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Von Musik und Musikern

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Der „Abriß der musikalischen Formenlehre" von Dr. Kurt Nemetz- Fiedler, mit vielen Notenbeispielen 300 Seiten, Verlag Raimund M. Parti, WieA, wendet sich zunächst an den musikalischen Laien, wird aber auch dem Musikstudenten und -lehrer manch guten Dienst tun. Den Vorzug klarer Übersicht und Systematik hat das Büchlein mit manchem älteren Werk gemeinsam. Neu und anerkennenswert ist vor allem der Versuch, es nicht bei der Darstellung und Geschichte der Formen bewenden zu lassen, sondern eine Sinndeutung zu geben. In den letzten Kapiteln, die allzu gedrängt sind, war dies nicht mehr im gleichen Maße möglich. — Um das Werk des bedeutenden österreichischen Barockkomponisten Joseph Fux hat sich — im Rahmen seiner „Wiener Barockmusik“, durch Einzeluntersuchungen und Entdeckung unbekannter Fux- Manuskripte — der Musikwisenschaftler Doktor Andreas Ließ verdient gemacht. In einer monographischen Studie „Johann Joseph Fux“, Verlag L. Döblinger, Wien gibt Ließ nun auch einen Überblick über den Stand der Fux-Forschung und ein vollständiges Verzeichnis der seit 1942 neuaufgefundenen Werke des steirischen Meisters. — Der Rehabilitierung Emanuel Schikaneders, der bisher ein Stiefkind der Musikgeschichte war, hat Egon Komorzynski eine im Paul-Neff-Verlag, Wien, erschienene Studie gewidmet ,Der Vater der Zauberflöte, Emanuel Schikaneder“. Im Vorwort dazu kündet der Verfasser eine umfangreiche Schikaneder- Monographie an, doch kann schon auf Grund des vorliegenden Büchleins gesagt werden, daß Komorzynski sein Vorhaben glänzend gelungen ist. Die auf neuem Material basierende Untersuchung gipfelt in der temperamentvollen Auseinandersetzung mit dem Mozart-Biographen Otto Jahn und seinen kritiklosen Abschreibern. Mozarts und Schikaneders Verhältnis zur Freimaurerei wird nur flüchtig gestreift. — Einen völlig anderen, doch nicht weniger zielsicheren Weg geht Willi Reich in seinem „Richard Wagner“ Verlag Otto Walter A.-G., Olten, in dem er durch kluge Aneinanderreihung von Dokumenten und Selbstzeugnissen Leben, Fühlen und Schaffen dies die Titel der drei Abschnitte des Buches Wagners in ein neues, vielfach günstigeres Licht rückt. — Die „Gespräche über Musik“, die Walther Abendroth mit Wilhelm Furtwängler geführt und aufgezeichnet hat, sind um das Schaffen Beethovens zentriert. Sie erhalten ihren besonderen Wert dadurch, daß hier ein Künstler spricht, der das Werk unserer großen Meister, besonders der des 19. Jahrhunderts, nicht mir in- und auswendig kennt, sondern auch ein unmittelbares Verhältnis zu ihnen besitzt und sich einen von aller Theorie und Abstraktion ungetrübten Blick für die Ewigkeitswerte dieser Kunst bewahrt hat. Das letzte siebente Gespräch enthält eine temperamentvolle Verteidigung der tonalen Musik und wird auch von Andersgläubigen nicht ohne Nutzen und Interesse gelesen werden. Wie in Friedenszeiten legt der Humbold-Verlag, Wien, das sorgsam ausgestattete Bändchen in drei verschiedenen geschmackvoll-modernen Ausführungen vor broschiert, halbleinen und ganzleinen, zwischen denen die Wahl schwer wird. — Viel Fleiß und Arbeit steckt in dem „Internationalen Opernlexikon“ von Joseph Jirou- schek