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Von Chopin bis Toscanini

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Die Autorin dieses Chopin-Buches ist die Enkelin des großen Schauspielers Sonnenthal und die Witwe des Komponisten Erich Wolfgang Korngold, dessen Andenken diese „romantische Biographie“ gewidmet ist. Sie beginnt mit der Frage („Prelude“): „Wer waren die Frauen in ihrem Leben, Frederick Chopin?“ und endet mit den Worten: „Adieu, lieber teurer Freund. Adieu — ganz einfach. Ein Kindheitsfreund bedarf keiner schönen Phrasen.“ Ein sehr persönliches Chopin-Buch also, von Liebe und weiblichem Einfühlungsvermögen bestimmt und soweit gelungen, als man hiermit Wesen und Werk eines genialen Menschen erfassen kann. Aber wie weit kommt man damit schon? Eben doch nur bis zu einem recht konventionellen Chopin-Bild, dessen einzelne Züge und Farben die fleißige und belesene Autorin mit schriftstellerischem Geschick nachgemalt hat. Ein leich lesbares, unterhaltsames Buch, nicht zuletzt dank der kurzen Kapitel und der 31 Abbildungen.

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FREDERIC CHOPIN. Ein musikalisches Horoskop. Von Ludwig Kusche. Süddeutscher Verlag, München. 94 Seiten. Preis 4.80 DM

Kaum ein größerer Gegensatz zu dem oben angezeigten Buch ist denkbar als Ludwig Kusches konzentrierte, kluge, männlich-sachliche, aber gleichfalls von echter Wertschätzung diktierte Darstellung. Der Untertitel ist lediglich ein Blickfang, „Horoskop“ will nicht viel mehr sagen als: „Chopins Werk — vom Standpunkt des 20. lahrhunderts aus betrachtet!“ — Man merkt auf jeder Seite die gründliche, rund vierzigjährige Beschäftigung des Autors mit dem Werk Chopins. Aber Kusche kennt nicht nur die musikalische Literatur, sondern auch die bildende Kunst der Zeit und die Poesie, soweit sie einen Bezug auf Chopin hat Eher also eine Lektüre „für Fortgeschrittene“, die auf geistvolle Art belehrt werden.

FRANZ SCHREKER. Von Gösta Neuwirth. Bergland-Verlag, Wien (Österreich-Reihe, Band 79/80). 96 Seiten. Preis 18 S

Fünfundzwanzig lahre nach dem Tod des einst weltberühmten Komponisten und hochgeschätzten, anregenden Lehrers (an der Wiener Musikakademie und an der Berliner Hochschule für Musik) erscheint dieses Büchlein, um an einen Vergessenen zu erinnern, mit dem Antrag auf „Wiederaufnahme des. Verfahrens“ auf Grund des vorgebrachten Beweismaterials. — Dieses ist zwar interessant, aber doch sehr lückenhaft, was wohl auch auf den knappen Umfang des Büchleins zurückzuführen sein mag. Aber der Autor, seinem Gegenstand mit Eifer zugetan, wird es wahrscheinlich als schönsten Lohn für seine Bemühungen betrachten, wenn einer der unwissenden Intendanten oder Generalmusikdirektoren sich einmal die Partitur etwa der Oper „Der ferne Klang“ vornimmt und überlegt, ob man nicht eine Aufführung riskieren könnte Wir haben so viel Schwächeres, Uninteressanteres in den letzten Jahren auf der Bühne gesehen (zum Beispiel Menottis Gruselopern, Barbers „Vanessa“ oder Pizzettis „Mord im Dom“).

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ERNST KRENEK. Ein Essay. Von Friedrich S a a t h e n. Albert Langen—Georg Müller, München. 77 Seiten. Preis 3.80 DM

Ernst Krenek, Jahrgang 1900, hat in Wien bei Franz Schreker studiert und folgte seinem verehrten Lehrer 1920 nach Berlin. Dort wuchs im Kontakt mit einer Reihe avantgardistischer Geister sein Hang zum künstlerischen Radikalismus, der zeit seines Lebens im Kampf lag mit einer anderen Kraft und Neigung seiner Natur- der zum Engagement, zur Wirkung in der Welt und auf die Mitmenschen. Dies ist nur eines der Spannungsfelder in Kreneks Persönlichkeit und Werk, auf die Friedrich Saathen hinweist, der ein exzellenter Kenner des Krenekschen Werkes ist und sich auch als Herausgeber von Kreneks Schriften verdient gemacht hat.

GEDANKEN UNTERWEGS. Dokumente einer Reise. Von Ernst Krenek. Albert Langen-Georg Müller, München. 296 Seiten. Preis 19.80 DM

Nach den musikalischen Essays von Ernst Krenek, die unter dem Titel „Zur Sprache gebracht“ in Buchform vereinigt wurden, folgt nun, gleichfalls von F. Saathen herausgegeben, ein schmälerer Band mit

Reiseimpressionen, aufgezeichnet in den Jahren 1931 bis 1950 von einem Einzelgänger, einem Unzeitgemäßen, einem Intellektuellen und Europäer. Es ist ein ironisch-philosophisches Reisebuch, im Stil verwandt den (selbstverfaßten) Texten von Kreneks „Reisebuch aus den österreichischen Alpen“. (Wir erinnern an eine Probe — „Wie der Stadtfrack uns Skiläufer sieht“ —, die vor kurzem im „Krystall“ erschienen ist.)

