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Von Musik und Musikern

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Musik aus Wien. Von Alexander Witesch nik. Wiener Verlag. 452 Seiten. — Verklun-genes Spiel. Von Carl P i d o 11. Österreich] sehe Verlagsanstalt, Innsbruck. 349 Seiten. — Musik der Gegenwart. Von Karl H. W ' r n e r, 260 Seiten. — Musikalische Poetik. Von Igor Strawinsky. B. Schotts Söhne, Mainz, 80 Seiten. — Musik im Goldenen Westen. Von Ernst Krenek. Verlag BrUder Hollinek, Wien. 73 Seiten.

Das Buch von Witeschnik, welches 1943 zum erstenmal erschienen ist, hat seine Geschichte, die der Verfasser im Vorwort skizziert. Die erste umfangreiche Darstellung der Musikgeschichte Wiens ist verantwortungsvoll und erfordert eine jahrelange Vorarbeit, ausgedehnte Lektüre nicht nur der Musikliteratur, sondern auch zahlreicher kulturhistorischer Quellenwerke — auch wenn das Buch keine neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse vermitteln will, sondern sich „an alle Leser“ wendet als ein Dokument der Liebe zur Tonkunst der Vaterstadt. Das Vorhaben des Autors kann im ganzen als geglückt bezeichnet werden, besonders einige kulturhistorische Kapitel der Frühzeit sind gut gelungen, obwohl zu einer Geistesgeschichte der Musik selten vorgestoßen wird. Aus dem zweiten Teil seien die monographischen Darstellungen über Brahms und Hugo Wolf hervorgehoben. Zahlreiche gut reproduzierte Text- und Tafelbilder dienen nicht nur zur Illustration, sondern bereichern das Werk auch inhaltlich. Der Stil des Vortrags ist der einer Apologie. So erklären sich Kennzeichnungen wie „der unsagbar musikalische Boden“ oder „die leidenschaftlich beflügelte Donaustadt“, die von „gottvollen Wein- und Zecherliedern durchtönt ist. Daß Haydn als „einer der Gründer des inneren Reiches der Deutschen“ bezeichnet wird, mag unwidersprochen bleiben, aber weshalb man in der Tonkunst „erst seit Schubert weiß, was das heißt: beseelt“ und weshalb Richard Strauß als „der göttliche Melodiker“ bezeichnet wird (was er gerade nicht war), bleibt unerfindlich. Auch herrscht, trotz der Verarbeitung, ein ziemliches Durcheinander bezüglich der Bezeichnungen „deutsch“ und „österreichisch“. — Das Literaturverzeichnis zeigt die breite Grundlage und die fleißigen Studien des Verfassers an. Schade, daß es nicht auf den neuesten Stand gebracht wurde, etwa durch Nennung der Bücher von A. Ließ („Wiener Barockmusik“ und „J. J. Fux“) und der grundlegenden Darstellung der „Wiener Operette“ von Hadamowsky und Otte.

Der Untertitel des Beethoven-Romans von C. Pidoll („Erinnerungen des Herrn Nikolaus Zmeskall von Donnawetz“) ist eine Fiktion. Die Begründung hiefür gibt der Autor im Nachwort, das man — wie alle Nachworte — zuerst leseri soll. Pidoll tritt an die schwierige Aufgabe, einen Künstlerroman zu schreiben, mit ebensovielen Bedenken heran, wie der kritische Leser an die Lektüre, denn er will sich nicht die Rolle des „Allwissenden und über alles und jedes Bescheidgebenden“ anmaßen. Die Form der tagebuchartigen Aufzeichnungen durch eine dritte Person dient gleichsam als sachlicher Filter für des Autors persönliche Meinung über Leben und Werk Beethovens. Zmeskall wird deshalb als Mittler gewählt, weil er — wenigstens theoretisch — alle Voraussetzungen für solche Aufzeichnungen besaß und Beethoven während dessen ganzer Wiener Zeit nahestand. Dieser Kunstgriff hat zu einem überraschenden Erfolg geführt, und selbst das schwierige Verhältnis Beethovens zur Religion ist mit bedeutender Einfühlung, mit Mut und Taktgefühl dargestellt. Man liest das Buch Pidolls nicht ohne innere Bewegung und Gewinn. Lediglich für die letzten zehn Seiten hätte man sich einen noch dichteren Filter gewünscht.

