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Von ganz links

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Stücke für das Theater am Schiffbauerdamm. Von Bertolt Brecht. Zwei Bände. 319 und 317 Seiten. Suhrkamp-Verlag. Preis“ 16 DM.

Diese beiden Bände schließen unmittelbar an die „Ersten Stücke“ (bis 1927) an, die ebenfalls vom Suhrkamp-Verlag herausgegeben wurden und auf den Plan einer Gesamtausgabe schließen lassen. Eine solche gab es bisher nicht, und es ist sehr zu befürchten, daß auch diese Reihe an irgendeinem kritischen Punkt abgebrochen werden wird. Immerhin vermitteln bereits die vorliegenden vier Bände einige wichtige Erkenntnisse über die Entwicklung dieses eigenartigen, hochtalentierten Dichters. Der erste Band der hier angezeigten zweiten Reihe enthält: „Die Dreigroschenoper“, „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“, „Das Badener Lehrstück“, „Die heilige Johanna der Schlachthöfe“, „Der Jasager — Der Neinsager“ nmd „Die Maßnahme“. — Die „Moral“ der ersten beiden Stücke wurde seinerzeit dem Publikum durch die aufpeitschenden Weillschen Songrhythmen so eingehämmert, daß sie nicht kommentiert zu werden braucht. Zu erwähnen sind die neuen Texte zu den Chansons der „Dreigroschenoper“ sowie die theoretische Abhandlung über das epische Theater im Anschluß an „Mahagonny“. Wichtig vor allem ist, zu beobachten, wie sich der Sozialrevolutionär zum Programmatiker des politischen Terrors entwickelt. In der „Maßnahme“ steht er vor uns. „Aendert die Welt, verändert euch. Gebt euch auf. Marschiert“, singt der Chor im „Badener Lehrstück“ vom Einverständnis. Was demjenigen geschieht, der sich nicht blind der Partei unterordnet, lehrt „Die Maßnahme“. Vier Agitatoren erschießen einen unbequemen, weil eigenwilligen Genossen, mit der sachlichen Begründung: „Er wollte das Richtige und tat das Falsche.“ Damit wurde der betreffende Genosse des Todes schuldig. Für seine Richter und Henker aber gilt die Moral: „Wer für den Kommunismus kämpft, hat von allen Tugenden nur eine: Daß er für den Kommunismus kämpft.“ , .

Ein kleines Ja und ein großes Nein. Sein Leben, von ihm selbst erzählt. Von George G r o s z. Mit 17 Tafeln und 45 Textabbildungen. Rowohlt-Verlag, Hamburg. 289 Seiten.

Der bekannte deutsche Graphiker und Karikaturist George Grosz kommt aus derselben Sphäre wie Brecht. Er hatte seine große Zeit im Berlin der zwanziger Jahre. Aber sein Weg führte anderswohin. „Ja, ich war ein Fragesteller, denn Neugier ist eine menschliche Eigenschaft. Aber im Gegensatz zu anderen Neugierigen, die mit Etiketten, Fakten und Daten zufrieden sind, war ich es nicht.“ Grosz stammt aus Stolpe in Hinterpommern, sein Vater war Kastellan und dienender Bruder der dortigen Freimaurerloge. Flistorienbilder im Geschmack der damaligen Zeit und Schundromane begeistern den Buben, in dem sich frühzeitig ein unbändiges Maltalent regt. Er wächst im Wilhelminischen Klassen-staat auf und empfängt die erste Unterweisung an der Königlichen Akademie in Berlin. Das alles verstärkt den Druck auf eine zugleich dumpfe und rebellische Natur, die sich während und unmittelbar nach dem ersten Weltkrieg in einer Kette von Explosionen befreit. Seine Kunst ist für ihn eine Art Ventil, und sein Groll macht sich in jenen berüchtigten Zeichnungen Luft, die mit dem Namen George Grosz für immer verbunden sind. Es war die Zeit /on Dada, Inflation und Schiebertum. Grosz verkehrt mit Revoluzzern und Neureichen, unternimmt eine abenteuerliche Reise nach Rußland und fährt mit seiner Familie — von einem untrüglichen Vorgefühl gewarnt und geleitet — im Jänner 1933 nach Amerika. Am 23. landet Grosz in New York, am 30. findet die „Machtübernahme“ statt, der er als einer der allerersten zum Opfer gefallen wäre. Drüben beginnt er ein ganz neues Leben. Er hat den Ehrgeiz, ein guter amerikanischer Illustrator zu werden. Aber das gelingt ihm nicht. Er zeichnet für sich weiter und verdient seinen Lebensunterhalt als Mallehrer. Unbarmherzig, wie er früher das Gesicht der herrschenden Klasse zeichnete, schildert Grosz in seinem Erinnerungsbuch das Wiedersehen mit seinen alten Freunden in der Emigration: Künstlern, Revolutionären, Sonderlingen, Narren und Nihilisten (Thomas Mann, Brecht, Dos Passos, Ernst Toller und anderen). Das ohne Routine und mit großer Aufrichtigkeit geschriebene Buch ist für den Kulturhistoriker von bedeutendem Interesse: ein wichtiges Zeitdokument.

Mit fremden Federn. Der Parodien zweiter Band. Von Robert N e u m a n n. Kurt-Desch-Verlag. Wien-München-Basel. 231 Seiten.

