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VON NEUEN BÜCHERN

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Europa vor der Entscheidung. Erinnerung und Ausblick eines englischen Politikers. Von Robert B o o t h b y, Droste-Verlag, Düsseldorf. 543 Seiten

Der Name Robert Boothby ist dem Europäer des Kontinente nicht gerade im Ohr. In England aber kennt man recht gut jenen konservativen Politiker, der ohne Unterbrechung seit 1924 den schottischen Wahlkreis East-Aberdeen im Unterhaus vertritt und dessen hervorstechender Intellekt ebenso wie sein selbständiges — be66er vielleicht: eigenwilliges — Denken Im Lager seiner Fraktion zugleich geschätzt und auch gefürchtet werden. Robert Boothby ist auch wirklich nicht das, wa6 man einen bequemen Parteigänger nennt. Immer bereit zu Kritik, den Kopf allzeit voll mit eigenen Ideen, geht er seinen Weg. Früh geriet er in Widerspruch zu den von ihm persönlich sehr geschätzten, in ihrer Politik aber bekämpften Führern der Konservativen Partei, die zwischen den beiden Weitkriegen das Staateruder in ihren Händen hielten. An ihrer Wirtschaftspolitik kritisierte er das abstrichlose' Festhalten an den liberalen Wirtechafte-thesen des 19. Jahrhunderte, während er selbst schon damals Ausschau hielt nach jenem dritten Weg“ — mitten hindurch zwischen dem „Laissez faire“ und den kollektivistischen Auffassungen. Die britische Außenpolitik aber fand Boothby zunächst wegen ihrer Ideenarmut odios, später zählte er zu jener Fronde, die unter der Führung von Churchill und Eden der Politik des Apeasement gegenüber Hitlerdeutechland scharf den Kampf ansagte. Als parlamentarischer Unter-6taatssekretär im Ernährungsministerium des, Kriegskabinetts hatte er dann Gelegenheit, von der Opposition zu konstruktiver Arbeit hinüberzuwechseln. Mit Erfolg. Beinahe auf sich allein gestellt aber war Boothby lange Jahre, in denen er nach verschiedenen Reisen durch die Sowjetunion für einen Modus vivendi mit Rußland, 6päter aber, als der Schatten Hitlers größer wurde, für ein Bündnis 6ich aussprach. Die Konferenzen von San-Franzlsko und Potsdam, auf denen, wie Boothby erkennt, „die Atlantik - Charta mit Zynismus zum Fenster hinausgeworfen wurde“, zerstörten dieses Konzept

Erjnnerungen und Erlebnisse füllen den ersten Teil des vorliegenden Buches. Die Memoiren europäischer Politiker und Diplomaten, nicht zuletzt die Winston Churchills, erfahren in manchen Einzelheiten eine wertvolle Ergänzung. Die Schilderung verschiedener politischer Begegnungen Boothbys auf seinen zahlreichen Europareisen sprechen den Leser besonders an. Mit oft nur kurzen sarkastischen, aber um so charakteristischeren Bemerkungen — Brüning: „der einsame fromme Mann'i Papen: „ein gut angezogener Fuchs“ — erfaßt er den Charakter seines Gegenüber. Der Österreicher aber ist Boothby außer für scharfe Worte gegen die Duldung von Mussolinis Südtirolpolitik für die Bewahrung einer Gedäditnteskizze über eine Begegnung mit Laval zu Dank verpflichtet. Damals — der Krieg hatte bereite begonnen — sagte Laval: Die letzte Chance, Europa vor Hitler zu retten, war nicht das Rheinland, sondern Stresa. Österreich war di entscheidende Bastion Europas. Fiel Österreich, so mußte auch die Tschechoslowakei fallen und nach ihr alles übrige ...“

Boothbys politische, wirtschaftliche, aber auch, philosophische Gedanken bilden den zweiten Teil. Ein reger Gei6t entfaltet seine Ideen. Soweit sie der Politik gehören, folgt man ihnen mit Interesse, obwohl nicht zu leugnen i6t, daß die erste Hälfte des Werkes eine größere Anziehungskraft ausübt. Zu guter Letzt tut Boothby aber etwas, was besser unterblieben wäre. Er verirrt 6ich in das Gebiet der Religion6philosophie und versucht, anknüpfend an Gedankengänge Bernard Shaws, eine Unvereinbarkeit der Lehre Christi und der Gedankenwelt Paulus' zu konstruieren. Ob der englische Politiker, der so kompromißlos sein Konzept „Stop Hitler“ verfolgt hat, weiß, daß er mit solchen Spekulationen den Beifall Alfred Ro6enbergs und seines Kreises gefunden hätte ... ?

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