Scholle-Verlag, Wien. Rund 250 Opern und Ballette von 100 Komponisten sind in knapper, oft auch in kritischer Form besprochen. Dieser Teil, der auch das Schaffen der zeitgenössischen Komponisten gebührend be. rücksichtigt, verdient Anerkennung. Um so bedauerlicher daher eine recht große Zahl falscher Lebensdaten in den Kurzbiographien der Komponisten und ungenaue Termine der Ur- und Erstaufführungen. Von neueren Opernkomponisten vermissen wir: Busoni, Graener, Haas, Klenau, Reznicek, Sutermeister und Weismann. Bei Mozart fehlt der Hinweis aut die „Idomeneo“-Bearbeitung durch Strauß, bei Wagner sollten die Frühopern „Feen" und „Liebesverbot“ wenigstens erwähnt sein. Störend wirkt auch, daß der junge englische Komponist Benjamin Britten konstant als Britton erscheint. — „Liebes und Heiteres um Anton Bruckner“ erzählt Franz Gräf- linger Wiener Verlag. Der Verfasser gehört zu den wenigen Lebenden, die Bruckner noch gekannt haben und durch Jahrzehnte „seiner Erdentage Spur“ mit Liebe und Verehrung gefolgt sind. Sämtliche von Gräflinger zusammengetragenen Geschichten, die vor allem den heiter-naiven Bruckner widerspiegeln, können als authentisch gelten. Trotzdem sollte der Ver- faser bei einer Neuauflage auf eine der allerletzten Geschichten, die in der Tat einen „ausgefallenen Spaß“ darstellt, lieber verzichten. — Von „Vater Hellmesberger“ Ein Kapitel Wiener Musikerhumor, Wilhelm-Frick- Verlag, Wien plaudert Roland Tenschert in einem Büchlein, dessen erster Teil eine Stammtafel der Wiener Musikerdynastie sowie eine Kurzbiographie von Josef Hellmesberger senior umfaßt, und dessen zweite Hälfte eine Reihe von Anekdoten bildet, in denen sich ein Stück Wiener Musikgeschichte am Ausgang des vorigen Jahrhunderts spiegelt. — Der gleiche Autor legt mit dem Buch „Salzburg und seine Festspiele“ österreichischer Bundesverlag eine umfangreiche Materialsammlung vor, die in ihrem Hauptteil eine chronologische, fast vollständige Aufzählung und Besprechung der in Salzburg gespielten Bühnenwerke und Tonschöpfungen sowie eine Würdigung der Mitwirkenden gibt. Die Auswahl und Reproduktionen des Bildmaterials sind nicht ganz befriedigend. Bei der Darstellung der Vorbereitung und Gründung der Salzburger Festspielgemeinde scheint der Anteil Hofmannsthals etwas unterschätzt. — Wer sich von Karl Hader „Aus der Werkstatt eines Noten Stechers“ erzählen läßt, wird künftig eine sauber gestochene und klar disponierte Partiturseite mit mehr Verständnis, vielleicht sogar mit Bewunderung betrachten. Was es für den Hersteller alles zu bedenken gibt, mit welchem Ernst und mit welch verfeinerter Technik ein kunstreiches Handwerk hier der immateriellsten der Künste dient, — davon macht sich auch der täglich mit Noten umgehende Fachmusiker keine Vorstellung. Das von Waldheim-Eberle gedruckte und mit schönen Photos künstlerisch ausgestattete Büchlein ist angeblich das erste seiner Art: ein schönes Beispiel dafür, wo überall es noch Neuland zu entdecken gibt.,. Dr. H. A. Fiechtner verbürgerlichtes und verharmlostes Christentum ist dem nicht mehr gewachsen. Nur aus einer letzten christlichen Haltung heraus kann die Gegenwart getragen und gemeistert werden. Was Gott ist und wie er ist, muß unsere Generation aus den evangelischen Quellen und der bitteren eigenen Erfahrung neu lernen.

