich, Bepublik (Erste, Zweite), Neutralität, Niederösterreich, Staatssymbole, Staatsvertrag, Vergeßlichkeit, Wien ...

Wissenschaftlich ist das Buch gut gelungen. Es ist auch ein schönes Lesebuch. Und ein ehrliches Buch. Trotzdem ist „Inszenierungen” auch ein „Österreich-Buch”. Aufgeklärter und aufklärender Patriotismus ohne Pathos. Lesen, weiterlesen, wiederlesen! Dieses Werk darf spätestens ab 1996 („Millennium”, „Mir san mir”) in keiner Bibliothek fehlen.

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