6653368-1959_14_15.jpg
Digital In Arbeit

Von Katzen und blechernen Hasen

Werbung
Werbung
Werbung

Tennessee Williams’ Psychologismus hebt sich scharf von O’Neills und Wilders Expressionismus ab. Williams, heute 45 Jahre alt, ist ein Frühtalent. In den Slums von St. Louis erfährt er an Leib und Seele die sozialen Spannungen Amerikas — er wird sie nie mehr vergessen, wenn auch seine acht Dramen (1944 bis 1955) das Problem dramatisch verdecken und vorwiegend in das Scheitern des Individuums umgießen. Seine Stücke sind, wie alle modernen Amerikaner, sexuell stark angeheizt — vielleicht kommt es unter anderem auch daher, daß die meisten von ihnen verfilmt wurden. Wir sehen in Wien nunmehr, nach „Glasmenagerie”, „Endstation Sehnsucht” und „Die tätowierte Rose”: „Die Katze auf dem heißen Blechdach.” Im Vordergrund ein steinreicher, todgezeichneter Farmer und seine mehr oder minder erbschieicherische Familie, im Hintergrund ein Vater-Sohn-Komplex, eine Mann-Frau-Entfremdung, vor allem aber das amerikanische Zentralproblem der gesellschaftlichen Lüge, besser: der Wahrheit, der ein jeder auf seine Art davonläuft. Die Demaskierung ist erschreckend. In einer gewittrigen Sommernacht explodieren alle gegen alle, selbst die Kinder, die „halslosen Ungeheuer”, reißen an den Nervensträngen und blasen in allen Tonarten ins Feuer. Wie eine Katze lauert im Hintergrund bzw. auf den glühend heißen Dachschindeln des schwelenden Hauses Maggie, eine junge, berückend schöne Frau, die um ihr Leben, das heißt die verlorene Liebe ihres Gatten kämpft, mit allen erlaubten und unerlaubten Mitteln — bis zum Ziel, in dem eine fast antike Katharsis alle Hysteriker beruhigt, reinigt und zur Besinnung führt. — Ein in seiner Art großartiges Stück, Ibsen, Hauptmann und Strindberg in eine moderne, nervöse Fassung umbiegend; der Film sklavisch treu, vibrierend vor innerer Spannung und förmlich knisternd vor Rollendynamik: Elizabeth Taylor, Paul Newman, Burl Ives u. a. Richard Brooks’ Regie: gestrafft, gespannt, überlegen; eine makellose Broadwayäufführung in Bildern.

Wie eine Katze geschminkt, aber in fast magischpsychoanalytischem Adagio, geht Sophia Loren wortkarg und grenzenlos unterspielend durch den amerikanischen Film „Der Schlüssel”, als femme fatale, als Seelentrost, der selber Trostes bedürfte, für todgeweihte Seemänner, als Klage und Anklage durch eine rettungslos verlorene Kriegszeit. Man hat den Film mit der „Brücke am Kwai” verglichen, und daran ist etwas Wahres, obgleich „Der Schlüssel” des letzten Elans entbehrt. Carol Reed hat wieder ganze Arbeit geleistet, seine Art hat freilich eine kühle, reißerische Glätte und Routine. Immerhin: ein ungewöhnlicher Film mit besonderen Darstellerleistungen (Trevor Howard, William Holden) und „unwahrscheinlich realistischen” Kampfaufnahmen auf hoher See.

„Souvenirs perdus”, einen französischen Episodenfilm, dessen vier Geschichtchen das Fundamt verknüpft, könnte man einen Edelstein nennen, so raffiniert hat Christian Jaque daran facettiert und poliert. Aber der Diamant hat Flecken. Ein makabres Spiel mit Tod und Perversion beschmutzt die letzten beiden Akte. Die Besetzung ist denkwürdig: Bernard Blier, Pierre Fresnay, Pierre Brasseur, Gerard Phillipe, Daniele Delorme u. a.

Zum vierten (nicht dritten!) Male verfilmte Deutschland einen originalen Filmstoff aus dem Jahre 1920, zum dritten Male in zwei Teilen, deren erster, „Der Tiger von Eschnapu r”, ins Osterprogramm gegangen ist. Merkwürdig. Sind wir erwachsener geworden? Oder hat der Film außer Ton und Farbe nichts dazugelernt? Der Film, der Tiger, diese Katze vom blechernen Dach, springt uns nicht mehr recht an. Sie mutet selbst ein naives Publikum gealtert an. Dabei hat Fritz Langs Tigerklaue mitgetan, dabei müht sich eine Bombenbesetzung redlich ab, dabei entfalten sich Prunk und. Pracht wie noch selten. Unsterblicher Kintopp, sagt man. Ist er doch sterblicher, als wir wähnten?