Nur derjenige, der Neumanns „Unter falscher Flagge“ und den ersten Teil „Mit fremden Federn“ kennt, kann sich vorstellen, was ihn in diesen neuen Buch erwartet. Für die übrigen, noch uneingeweihten Leser, müßte man ausführlich Proben geben. Neumanns Parodien sind insofern gefährlich, ja geradezu tödlich, weil sie echter sind, als das Original. Diesen Effekt erreicht er, indem er — wie der gute Karikaturist — gewisse scharf beobachtete Stileigentümlichkeiten und Manieren auf die Spitze treibt. Lind wer von den Großen ist schon ganz ohne Manier? Neumanns Kuriositätenkabinett reicht von der braven Marlitt und Reinhold Conrad Muschler über Thomas Mann und seine Kommentatoren bis herauf in die jüngste Gegenwart, bis Hemingway und Norman Mailer, bis zu den ostdeutschen Staatspoeten, bis zu Sartre und Heidegger, Jünger und Camus, Salomon und Hans Habe. Uebri-gens hat Neumann im ersten Band auch sich selbst parodiert, und zwar nicht schlecht. Das spricht für ihn und erweist seinen wirklichen Rang als Satiriker.

Mehmed der Eroberer und seine Zeit. Von Franz B a b i n g e r. Verlag F. Bruckmann, München. 592 Seiten mit 3 8 Abbildungen und Karten auf Tafeln und im Text. Preis 36 DM.

Unter den großen Eroberern aus dem Haus Osman nimmt Mehmed II. einen besonderen Rang ein: Die Bezwingung von Konstantinopel, der Sturz der Komnenendynastie in Trapezunt, die Eroberung Bosniens, Albaniens, der Walachei und Griechenlands sind Marksteine in der Geschichte des Osmanischen Imperiums. Unter Mehmed wurde „der Türke“ die Schreckgestalt der Völker Mitteleuropas. Durch die Alpentäler, durch Friaul streiften damils fast Jahr um Jahr die „Renner und Brenner“. Es waren die Tage, da man vom Campanile den Feuerschein der Ortschaften der Terra ferma erblicken konnte. Die Dynamik jener Persönlichkeit, welche diesen Aktionen den Impuls verlieh, hielt ihrer staatsmän-nischen und diplomatischen Begabung die Waage. Macchiavell hat seinen „Principe“ mit dem Blick auf Cesare Borgia geschrieben. Er hätte ihn ebensogut Mehmed II. zudenken können.

Ueber diese Vielfalt politischer und militärischer Ereignisse lag reiches, allerdings fast nur ausländisches Material vor. Privatkorrespondenzen oder Tagebücher sind uns nicht überliefert — ja, nicht eine einzige Zeile von Mehmeds eigener Hand. Den Folgen dieser quellenmäßigen Beengung konnte sich die vorliegende Arbeit wohl nicht ganz entziehen. Der angesichts der bekannten nationalen, politischen und religiösen Aufspaltung des südosteuropäischen Raumes ungemein verästelte und schwierige Stoff wurde mit Sorgfalt dargestellt. Es entsteht daraus ein lehrreiches und farbiges Bild einer sehr wichtigen Epoche der europäischen Geschichte. Das Lebensbild dieses bedeutenden Herrschers selbst wirkt dagegen fast blaß, angesichts des persönlichkeitsstarken Porträts Bellinis. Der Rezensent gesteht gern, daß ihm psychoanalytisch herausgeputzte Biographien stets Mißbehagen bereiten. Dies vorausgeschickt, hätten wir es im vorliegenden Falle doch begrüßt, wenn die Persönlichkeit eines Regenten von solcher Kraft, vielfältiger Begabung und Eigenständigkeit, uns plastischer und profilierter entgegentreten würde. *

Gib mir deine Sorgen. Die Briefe des Nikodemus. Ein Roman. Von Jan Dobraczynski. Herder-Verlag, Freiburg. 411 Seiten. Aus dem Polnischen übersetzt von Eustachy Swiezawski und Doktor H. D e u r i n g. Für die deutsche Ausgabe bearbeitet von Kurt Heinrich H e i z m a n n.

Eine originelle und geglückte Idee: das Leben unseres Herrn von außen zu beschreiben, nachdem es von außen her miterlebt wurde. Nikodemus, der Ratsherr, folgt drei Jahre lang dem öffentlichen Wirken des Meisters und schreibt seine Eindrücke, Staunen und Zweifel an seinen alten Lehrer Justus. Wie ein „fünftes Evangelium“ liest sich dieser „Roman“. Den kanonischen Büchern gegenüber sind die Begebenheiten aus dem Leben des Herrn manchmal willkürlich, das heißt anders aneinandergereiht, aber man gewinnt dadurch eine kontinuierliche Geschichte. Da der Verfasser „Briefe“ schreibt, bringt er in die bloße Erzählung der Tatsachen zugleich seine eigenen Ueberlegungen, sein Pro und Contra. Darum ist dieses „Evangelium“ besonders für solche Leser geeignet, die keine Vorkenntnisse über die Heilige Schrift und noch nicht zu Christus gefunden haben: immer aus menschlichen und traditionell-jüdischen Vorbehalten her wird der Christus geschildert. Für die Kenner und Theologen bringt dieses „Leben Jesu“ viele neue und ungeahnte Einsichten. Ich wüßte nicht, wer diesen „Roman“ nicht lesen sollte und nicht mit Genuß und Nutzen lesen könnte. Eine spannendere Nacherzählung des Evangeliums ist mir nicht bekannt. .

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