Ein Mädchen schreibt weiter: „Von meinen Bekannten sagen die meisten, daß es keinen Gott gibt. Auch meine Freundin glaubt nicht an Gott, sie geht nicht in die Kirche, betet nie und will auch mich davon abhalten. Manchmal gelingt es ihr auch. Oft wankte ich auch schon und glaubte, daß es keinen Gott gibt.“ Sie hat alle religiöse Sicherheit verloren. Hat sie keine Hilfe und Stütze, die ihr beisteht? Die Eltern scheinen ganz zu versagen. Nur eine Stimme ist noch da — nicht lange mehr —, die des Religionslehrers in der Schule. Sie schreibt: „Oft schwankte auch ich schon und glaubte, daß es keinen Gott gibt, aber der Herr Katechet erklärt uns das wieder alles so gut, daß man es verstehen kann.“

Einem anderen Kind ergeht es ähnlich. Es erzählt einen krassen Fall von vielfachem Unglück im Krieg bei Verwandten und wie diese darauf mit Gottesleugnung reagiert haben. Dieses Kind hat eine gläubige Mutter, die der Verwandten zuredet, doch in die Kirche zu gehen und dort Trost zu suchen. Aber trotzdem schreibt sie: „Ich glaube manchmal auch schon daran, daß es keinen Gott gibt, wenn ich die Leute so reden höre und wenn idi an meinen Vater denke, der im Krieg gefallen ist, und an meine Schwester, die so lieb war. Warum mußte gerade uns dieses Schicksal treffen? Doch ich tröste mich und kehre schließlich wieder zu meinem Glauben zurück.“ Ihr ist der Glaube noch Heimat.

Knaben drücken sich über denselben Sachverhalt nüchterner aus: „Ich weiß nicht, gibt es einen Herrgott oder nicht. Manchmal glaube ich, es gibt einen und manchmal nicht. Ich weiß es schon selbst nicht mehr. Wenn es einen gäbe, könnte er doch nicht zuschauen bei diesem Elend.“

Ein anderer Hauptschüler schreibt: „Es gibt verschiedene Religionen. Ob die katholische die richtige ist? Ich habe schon oft darüber nach ged ach t, doch konnte ich mich nicht zurechtfinden.“

Ein beinahe männliches Wort! Er macht es sich nicht leicht. Es geht ihm um die Wahrheit. Hat er denn keine Hilfe? Wenn die Eltern versagen, so hat er doch den Priester in der Schule. Doch darf man nicht vergessen, daß nur in den wenigsten Fällen ein individuelles Verhältnis zwischen Religionslehrer und Schüler besteht, denn die Schule ist ein ungünstiger Ort dafür. Die Religionslehrer sind riesig überlastet, in den Städten halten manche bis zu dreißig Wochenstunden. Da muß die Intensität des Dargebotenen leiden. Darüber müßte viel mehr gesagt werden. Die Problematik des Religionsunterrichtes ist heute sehr groß. Der Katechet braucht zu seinem Wirken ein eigenes Charisma. Die Kinder sind kritisch und Zuneigung und Abneigung liegen bei ihnen nahe beisammen.

Ein Kind schreibt: „Manche murmeln über den Katecheten, wenn er hereinkommt, weil sie die Religionsstunde nicht gerne haben. Andere sagen, da kann man den Katecheten wenigstens ärgern.“ Dazu ist zu beachten, daß beinahe überall die Arbeiter ihre Kinder in den Religionsunterricht schicken, der bekanntlich jetzt an unseren Schulen nicht obligatorisch ist. Daß die Kirche sich mit der Freiwilligkeit des Religionsunterrichtes in der Schule einverstanden erklärt hat, ist von größter positiver Bedeutung und sie sollte es nie mehr anders machen.

Mehrfach klagen die Kinder, daß die Lehret über den Glauben anderes reden als der Katechet. Zu einer Debatte anläßlich der Ringparabel bei „Nathan dem Weisen" äußert sich eine Hauptschülerin: „Komisch ist, daß die Lehrkraft zu jenen Schülern hält, die gegen die christliche Religion sind.“

Die Kinder beobachten sehr genau die sogenannten „guten Christe n“. Ein Knabe erzählt: „Neben uns wohnt ein Mann, der fleißig; in die Kirche geht, aber bei der Arbeit, wenn ihm was mißlingt, flucht er fürchterlich." Besonders Erzählungen der Kinder, die auf dem Lande umquartiert waren und bei den Bauern lebten, die scheinbar sehr christlich, aber auch überaus lieblos waren, nehmen einen breiten Raum ein. Man weiß, daß das Kirchengehen verpflichtend ist, aber ohne christliche Haltung im täglichen Leben ist es sinnlos. Daß man auch im Urteil über die Schwächen pharisäisch werden kann, wird vielfach übersehen.

