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Von Magenta nach Solferino

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FRÜHMORGENS ÜBER DER EBENE. Ein hauchzarter Nebel, von der aufsteigenden -Sonne silbern durchwirkt, raucht um Maulbeerbäume, Pappeln, Kornfelder, Wiesen, dreht Spiralen über kleinen und größeren Gräben, in denen bleifarben und unbeweglich Wasser steht. Herb wirkt die Luft. Sie schmeckt nach Rauch und verbranntem Holz. Von der Staatsstraße 11, die linker Hand westlich Magenta über Ponte Nuovo schnurgerade auf die Ticinobrücke zielt, hört man einen Wagen rasseln und Pferdegewieher. Zweimal knallt eine Peitsche, in der Einsamkeit schreckhaft verflatternd, wie Schüsse. Kein Vogel singt. Nur das Laub der Birken, die den Graben neben mir begleiten, rauscht leise im Nordostwind. Der Tau benäßt die Schuhe bei den ersten Schritten durchs Gras. Das ganze Gelände am linken Ufer des Naviglio Grande, welcher den Ticino von Tornavento über Tur- bigo, Boffalora, Ponte Vecchio bis in den Raum von Abbiategrasso im Abstand von einem bis sieben Kilometer begleitet, ähnelt einem großen, gutgepflegten Park, Es gibt nahezu keinen Aussichtspunkt, der es gestatten würde, das Gelände 2u überschauen, wo Samstag, den 4. Juni 1 859, die Schlacht von Magenta abrollte, der erste Akt des lombardischen Dramas. Früher Morgen — damals wie jetzt. Die vor Magenta biwakierende österreichische Brigade des Generalmajors Burdina hatte trockenes Holz und Weingartenstäbe für das Kesselfeuer entzündet, um abzukochen. Gerade als das Wasser aufwallte, tönten Schüsse von der Ticinobrücke her, die zwar gesprengt, aber noch passierbar war. Die Kessel wurden umgeschüttet, das Fleisch weggeworfen. Das Infanterieregiment 60 rückte gegen den Naviglio Grande vor, wo sich zwei französische Gardegrenadierregimenter entwickelten, zu denen später noch Gardezuaven kamen.

DER KRIEG WAR VORAUSZUSEHEN GEWESEN. Beim Neujahrsempfang in den Tuilerien hątte Napokoji, III. dein .österreichischen BoU sihäfter BarÖn Hübner’gfeitäIpSr;’ unsere Beziehungen zu Thref ‘Regierung WcW mehr so gut sind . . . melden Sie indes Ihrem Kaiser, daß meine persönlichen Gefühle für ihn sich nicht geändert haben.” Bauernfeld dichtete: Es sendet uns seinen Neujahrsgruß.

Der Imperator mit dem Pferdefuß.

Kurz nach Napoleons Fanfare sprach König Viktor Emanuel bei der Eröffnung des Parlaments pathetisch von dem „Schmerzensschrei”, der aus vielen Teilen Italiens bis nach Turin gedrungen sei. Bauernfeld dazu:

Wie sich der kleine Räuber bläht,

Wenn ihm ein großer zur Seite steht.

So schwingt sich Piemont in die Höh’

Und prahlt: „Italia farä da se.”

Grillparzer urteilte womöglich noch schärfer über den Neffen des großen Korsen:

Von seiner Weisheit tönt ein Geschrei Bis in Europas letzten Winkel.

Mir scheint er klug aus Schurkerei Und dumm aus Eigendünkel.

DIE VERSÖHNLICHE HALTUNG und liberale Gesinnung des Erzherzogs Maximilian, der Seit 1857 Generalgouverneur des Lombardo- Venezianischen Königreiches war, konnte an den Voraussetzungen für 18 59 ebensowenig ändern wie die Verwaltung der Oesterreicher in den beiden Provinzen. Selbst italienische Historiker haben diese Verwaltung beispielhaft genannt und anerkannt. Aber der Venetianer Manin hatte schon lange vorher gesagt: „Wir verlangen nicht, daß Oesterreich menschlicher werde, wir fordern, daß es seiner Wege gehe.” Die gebildeten Schichten pflegten die Erinnerung an die „Märtyrer von Belfiore”, an Piero Calvi, an die „Dieci Giornate” von Brescia 1849, an die „Cinque Giornate” Mailands 1848 bis zum Steinwurf des Knaben Balilla in Genua 1746. Aber nicht nur diplomatisch war die Auseinandersetzung schlecht vorbereitet bis zu dem ominösen Ultimatum nach Turin vöm 23. April - auch die militärische Situation war betrüblich. Als der österreichische General Mollinary ein Jahr vorher nach Mailand kam, äußerte er sich: „Wenn wir jetzt in einen Krieg mit den Franzosen geraten, so ist uns, bei unserer verfehlten taktischen Ausbildung und Führung, die Niederlage sicher “ Das Kommando in Italien hatte nicht der in Radetzkys Schule aufge wachsene Feldzeugmeister Heß, sondern Graf Gyulay erhalten. Dieser, einer der reichsten Magnaten Ungarns, war für die Führung der Armee ungeeignet. Er hatte keine Kriegserfahrung (1848/49 hatte er als Gouverneur des Küstenlandes amtiert) und war wegen seines hochfahrenden Wesens bei den Untergebenen unbeliebt. Das einzige, was ihm zugute zu halten ist. stellen seine Denkschriften an die kaiserliche Militärkanzlei dar und das Einbekenntnis des, Unvermögens, meiner. Aufgabe gerecht zu . werden. Mit einet Spur’ vonTalenf hätte er noch vor’der Vereinigung der Franzosen mit den Sardiniern diese, die ihm zahlenmäßig um die Hälfte unterlegen waren, angegriffen und er hätte die Schlacht von Magenta nicht abgebrochen, da ein Viertel des VII. Korps sowie das ganze V. und VIII. Korps noch intakt waren, außerdem das IX. Korps dazugezogen werden konnte.

