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Von der Kehrseite

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Hermann Bahr sagte von Arthur Schnitzler, er habe wie kein anderer den letzten Rest des verschimmernden Wien mit zarter Hand gefaßt. Tatsächlich werden seine Stücke auch noch bei tragischen Schicksalen durch Subtiles, durch Zwischentöne gekennzeichnet. Doch einmal schüttelte Schnitzler merkbar ruckartig diese von ihm nur leise kritisch dargebotene morbide Welt ab und betrachtete sie mit Sarkasmus von der Kehrseite: Es entstand in krassen Farben das Marionettenspiel „Zum großen Wurstel“, eine Burleske, die derzeit im Salzburger Landestheater aufgeführt wird

Da erstehen die Gestalten der Schnitzler-Welt, aber in verzerrenden Vergröberungen: der Nichts-als-Liebhaber, das Süße Mädel, der hoheitsvolle duelüsüchtage Herzog, die mannstolle Herzogin, Was sich begibt, wirkt wie eine Karikatur der Schnitzlerschen Stücke, wirkt als scharfe Kritik, als Bloßstellung der vorgeführten Gestalten. Der Tod, der dann den Liebhaber holt, wirft die Maske ab, enthüllt sich als Clown, als der große Wurstel. Der Tod als Spaß. Gaghafte Entwertung des Daseins. Abermals eine Volte: Als am Schluß ein Geheimnisvoller mit einem Schwert erscheint, sinken als leblos nicht nur die Marionetten hin, sondern auch die Zuschauer auf der Bühne, denen das Spiel vom Direktor des Puppentheaters vorgeführt wird. Marionetten sind sie alle, sie wissen es nur nicht. Barockes Erbe wird spürbar.

Der besondere Reiz der Aufführung besteht darin, daß Schauspieler mit großen, drollig-starren Puppenaugen, mit den typischen wackelnden Bewegungen dieser hölzernen Figuren agieren. Das gelingt unter der Regie von Oscar Fritz Schuh und unter der Leitung des Pantomimischen von Rolf Scharre ausgezeichnet. Es ist dies aber mehr als nur ein ebenso bühnengemäßer wie witziger optischer Effekt, der Idee, dem bissig-satirischen Auflösen der Antithese Mensch — Marionette wird dadurch für den Zuschauer zunächst unbewußt vorgebaut. Rudolf Heinrich hat die Marionettenbühne „Zum großen Wurstel“ im scheinpompösen Budenstil des vorigen Jahrhunderts errichtet, das Publikum auf der Bühne mit Zylinder und Girardihut, mit Schinkenärmel und langen Röcken vermittelt im Verein mit der Grotten-bahnmusik von Ecfcart Ihlenfeld so recht die Praterstimmung von einst. Unter den „Marionetten“ gibt Klaus Maria Brandauer dem Liebhaber besondere Beweglichkeit, Kurt Heintel dem Herzog Noblesse, Louise Martini der Herzogin die Mannsgier, Gabriele Buch dem Süßen Mädel konfektionierten Charme. Unter den „Lebenden“ ist Hans Putz ein marktschreierischer Direktor der Marionettenbühne, Curth. A. Tichy ein stets aufgeregter Dichter.

Im Anschluß an dieses Stück wird die Komödie „Figaro läßt sich scheiden“ von ödön von Horvath gegeben, die man in Wien zuletzt vor drei Jahren im Kleinen Theater der Josefstadt sah. In ihr zeigt sich eine vielschichtige Einstellung zur Revolution. Figaro und Susanne werden auf der Flucht mit den Almavivas vorgeführt, er wird zum Spießer, zum Opportunisten, es geht um Elend und Verkommenheit in der Emigration, um Dankbarkeit gegenüber Menschen, die man eigentlich verachtet, um zweierlei Recht und Unrecht, um eine Demaskierung der politischen Schlagworte. Letztlich aber heißt es dann, daß die Revolution menschlich geworden sei, was heute keineswegs mehr glaubhaft wirkt. Vielleicht ist es eben diese Vielschichtigkeit, die Schuh als Regisseur veranlaßte bei den Schau-platzverwandlungen die Drehbühne länger in Bewegung zu setzen und da ein von Lichtfetzen durchsetzes Dunkel zu zeigen, ehe die realistischen Bühnenbilder von Rudolf Heinrich mit den Hintergrundprospekten in riesenhaften Schwarzweißphotos sichtbar werden. Schuh griff auf die verkürzte Prager Fassung zurück, in der schärfere Akzente fehlen. Aber es wird damit das ohnedies allzuleichthändig gefügte Stationenstück etwas straffer gehalten. Die an Routineschreiber gemahnende Rückkehr von Susanne und Almaviva am Schluß läßt sich allerdings nicht ändern ohne Horvath zu verfälschen. Daß Schuh die Darsteller zuerst Rokokokostüme, dann Kleider des 19. Jahrhunderts und schließlich die von heute tragen läßt, versucht das Vorgeführte als ein dauernd Gültiges darzutun. Romuald Pekny läßt in diesem zum Opportunisten gewordenen Figaro den früheren Elan spüren, Elfriede Ott überwindet in der Rolle der Susanne die Gefahr, in der Schablone der Quicklebendigkeit zu erstarren. Axel von Ambesser zeichnet mit aller Dezenz in Almaviva vortrefflich den Herrn von angeborener Noblesse, der durch die Erlebnisse der Emigration zermürbt wird. Vilma Degi-scher ist eine Herzogin von verhaltener Herzenswärme. Heinrich Schweiger erweist sich als ein behäbig-geschäftstüchtiger Nachtlokalbesitzer Cherubin. Der Franehette gibt Louise Martini herzhafte Ursprünglichkeit. Oskar Wegrostek hat als Pedrillo anmaßende Präpotenz, Hanns Obonya als Franchettes Vater humorige Altersüberlegenheit. Die Reihenfolge, in der diese beiden Bühnenwerke geboten werden, fällt auf. Im allgemeinen spielt man längere, ernste Stücke zuerst, hier aber ist das kürzere, bitter-witzige an den Anfang gestellt. Berechtigt: Die Effekte des „Wurstel“ würden Hor-vaths stillere Dramatik erschlagen.

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