Viele Eltern sind so töricht, den Kindern selbst zu sagen, daß sie die Religion nur wichtig halten für die Erziehung der Kinder, gleichsam als Mittel zum Zweck: „Jetzt mußt du in die Religion gehen, später kannst du machen, was du willst.“ „Mein Vater sagt immer, Religion ist gut für die Kinder. Die Zehn Gebote müßt ihr lernen.“

Wirklich religiöse Arbeiterfamilien sind selten. Immer sind es nur religiöse Fragmente und Reste, die aber gibt es fast überall. Es ist schrecklich, daß wir in einer Zeit leben, in der in ganzen Volkskreisen der Glaube innerhalb von zwei Generationen beinahe vollständig ausrinnt. Der religiöse Substanzverlust im Volk seit etwa sechzig Jahren ist enorm. Man muß sich nur Wundern, wie leicht wir uns damit abgefunden haben und es noch immer tun. Ja, vielen ist dieser Vor-’ gang in seiner Konsequenz noch nicht aufgegangen. Manchmal ist noch eine gläubige Großmutter da, die die Kinder zum Beten anhält, dort eine Tante oder die fromme „Hausfrau", die die Kinder belohnt, wenn sie in die Kirche gehen. Meistens aber ist die Religion für das Arbeiterkind in einem fremden Milieu beheimatet, in der bürgerlichen Welt, bei bürgerlichen Menschen. Aber gerade darauf käme es an, daß es in seinem eigenen Lebenskreis ein wahrhaft christliches Leben sähe.

Aufschlußreich ist die Kritik der Kinder an der Kirche, an der natürlich nur aufscheint, was im Volke lebt und hundertmal geäußert wird. Alles Fremdartige will man nicht. Für den Bauern zum Beispiel ist die lateinische Kultsprache durchaus tragbar. Das Heilige soll sich deutlich vom Profanen abheben. Der Pfarrer .soll einer eigenen Kaste angehören, die durch eine Tracht abgegrenzt ist. Dem Arbeiter imponiert das nicht mehr. Er ärgert sich daran: „Der Pfarrer ist nicht so angezogen wie wir." Der Arbeiter will den Priester nicht als Vertreter einer Kaste, das Kleid macht keinen Eindruck. Die Sehnsucht geht nach dem wahren Volkspriester.

Der Gottesdienst wird lebhaft kritisiert: „Was der Pfarrer bei der Messe sagt, versteht man nicht.“ „Das Hochamt war sehr lang und fad.“ Besser gefällt den Kindern schon die Messefeier mit deutschem Volksgesang, Chorgebet und Vorbeter. Freilich muß der Nachteil in Kauf genommen werden, daß das vermittelnde Element des Vorbeters den Priester und sein Tun am Altar mitunter in den Hintergrund drängt. Die Bedeutung der deutschen Kultsprache für die Rückgewinnung der Arbeiter zum religiösen Leben wäre gerade in dieser Beziehung vielleicht von Bedeutung.

Die Kirche, das Gotteshaus, sollte wieder das Vaterhaus gerade der Arbeiterkinder werden, in dem sie sich wohlfühlen. Das Reich Gottes hängt doch nicht an Äußerlichkeiten und Formen, sondern daran, daß die Menschen der Zeit für Gott gewonnen werden. Zugeständnisse, die ihr Wesen verändern, kann die Kirche nicht machen, das wäre Selbstpreisgabe, aber’ sie soll sich dem Arbeiter nicht als Kirche der Vergangenheit zeigen, sondern gegenwartsmächtig und lebendig. Vergleiche mit den Methoden in den Missionen liegen nahe und verdienen noch größere Beachtung als bisher.

Die Situation ist ernst, der Glaube nimmt weiterhin ab in der Welt der Arbeiter. Das Christentum muß diesem größten Stande der Gegenwart neu verkündigt werden. Den Gläubigen, Priestern wie Laien, ist eine ungeheure Verantwortung auferlegt. Wahrhaft revolutionäre Taten werden notwendig sein.

Zum Schluß seien die Worte eines Mädchens angeführt, das eben aus der Schule ausgetreten ist.

„Meine Eltern kümmern sich nicht um die Religion. Meine Schwester schimpft auf die Kirche und hat mir solange zugeredet, bis ich auch nicht ging. Leider kam ich in schlechte Gesellschaft und konnte mich auch nicht so halten. Dann ging ich einmal in die Kirche, weil ich es nicht mehr ausgehalten habe. Jetzt gehe ich immer, obwohl es den Eltern nicht recht ist und dne Schwester schimpft. Ich möchte mich immer so halten.“

Man ahnt oft nicht, welche Tragödien, welche Kämpfe, Niederlagen und Heldentaten in diesen jungen Herzen geschehen. Aber geholfen sollte ihnen werden. Man darf sie nicht allein lassen. Große Verantwortung liegt auf uns.

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