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Von Curtius zu Ceram

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Von Curtius zu Ceram: so kann am besten die Fntwicklung der archäologischen Literatur in unserer Zeit umschrieben werden. Ludwig Curtius steht da als einer der letzten repräsentativen Vertreter der archäologischen Schule, der noch in der Pionierzeit dieser jungen Wissenschaft wurzelt. Ein Mann, dem die humanistische Bildung noch echtes Erlebnis war und dessen Publikationen, stets vom Stoff, vom Rein-Fachlichen ausgehend, dem Leser einen immer weiteren Horizont öffneten: den der einen heilen Welt.

Mit dem Namen des deutschen Schriftstellers Kurt W. Marek, der das Pseudonym C. W-. Ceram wählte, ist der entscheidende Umbruch in der archäologischen Literatur verbunden. Ihre Autoren waren bisher Wissenschafter, ihre Leser selber Leute vom Fach oder humanistisch gebildete Menschen, die echtes Verständnis für Archäologie hatten: für die Kunstwerke, die sie erklärte, und die Kulturen, denen sie entstammten.

Jetzt wird die Archäologie eine Domäne der Publizisten. Es geht nicht mehr darum, etwas Neues zu sagen, sondern den Stoff neuartig, spannend darzubieten. Es geht darum, Leser zu erreichen, die bisher nur Kriminalromane oder dergleichen lasen. Mit der Erweiterung des Leserkreises ist eine Verlagerung des Interesses verbunden. Dieses gilt nun nicht mehr dem Wesen der Sache — also letztlich der Erkenntnis und Selbstkenntnis des Menschen —, sondern den abenteuerlichen Begleitumständen, unter denen Funde gemacht, versunkene Städte und Kulturschichten aufgedeckt wurden. Sie gilt dem Sensationellen; mehr den persönlichen Lebensumständen der Wissenschafter als der Eigenart ihrer Entdeckungen.

Man mag diese Entwicklung bedauern oder begrüßen: je nachdem, ob man für das Unternehmen der Volksbildung etwas übrig hat oder nicht. Auf jeden Fall ist erfreulich, wenn eine Wissenschaft und ihre Vertreter populäi werden. Ob aber der Preis der Simplifizierung, der dafür gezahlt werden muß, zu hoch ist oder nicht: das wollen wir hier nicht entscheiden.

Torso. Verstreute und nachgelassene Schriften von Ludwig Curtius. Ausgewählt, herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Joachim M o r a s. 344 Seiten und 48 Tafeln auf Kunstdruckpapier. Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart.

Wir haben heute keine rechte Vorstellung mehr davon, wie umfassend und weltoffen die Bedeutung des Wortes „humanistisch“ war. Wenn wir die Aufsätze „Begegnung beim Apollo von Belvedere“, „Bronzenes Pferd im Metropolitan Museum in New York“ oder „Physiognomik des römischen Porträts“ in diesem Bande lesen, wird uns das plötzlich bestürzend bewußt. Verloren: wofür? Wenn etwas torsohaft ist im Leben von Ludwig Curtius, so sind es die Jahre nach 1937, als ihm die Leitung des Deutschen Archäologischen Instituts in Rom genommen wurde, die fehlen. (Er schreibt in seinen Lebenserinnerungen „Deutsche und antike Welt“ über die Entlassung: „Ich empfand sie wie einen Ritterschlag.“) Sonst ist alles voll Fülle und Erfüllung im Leben dieses Mannes, der im April 1954, kurz vor seinem 80. Geburtstag, in Rom gestorben ist.

Curtius war ein dialogischer Menscher — ein Typ, der heute so selten geworden ist. Mit Recht kann Joachim Moras von ihm sagen, daß das „Fragmentarische des Werks seine eigentümliche Wahrheit ausmacht — die Wahrheit des Torsos: in den Teilen, noch im geringsten seiner Teile ist das Ganze.“ Daß es so ist, liegt in der „ständigen Präsenz des Charakters“, die in diesem großen Werke spürbar ist. Curtius zitierte gern das von Heinrich Brunn gebrauchte Wort, „der liebe Gott ist im Detail“; diese Ueberzeugung Curtius' ist in jeder der hier vereinigten Schriften lebendige Realität.

Götter, Gräber und Gelehrte im Bild.. Von C. W. Ceram Rowohlt-Verlag, Hamburg. Copyright by Thames and Hudson Ltd., London. 360 Seiten, 310 Abbildungen in Tiefdruck und 16 Farbtafeln. Preis 26 DM.

Noch einmal hat Ceram einen ganz neuen Buchtyp geschaffen: das Bildbuch zum Lesen. Stilistisch mögen andere Werke über Archäologie besser sein; diesen Anspruch wird niemand Ceram streitig machen: daß er der erste war, der die Geschichte der Archäologie in dieser Art darstellte. 1949 erschien — etwa gleichzeitig mit Anne Terry White's „Lost Worlds“ in Amerika — sein Buch „Götter, Gräber und Gelehrte“, das den Forscher wie einen Detektiv bei der Arbeit zeigte: nun, acht Jahre später, hat er dieselbe Geschichte noch einmal erzählt und sie dem Menschen unserer Tage, der, verdorben durch Film, Fernsehen und Illustrierte, zuerst dreimal schauen und dann doch nur wenig lesen will, noch näher gebracht.

Der Text ist zu kleinen Absätzen zusammengeschrumpft, die unter den Bildern stehen. Aber was für Bildern! Sie aus alten Archiven und Bibliotheken aufgestöbert zu haben und hier zum Teil erstmals der Oeffentlichkeit zugänglich zu machen, darin liegt das eigentliche Verdienst des hochinteressanten Buches.