Das Werk von K. Wörner breitet ein außerordentlich reiches und kompliziertes Material vor dem Leser aus, dessen klare Ubersicht durch den Autor allein schon bewunderungswürdig ist. Ebenso bedeutend ist seine Detailkenntnis und das genaue, plastisch formulierte Urteil. Wer sich intensiver mit der zeitgenössischen Musik beschäftigt hat, wird hier Seiten finden, die geradezu aufregend sind, sowohl in den Ubersichtskapiteln wie auch in den rund 80 Kurzmonographien. Der Rezensent wagt die Kennzeichnung: „Ein unentbehrliches Nachschlagewerk für jeden, der mit neuer Musik zu tun hat.“

Strawinskys „Poetik“ besteht aus sechs Vorlesungen, die vor Studenten der Harward-University gehalten wurden. Unter Poetik versteht der Autor — wie die alten Griechen — „die Kenntnis und das Studium gewisser festumrissener Werkregeln“. Wer Strawinskys Autobiographie gelesen und die Entwicklung des Komponisten aufmerksam verfolgt hat, wird nicht erstaunt sein, auch in diesem Büchlein immer wieder den Begriffen Arbeit, Ordnung und Konstruktion zu begegnen. Trotzen die Ausführungen Strawinskys den Charakter eines Bekenntnisses, ja geradezu einer Apologie der eigenen Ästhetik tragen, wird man ihnen — da sie aus dem Konkreten, aus dem musikalischen Material und seinen Ordnungsgesetzen abgeleitet sind — weitgehende Allgemeingültigkeit zuerkennen. Besonders aufschlußreich sind die Ausführungen über ontologische und psychologische Zeit, über Analogie und Kontrast, über Melodie und Inspiration, über Gesetz und Freiheit. Die Kennzeichnung als „Revolutionär“ weist Strawinsky entschieden von sich, denn „die Kunst ist ihrem Wesen nach konstruktiv und das Gegenteil von Chaos“. Sehr lebhaft ist die Polemik gegen das Musikdrama und dessen Traditionslosigkeit, gegen Snobismus, Modernismus und Akademikertum. Eine ganze Vorlesung widmet Strawinsky der Entwicklung der russischen Musik im 19. Jahrhundert und in der Gegenwart, die er einer sehr strengen Kritik unterzieht, welcher man nicht vorbehaltlos zustimmen kann.

Der besondere Vorzug des Büchleins von E. Krenek besteht vor allem darin, daß nur Dinge und Verhältnisse geschildert werden, mit denen der Autor im Laufe seiner mehr als zehnjährigen Wirksamkeit in den Vereinigten Staaten in Berührung gekommen ist. Also ein Stück Kulturgeschichte, „gesehen durch ein Temperament“. So gewinnen die Porträts der amerikanischen Komponisten vor dem Hintergrund der besonderen historischen und soziologischen Verhältnisse des „Goldenen Westens“ schärferes Profil. (Erster und zweiter Weltkrieg, amerikanisches Nationalgefühl, Rolle der Frau im Kunstleben, Musikerziehung, Gewerkschaften, Verlagswesen usw.) Bei der Beurteilung der einheimischen und der eingewanderten Komponisten ist Krenek alles andere als unparteiisch. Krenek hat sich bekanntlich der Schönberg-Sduile angeschlossen und es hagelt Seitenhiebe auf den Neoklassizismus (Strawinsky), Hindemith und die junge „nationalistische“ amerikanische Schule — Urteile, die man zum Teil mit Befremden, zum Teil mit Amüsement zur Kenntnis nimmt. Denn lieber ein mit Geist und Temperament vorgetragenes Fehlurteil als gar keines!

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