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Von der Pawlatschen zum Burgtheaterfest

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Wiener Festspielpremieren ... Beginnen wir diesmal vom Rande her, vielleicht wächst gerade dort den Wiener Wochen gute Kraft zu. Vor dem Schloß Hetzendorf hat man ein Paw- latschentheater aufgebaut, so wie es im Frühling des Alt-Wiener Theaters froher Brauch war. Und spielt auf ihm Philipp Hafners Alt- Wiener Posse „Der Furchtsame“. Nach dem erfolgreichen Debüt vor Schloß Hetzendorf soll diese schnell auf- und abzubauende Bühne in Liesing, Pötzleinsdorf, Stadlau und im Messepalast ihr Gerüst aufschlagen. Eine glückliche, und wenn mit Zähigkeit und Umsicht durchgehalten, sicher fruchtbare Idee: Theater für das Volk so ganz herzwarm, impulsiv und direkt ins Volk zu tragen, seine schlummernden Kräfte zu wecken. Das Ensemble, aus Schauspielern der Josefstadt, des Volkstheaters und der Keller-Theater zusammengesetzt, ist mit Leib und Seele bei der lustigen Sache: Fritz Imhoff, Veit Relin, Henriette Hieß, Harry Fuß, Helly Servi, Walter Kohut, Franz Meßner, Oskar Wegrostek und Eduard Loibner. Gandolf Buschbeck führt ebenso herzhaft Regie. S o ein Volkstheater könnte sich als ein Jungbrunnen auswirken: nicht zuletzt für unsere Schauspieler.

In der Josefstadt inszeniert Franz Reichert Schillers „Kabale und Liebe“, ganz abgestellt auf das junge Liebespaar und seinen Untergang. Der große politische und zeitgeschichtliche Horizont dieses „bürgerlichen Trauerspiels", ein Fanal für das Deutschland des 18. Jahrhunderts, wird nicht sichtbar, ja er wird auch noch durch das Bühnenbild unterdrückt. Da stehen sie also nun, die Luise Millerin der Nicole Heesters und der Ferdinand des Walther Reyer. Nicole Heesters wirkt vor allem durch ihre Ehrlichkeit. In dieser überaus schweren Rolle gibt sie, was sie hat: Verhaltenheit und Intensität des Gefühls. Es ist gut, daß sich Nicole Heesters nicht verleiten läßt zu jener Pathe- tik und Sentimentalität, die hier als Versuchung so nahe liegen. Am meisten Schiller ist Reyer: ein jugendlicher idealer Held, den Himmel suchend und die Hölle findend. Die Härte einer dekadenten, machtbesessenen Aristokratie wird im Gesicht und Gestus Erik Freys, des Präsidenten, glaubhaft, spürbar. Interessant, als Studien, Günther Tabor als Wurm, anders, als man diese Gestalt meist interpretiert, und Leopold Rudolf als Kammerdiener. Sehr schön anzusehen Sigrid Marquardt als Lady

Milford: ganz Adel, ganz ohne jene Vergangenheit, die doch auch zu dieser Rolle gehört. Durch den Verzicht auf so manche schillersche und schillernde Perspektiven dieses Dramas kommt eine sehr einheitliche, starke Wirkung zustande. Das Publikum begreift diese herzguten und herzschlechten Menschen sofort, zollt ihnen gern Beifall.

ln Kürze notiert: Im Akademietheater wird Hermann B a h r s Lustspiel „Das Phanto m“ aus der Schublade geholt. Kein Dienst für Hermann Bahr, dessen große Verdienste auf anderen Sektoren der Literatur liegen. Verstaubte „Problematik“ um ein Gänschen, das einen Theosophen zu lieben glaubt und vom treubesorgten Gatten, Doktor Fidelis Schmorr, heimgeholt wird. Bewunderungswürdig die Bemühung der Schauspieler, dem Staub Leben einzuhauchen.

Ein großer Abend des Burgtheaters! Wie leicht schreibt man so etwas! Heute noch? Die Feier zum vierzigjährigen Burgtheaterjubiläum von Alma S e i d 1 e r war es. Nicht durch die unglückliche Wahl der drei Einakter: „Die schattenlose Straße“ von Tennessee Williams, „Die Medaillen der alten Dame“ von J. M. Barrie und „Das V ei 1- c h e n" von Franz Molnar sind als Stücke zu schwach, zu kleine Münze, um eine so große Schauspielerin recht zu ehren. Große Kunst hätte hier die große Tragödie verlangt, zumindest ein wirkliches Schauspiel mit dem langen Atem des großen Theaters. Nun, diese Spielchen werden vergessen, es bleibt die Erinnerung an einen Abend, es bleibt die Erscheinung der Alma Seidler: als „Frau und Dame", als Kollegin und Künstlerin, als Brücke zwischen dem alten und neuen Oesterreich, vor allem aber immer wieder als Mensch wurde hier diese Frau gefeiert, ehrlich gefeiert, wobei der Glanz dieser festlichen Stunde, die das ganze Burgtheater zuletzt mit einem Kreis seiner Freunde auf der Bühne um die Jubilarin versammelt sah, etwas so intim und so offen Wienerisches hatte, daß es nicht ziemt, es im Worte zu sehr anzutasten. Wie denn auch die Dankesworte Alma Seidler , das Leben, den Tod, die Toten, die Angst des Schaffenden scheu und liebend umkreisend, wohl wert sind, von Mund zu Mund und Herz zu Herz weitergegeben zu werden (das ist Tradition!), nicht aber der kurzen Notiz überantwortet werden sollen. Die Burg hat sich geehrt mit dieser Feier für die große Künstlerin, „unsere Alma Seidler“.

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