14 neue Filme liefen zwischen Gründonnerstag und Mittwoch nach Ostern an. 14 Ostereier. Einige leuchteten, einige versteckten sich, und mehrere waren — zum Unterschied vom fleißigen Kritiker — faul…

Filmschau (Gutachten der Katholischen Filmkommission für Oesterreich), Nr. 13, vom 28. März 1959: III (Für Erwachsene und reifere Jugend): „Casa Ricordi”, „Der Gletscherpilot” — IV (Für Erwachsene): „Dem Henker ausgeliefert” Kanal” — IVa (Für Erwachsene mit Vorbehalt): „Der Mann, der sich verkaufte”, „Der Spielteufel” — IVb (Für Erwachsene mit ernstem Vorbehalt): „Eddie, Tod und Teufel”, „Kavaliere” — V (Abzuraten): „Die Frau und der Hampelmann” — VI (Abzulehnen): „Adam und Eva”. — = Bemerkenswerter Film.

Immer wenn irgendwo hinter der Bühne, in den Direktionen oder in den Dramaturgien der Wiener Theater etwas schiefgegangen ist, stellt man mit jener halb resignierten, halb beruhigenden Geste des Alles-Entschuldbaren fest, daß Wien doch eigentlich vor allem eine Schauspielerstadt ist. Eine Theaterstadt, in der das Publikum („ohnehin”) nicht so sehr an den Dramatikern und Spielplänen interessiert ist, sondern vielmehr an der Besetzung. Man fragt erst in zweiter Linie darnach, ob in einer Saison die Stücke im literarischen Sinn gut oder interessant waren oder nur mittelmäßig — oder wieviel Erst- und Uraufführungen es gegeben hat; vermerkt wird, ob an der Spitze der etwa zwanzig bis dreißig prominenten, beliebten, bevorzugten Schauspieler (zu denen unter anderen Josef Meinrad, Aglaja Schmid und Albin Skoda, Fred Liewehr und Inge Konradi, Anton Edt- hofer, Helene Thimig, Leopold Rudolf und Vilma Degischer, Ernst Waldbrunn und Hans Jaray gehören) das bewußte halbe Dutzend jener ganz großer Majestäten der Schauspielkunst in „schönen” Rollen im Rampenlicht gestanden waren, wegen denen das Wiener Publikum ins Theater geht: Werner Krauß, Käthe Gold, Attila Hörbiger, Alma Seidler, Adrienne Geß- ner, Paula Wessely und Ewald Baiser.

Im Schatten dieser an Zahl wie an Persönlichkeit bedeutenden und hinlänglich gewürdigten Prominenz steht unter den rund 400 in einer Saison an den großen und kleinen Wiener Bühnen auftretenden Schauspielern — und neben der aufstrebenden Jugend, mit Walther Reyer, Bruno Dallansky, Kurt Sowinetz, Edd Stawjanik und Walter Kohut im Vordergrund (mit ihnen werden wir uns in einem zweiten Aufsatz beschäftigen) — jenes große, für Wien so typische Reservoir guter, profilierter Hauptrollendarsteller und Chargenspieler, die den sogenannten „Theateralltag” bestreiten. Sie bilden die Ensembles. Sie sind, wenn etwas schiefgeht in den Direktionen und Dramaturgien und wenn die Prominenz auswärts ist (zum Filmen oder auf einträglichen Gasttourneen), Grundstock und Stütze des Wiener Theaterbetriebes.

In der Spielzeit 1958/59 waren bis Mitte März zu sehen: der große Krauß auf einsamer Höhe als „König Lear”; Hörbiger, der prachtvolle Charakterspieler, in „Fast ein Poet”; überaus reizvoll: Käthe Gold in „Dieser Plato- now”, und Josef Meinrad, ein vollkommener „Zerrissener” — aber wir sahen auch Benno Smyth in den ..Kreuzeischreibern”, Gretl Elb in einer kleinen Rolle in James Lees „Karriere”, Guido Wieland in einer Charakterepisode in Molnars „Miniaturen” und Hanns Obonya am Rande in Firners „Flucht in die Zukunft”. Und das war nicht minder bewunderungswürdig, nicht weniger verdienstvoll, ebenso erstrangig: glänzende, kontinuierliche Schauspielkunst! Und wenn wir diesmal eine Reihe bewährter, interessanter Schauspieler eingehender besprechen, die an der Peripherie der exponierten Ruhm verteilun g 1958/59 in Hauptrollen die Aufmerksamkeit auf sich zogen, ist darin keine absolute Wertung zu erblicken: weder im Gegensatz zu den eingangs erwähnten noch gegenüber den ungenannt gebliebenen. Denn die prominenten Plätze in den Reihen der Popularität werden ebenso oft vom Zufall angewiesen, wie der Platz auf Theaterseiten stets von den ehernen Gesetzen des Raummangels.

Da ist beispielsweise Dorothea Neff: Seit vielen Jahren unersetzlich im Ensemble des Volkstheaters. Sie zählt wohl nur als Folge der allzu einseitig konzentrierten Bewunderung (noch) nicht zur „offiziellen” Wiener Spitzenklasse. Aber ein überaus reiches Spielfeld inner-

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung