Von Orpheus bis zum Opel

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Patrick Süskinds Essay "Über Liebe und Tod".

Unter den Arbeitern im Weinberg der Literatur ist es eine Binsenweisheit, dass es eigentlich nur zwei Themen gibt, mit denen sich Fiktionales beschäftigt: Liebe und Tod. Und zwar deshalb, weil es die beiden einzigen wirklich relevanten Themen der menschlichen Existenz sind - bei der Geburt sind wir zwar dabei, aber noch zu klein und zu unvorbereitet, um sie als entscheidendes Ereignis würdigen zu können.

Wenn nun ein Buch erscheint, das den unbescheidenen Titel Über Liebe und Tod trägt, kann ein nach den tieferen Gründen des Daseins schürfender Leser nicht anders als es zur Hand zu nehmen. Wenn es überdies noch von einem der bekanntesten lebenden Autoren deutscher Sprache ist, dann schrauben sich die Erwartungen auf Schwindel erregende Höhen. Einen Dämpfer erhalten diese Erwartungen, wenn man das Buch in die Hand nimmt - 64 Seiten, darunter zwei Seiten Werbeinformationen zu Autor und übrigem Werk. Das soll alles sein?

Nun ist Patrick Süskind, abgesehen von seinem Erfolg, für Zweierlei bekannt: Er ist außerordentlich publikumsscheu und er schreibt nicht viel. Die Werke sind schnell aufgezählt: Das Stück Der Kontrabass von 1981, der Roman Das Parfum von 1985, die Erzählungen Die Taube und Die Geschichte von Herrn Sommer von 1987 und 1991, die kurzen Drei Geschichten und eine Betrachtung von 1995. Dazu die Mitarbeit an Drehbüchern für Erfolgsserien und-filme (Monaco Franze, Kir Royal, Rossini), zuletzt, wieder mit Regisseur Helmut Dietl, zu Vom Suchen und Finden der Liebe. Mit diesem 2005 erschienenen und von der Kritik nicht gerade mit Lob überschütteten Film hängt auch Süskinds Essay zusammen, er erschien erstmals in einem Begleitbuch zum Film.

Beispiellos erfolgreich und bereits durch Literaturkritik wie Literaturwissenschaft kanonisiert sind Der Kontrabass und Das Parfum, dessen Verfilmung ja erst kürzlich im Kino lief. Der vorliegende Essay wird - um das vorhersagen zu können, muss man kein Hellseher sein - keine so tiefe Spur in der Literaturgeschichte hinterlassen. Hier ein paar Gründe, weshalb man dies durchaus bedauern kann.

Trotz der geringen Länge seines Essays durcheilt Süskind ein ungeheures Feld literarischer, religiöser, philosophischer und alltäglicher Beschäftigung mit Liebe und Tod. Es gibt wenige Autoren, denen man dies abnehmen würde, aber Süskind gehört zu ihnen. Wie auf Siebenmeilenstiefeln eilt er durch Zeiten und Literaturen, von Augustinus zu einem Pärchen in einem Opel Omega, von diesem zu kontrastierenden Paarbildungen und zurück in die klassische Literatur, zu Vergil und Platon etwa, wieder zurück in die Gegenwart zu Philippe Ariès' Geschichte des Todes, mit einem Abstecher ins 19. Jahrhundert (Tolstoi, Flaubert, Fontane …). Thomas Mann, Kleist und Goethe werden als Kronzeugen der Verbindung von Liebe und Tod in den Zeugenstand gerufen, ihre Aussagen penibel überprüft. Richard Wagner wird bescheinigt, den Fall in Tristan und Isolde in eindrucksvoller Weise verhandelt zu haben, "wenngleich, wie sich's für eine Oper geziemt, in deutlich primitiverer Sprache." Dafür aber mit dem "längsten Orgasmus der Musikgeschichte", der Ton gewordenen Klage Isoldes über Tristans Tod. Abschließend verhandelt Süskind die Frage, wem, wenn es um den Umgang mit Liebe und Tod geht, mehr Sympathie gebührt - Jesus oder Orpheus. Wer bis zu diesem Punkt gekommen ist, der ahnt schon, für wen sich der Autor entscheiden wird.

Das ist nicht alles neu, aber originell in der Darbietung und Kommentierung bedeutender Autoren und großer Erzählungen der Literaturgeschichte. Aus seinen Beispielen, zu denen das Pärchen im Opel und Thomas Manns letzter homoerotischer Schwarm zählen, zieht Süskind (auch wenn ihm die Subtilität Manns deutlich lieber ist) den demokratischen Schluss: "Es manifestiert sich in der Verliebtheit und in der Liebe eine gehörige Portion Dummheit." Gegenbeispiele lassen sich finden, wenn es ernster wird und es um die "erotische Sehnsucht nach dem Tod" geht.

Süskinds Essay ist wie eine Achterbahn. Die Fahrt dauert nur kurz, aber sie nimmt einem den Atem. Und man erklimmt spektakuläre Höhen mit entsprechenden Aus-oder Einsichten. Schade, dass es schon vorbei ist, werden eingefleischte Süskind-Fans nach der Lektüre denken. Aber es gibt ja den "Nachweis" der Literatur am Ende des Büchleins, der unaufdringlich Werbung für zeitlos Lesenswertes macht, und die früheren Werke Süskinds, die man im Lichte des ebenso klugen wie witzigen Essays neu lesen kann.

Über Liebe und Tod

Essay von Patrick Süskind

Diogenes Verlag, Zürich 2006

64 Seiten, kart., € 7,10

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