DIE REISE IN DIE WELTGESCHICHTE ist nicht immer einfach. Das gilt für Magenta und noch mehr für Solferino. Magenta mit seinen 17.000 Einwohnern, einunddreißig Bahnkilometer westlich von Mailand an der Strecke nach Turin, wird von Schnellzügen hochmütig ohne Halt durchfahren. Doch haben es die Reisenden ein fach: sie brauchen nur in der Fahrtrichtung links zu sitzen, un | für einen Husch könnten sie wenigstens etwas von dem Denkmal sehen, das knapp neben den Geleisen, nicht weit vom Bahnhof, zum Gedächtnis errichtet wurde. Als ich gegen Ende April dort war, arbeitete man gerade daran, die Gartenanlage rund um das Denkmal und das Standbild MacMahons sowie die Zufahrtsstraße mit ihren Randsteinen herzurichten. Wie man mir sagte, geschah dies in der Erwartung- General de Gąulle, dęr sich, zum Besuche vjon Mailand gelegentlich der Hundertjahrfeier angesagt hatte, würde sicherlich auch nach Magenta kommen. Ja man hatte sich früher sogar mit Hoffnungen getragen, eine österreichische Abordnung zu sehen. In dem eleganten, neuerbauten Albergo nicht weit von der Gedenkstätte, meinte man allerdings skeptisch, mit den Oesterreichern rechne keiner mehr. Warum man an deren Anwesenheit gedacht habe, fragte ich. „Im Zeichen der europäischen Gemeinschaft”, war die Antwort. Mittlerweile hat dieser Akzent freilich Schlagseite bekommen. In Magenta, wo ich darum fragte, hat man seit langem keine Oesterreicher mehr gesehen. Deshalb steht wohl auf der großen Tafel vor dem Albergo: „Welcome in Magenta.” Der Oberkellner erinnert sich seiner Arbeitszeit in Oesterreich. Wo das gewesen sei, fragt man. Und hört: „In Triest.”

Nun, nicht ohne Reiz, daß der Mann Triest noch heute unter den Begriff Oesterreich einordnet. Magenta ist heute eine aufstrebende Industriestadt. Man baut die üblichen Wohn- kästen — Auftraggeber ist das Arbeitsministerium. Aber neben den hohen Gebäuden gibt es noch genug alte Gassen, die so aussehen mögen wie vor hundert Jahren. Kinder kommen von der Schule, und wenn man den Photoapparat zückt, erregt man einiges Aufsehen.

MEHR ALS 1’30 KILOMETER LUFTLINIE östlich von Magenta liegt auf dem Hügelrand inmitten der typischen, terrassierten, stark mit Weingärten und Maulbeerkulturen durchsetzten Landschaft der Ort Solferino, Schauplatz des zweiten Aktes im lombardischen Drama. Zwanzig Tage nach Magenta kam es hier zwischen 150.000 Oesterreichern und 160.000 Franzosen und Sardiniern zur Schlacht, die mit dem Rückzug der Oesterreicher endete, trotz hervorragender Haltung und beispiellosen Heldenmutes der Truppe. Auch hier, wie bei Magenta, hatte die Führung erheblich zu wünschen übriggelassen. Erzherzog Ferdinand Max urteilte überaus scharf über die feudalen Kommandanten. Solferino ist noch abgelegener als Magenta. Die Bahn nach Peschiera läuft acht Kilometer nördlich am Gardasee entlang, die große Straße Mantua— Montichiari sieht man eine Wegstunde unterhalb des Hügelrandes, den das Gefallenenmal überragt. Dort unten, im Dunst des späten Nachmittags scheinbar weiter entfernt als tatsächlich, liegen Medole, weiter links Volta, bekannt schon durch Radetzky und das Nachtgefecht der Tiroler Kaiserjäger 1848. Rechter Hand, sieben Kilometer entfernt, am Hange des Monte Rosso, ziehen sich die Häuser von Castiglione hin. Dort, nachdem’ ein Gewitter mit Wolkenbruch dem blutigen Ringen am 24. Juni 18 59 ein Ende bereitet hatte, betteten die lombardischen Frauen in der zerstörten Kirche die Verwundeten. „Tutti fratelli”, sagten sie. „Alle sind Brüder.” Der Kaufmann Henri Dunant faßte damals im Angesicht des Geschehens den Entschluß zur Gründung einer internationalen Konvention. Solferino wurde die Geburtsstunde des Roten Kreuzes und die schmale Schrift „Un souvenir de Solferino” von Dunant wurde zum Manifest der Menschlichkeit.

ZURÜCK NACH NORDEN. Da ragt oberhalb des noch recht ursprünglich aussehenden Ortes San Martino alia Battaglia der zinnengekrönte Turm des Beinhauses. Von der Höhe sieht man mit freiem Auge hinüber und zurück nach Solferino. Hier in San Martino, am äußersten rechten Flügel der Front, schlug Benedek mit seinem achten Korps die mehr als doppelte Uebermacht der Piemontesen. Schwarz, wie Witwen in Trauer, steigen die Zypressen zur Höhe. Die sinkende Sonne umrändert golden das Schwarz. Der sanfte Wind, der vom Po her zum Gardasee streicht, bringt das Läuten ferner Glocken.

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