Hat Ceram mit dem ersten Band den „Roman der Archäologie“ geschaffen, so mit diesem den „Film der Archäologie“. Die Stärke Cerams liegt in dem, was die Filmleute „schneiden“ nennen, also in der geschickten Zusammenstellung und Abfolge des Materials. Beinahe nie entstehen „Längen“, immer kann Ceram das Interesse durch raschen Szenenwechsel aufs neue fesseln.

Angesichts des hervorragenden Bildmaterials verzeiht man gerne kleine Ungenauigkeiten des Textes: zum Beispiel auf Seite 58, wo es statt „Schicht VI“ richtig „Schicht VNa“ heißen sollte, oder auf Seite 62, wo nur das Orchomenos auf der Peloponnes, nicht aber das böotische, von Levadhia aus zu erreichende verzeichnet ist, in dem Schliemann gegraben hat.

Doch soll betont werden, daß Cerams Ansichten überall vernünftig sind und er sich nirgends zu irgendwelchen ausgefallenen Hypothesen (und deren gab es in der “Archäologie genug I) versteift. Sympathisch ist, was er zur Ehrenrettung Schliemanns sagt, dessen angeblicher „Dilettantismus“ der Wissenschaft besser diente als die Ueherängstlichkeit mancher Gelehrter seiner Zeit, die sich nie eine Blöße gaben.

Ur, Assur und Babylon. Drei Jahrtausende im Zweistromland. Von Prof. DDr. Hartmut S c h m ö-kel. Reihe: Große Kulturen der Frühzeit. Herausgegeben von Prof. Dr. Helmut Th. B o s s e r t. Verlag Gustav Küpper, Stuttgart. 304 Seiten, 118 Tafeln und eine Karte. Preis 24.50 DM.

Die Reihe „Große Kulturen der Frühzeit“ des Gustav-Kilpper-Verlags in Stuttgart, die wir bereits einmal ausführlich gewürdigt haben, hat sehr glücklich in der eingangs skizzierten Situation einen Mittelweg gefunden: hier schreibt der Fachmann für den Laien. Sie bemüht sich also stets um gemeinverständliche, packende Darstellung und gibt dabei doch immer: Archäologie aus erster Hand.

Das vorliegende Werk führt uns zu den ältesten Hochkulturen der Menschheit. Seine Gestaltung scheint besonders gelungen. Die 12 Kapitel geben sich als eine Art Situationsbericht aus: der erste ist Uruk, 2900 v. Chr. datiert, der letzte Babylon, 570 v. Chr. So lernen wir die verschiedenen Epochen, vom ältesten Sumer über die Akkad-Zeit und die Assyrischen Reiche zum Chaldäerreich jeweils von einem Zentrum aus überblicken.

Besonders dankbar sind wir für die reichlichen Zitate aus den alten mystischen Dichtungen und die ganz vorzügliche Bebilderung. Das Werk hat bereits die dritte Auflage erreicht. Das zeigt, daß auch die seriöseste Darstellung der Materie, der es nur um eine Belebung der Fakten, nicht aber um eine ausführliche Fundgeschichte geht, vom allgemeinen Interesse für die Welt der Archäologie profitiert. *

Göttlich aber war Kreta. Das Erlebnis der Ausgrabungen. Von Hans Pars. Verlag Otto Walter, Ölten und Freiburg im Breisgau. 404 Seiten, 76 Bilder, zahlreiche Strichzeichnungen und Karten. Preis 22.80 sfrs.

In der ausgezeichnet betreuten Reihe „Kulturgeschichte“ des Otto-Walter-Verlages, Ölten, in der( bisher u. a. von Ivar Lissner „So habt ihr gelebt“ und von Otto Muck „Atlantis — Die Welt vor der Sintflut“ erschienen sind, ist nun ein neuer, prachtvoll ausgestatteter Band herausgekommen, der uns in das versunkene Reich des Königs Minos einführt. Nachdem eine Reihe vorzüglicher Gesamtdarstellungen der alten Mittelmeerkulturen vorliegt, wendet sich das Interesse nunmehr begrenzten Gebieten und einzelnen Grabungen zu. Das hat den Vorteil, daß die Autoren nun mehr als bisher auf die Details, vor allem auf einzelne Fundgegenstände eingehen und diese sprechen lassen können.

Hans Pars hat einen guten Blick für Zusammenhänge und Querverbindungen; so baut er aus einzelnen Gefäßen, Bruchstücken von Wandbildern, Reliefs auf Goldbechern nach und nach das Bild einer imponsanten, lebensfrohen Zeit vor uns auf, die plötzlich, um die Mitte des 2. Jahrtausends vor Christi, endete. Der Palast von Knossos fiel einer Katastrophe zum Opfer, Kreta verlor seine Vorherrschaft im östlichen Mittelmeer. Hans Pars beschränkt seine Darstellung nicht nur auf Kreta, sondern bezieht beispielsweise die Grabungsgeschichte Mykenes mit seinen Schachtgräbern mit ein, um alles heranzutragen, was für eine Erklärung der minoischen Kultur von Bedeutung ist.

Dabei läßt uns Pars, als aufmerksamer Reporter, auch an der sich Schritt für Schritt vortastenden Arbeitsweise des Archäologen teilnehmen und lehrt uns, ihre Methodik und Gedankengänge zu eigen zu machen.

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