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MENAGERIE IN FIS-DUR. Musikalische Impressionen. Von Hans Heinsheime r. Bärenreiter-Verlag, Kassel (Pan-Verlag Zürich—Stuttgart). 331 Seiten. Preis 12 DM

Viele Wiener Musikfreunde werden den Autor noch aus seiner Wiener Zeit gekannt haben, als er in der

Opernabteilung der Universal-Edition tätig war. Jetzt wirkt er in ähnlicher Funktion bei Schirmer in New York. Hier und dort hatte er die Hand am Puls des musikalischen Geschehens seiner Zeit und lernte einen großen Teil der bedeutendsten zeitgenössischen Komponisten kennen. Auch manchen Blick hinter die Kulissen des Musikbetriebes unserer Zeit konnte Heins-heimer tun, und darüber berichtet er ungezwungen und amüsant. Aber er ist trotzdem kein Zyniker geworden, sondern hat sich die schöne Ehrfurcht vor den Großen der Musik bewahrt und weiß zu unterscheiden zwischen dem Schöpferischen (siehe das Kapitel über Bela Bartök in Amerika) und dem Betrieb („Komponieren nach der Stoppuhr“ — ein Kapitel über die amerikanischen Torifilmfabriken). Das vorliegende, in bestem Sinn unterhaltsame und Neues vermittelnde Buch stellt die Zusammenfassung und Bearbeitung zweier in Amerika (1947 und 1952) erschienenen Erinnerungswerke Heinsheimsrs dar, die von Willi Reich herausgegeben und übersetzt wurden.

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GEGEN DEN STROM. Leben und Werk von E. N. Reznicek. Von Felizitas von Reznicek. Mit einer Darstellung der Kompositionen von Leopold Nowak. Amalthea-Verlag, Zürich—Leipzig—Wien. 335 Seiten. Preis 98 S

Die Autorin dieser Biographie, die zum 100. Geburtstag E. N. von Rezniceks (am 5. Mai 1960) erscheint, ist die Tochter des Komponisten, die aus genauer und umfassender Kenntnis dazu berufen (und begabt) ist, ein authentisches Lebensbild ihres Vaters zu zeichnen. Das ist ihr ausgezeichnet gelungen, und auch derjenige, der zur Musik E. N.s kein besonderes Verhältnis hat, wird diese Biographie — ein breitangelegtes und farbiges Zeitgemälde — mit Interesse und Teilnahme lesen. E. N. war schon durch seine Herkunft ein echter Altösterreicher: die Familie stammt aus Böhmen, des Vaters Mutter aus Ungarn; die Gattin von E. N.s Vater, des Feldmarschalleut-nants, war eine geborene Prinzessin Ghia aus dem bekannten moldauischen Fürstengeschlecht. Reznicek hat einen großen Teil seines Lebens nach wechselvollen Jugendjahren in Berlin verlebt, wo er im August 1945 auch beerdigt wurde. „Gegen den Strom“ im Titel will sagen, daß E. N. am Anfang seiner Laufbahn ein „moderner“ in späteren Jahren eher ein „konservativer“, ja ein altmodischer Komponist gewesen ist. Nun, das ist ein weites Feld. Den glücklichen Einfall der „Donna-Diana“-Ouvertüre wird niemand schmälern — das gesamte kompositorische Werk ist schwer mit wenigen Worten zu bewerten. Universitätsprofessor Dr. Leopold Nowak hat ihm ungefähr 100 Druckseiten gewidmet: annalysierend, beschreibend, erklärend und sich in den Gegenstand einfühlend.

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TOSCANINI. Der Meisterdirigent. Von Robert C. Marsh. Bärenreiter-Verlag, Kassel (Pan-Verlag, Zürich—Stuttgart). 199 Seiten. Preis 14 DM

Der am College der Universität von Chikago lehrende bekannte Musikkritiker hat dem großen Dirigenten eine überaus fleißige, durch ihre sachliche Distanz vom Gegenstand bemerkenswerte Arbeit gewidmet. Er ist gewissenhaft der Entwicklung Tosca-ninis nachgegangen und hat genau dessen sämtliche Konzertprogramme zusammengetragen (dies allein war eine Riesenarbeit.'). Der Analyse einer dirigentischen Leistung sind Grenzen gesetzt, zumal, wenn sie nur auf nicht eben zahlreichen und technisch unvollkommenen Schallplatten basiert. Aber Marsh hat auch hier Vorzügliches geleistet und vermag manches Erhellende' über Toscaninis Eigenart und Technik zu sagen. Marsh ist ebenso offenherzig und ungeniert, wie sein Held, wenn er etwa (S. 181) bemerkt:

„In seiner Ehrlichkeit und folgerichtigen Handlungsweise, keine Stücke zu spielen, die er seiner Meinung nach nicht verstand, studierte er viele Partituren, die er niemals aufführte, zum Beispiel Werke von Mahler. Dies war sehr klug. Aus ähnlichen Gründen entschloß er sich augenscheinlich, Bartök, Hindemith, Strawinsky .. . Prokofieff . .. Berg und vielen anderen keine Beachtung zu schenken. Toscanini brauchte die melodische Linie, die relativ konsonante Harmonie und einfache rhythmische Lebendigkeit Respighi lag ihm, Strawinsky stieß ihn ab. Aber zu seinem Unglück blieb Strawinsky trotz allem ein großer Komponist und Respighi, so gut er ihn auch spielte, ein alltäglicher.“

Das ist der „Fall Toscanini“, man kann ihn nicht besser charakterisieren.

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