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VON PARIS BIS TEHERAN

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Schon als ganz junger Kritiker und Schriftsteller vertrat ich die Auffassung, daß es für jeden Rezensenten künstlerischer Darbietungen, mögen sie nun der Sphäre des Theaters, des Films oder der Musik entstammen, nur von Vorteil wäre, wenn er sich durch persönliche und praktische Mitarbeit Eindruck und Begriff vom Entstehen einer künstlerischen Leistung und der sie beeinflussenden Schwierigkeiten und Unwägbarkeiten verschafft. Erst aus dieser zweifachen Sicht, gewissermaßen vor und hinter den Kulissen, gewinnt er meiner Meinung nach den Abstand von den Dingen und jenes notwendige Maß einer durch die eigene Persönlichkeit gefilterten Objektivität, die ihn zu einer möglichst gerechten Beurteilung und Würdigung des schöpferischen Wirkens anderer Menschen befähigen. Dies nur als gedanklicher Auftakt zu den skizzenhaften Aufzeichnungen aus meiner organisatorischen Tätigkeit, die aus einer jahrelangen freundschaftlichen Zusammenarbeit mit dem französischen Mm- und Fernsehproduzenten Georges Glass erwachsen ist und die mich nun fünf Monate lang von Paris bis nach Teheran führte.

Der Auftakt unserer Arbeit in Paris — wir hatten das erste Drittel einer 39 Episoden umfassenden Serie „Les reporters autour du monde” (Reporter auf der Reise um die Welt), die von der Franco-London-Film für das französische Fernsehen in Farbe hergestellt wird, zu drehen — stand gleich unter dem Zeichen einer gewissen Improvisation, die im Metier „Film und Fernsehen” oft eine entscheidende Rolle spielt. Im Positiven und im Negativen. Doch das stellt sich meist erst heraus, wenn man das Produkt auf der Leinwand oder dem Bildschirm sieht. Tagelang hatten Regieassistent und Aufnahmeleiter nebst Gehilfen Autogaragen und Autoverleiher abgeklappert, um einen Citroen 2 CV ganz bestimmter Färbung, die sich Regisseur Claude Boissol vorstellte, zu finden. Bis zum Morgen des ersten Drehtages war nichts geeignetes entdeckt worden. „Wenn alle Stricke reißen, engagiere ich eben kurz vor der Aufnahme irgendeinen 2 CV von der Straße weg”, meinte zuversichtlich Regieassistent Philippe Lefranc. Damit war jedoch mir wiederum nicht viel gedient, denn ich hatte für den gleichen Tag meinen Abflug nach Marseille zur Vorbereitung der dortigen Aufnahmen festgelegt. Ohne zu wissen, wie denn das Fahrzeug aussieht, für das ich in Marseille ein in Farbe und Konstruktion vollkommen ähnliches Pendant bereitstellen sollte, verließ ich die Seinemetropole. Zu Boissols und Lefrancs Freude fand sich dann auch wirklich im letzten Moment der Privatbesitzer eines ihren Intentionen in Farbe und Schnitt entsprechenden Wagens, der ihn kurz für die Pariser Aufnahmen zur Verfügung stellte. Mit der telegraphischen Mitteilung, einen grünen Citroen eines bestimmten Baujahres ausfindig zu machen, ging ich nun in der Hafenstadt auf die Suche. Nach geraumer Zeit schwamm es mir infolge der verschiedenen Nuancen von Grün, die sich mir in dieser Wagenklasse anboten, vor den Augen. Kurz entschlossen bestellte ich ein halbes Dutzend für den Ankunftstag des Regisseurs zur Ansicht vor das Hotel. Leider entsprach keiner der in Paris gehabten Farbe. Regisseur „Zufall” führte uns dann aber doch eine halbe Stunde vor der bewußten Szene mit dem Wagen auf dem von Touristen und Einheimischen dicht bevölkerten Hafenkai von Marseille, das gesuchte Fahrzeug über den Weg. Von einer kleinen Sorge befreit, die jedoch unser zeitliches und finanzielles Konzept schon am Beginn unserer Reise um die halbe Welt hätte in Unordnung bringen können, atmeten Glass und ich auf. Schließlich waren wir beide für den reibungslosen und wirtschaftlich-rationellen Ablauf der Dreharbeiten der 13 Episoden von je einer halben Stunde in acht verschiedenen europäischen und asiatischen Ländern verantwortlich.

Menschenkenntnis und psychologisches Einfühlungsvermögen sind wesentliche Voraussetzung eines solchen Unternehmens, bei dem eine Gruppe von 15 Individualisten unterschiedlicher Nationalität — es waren Franzosen, Amerikaner, Engländer, Luxemburger und Österreicher beisammen — täglich durch viele anstrengende und aufreibende Arbeitsstunden unter oft drückenden klimatischen Bedingungen mehr oder minder auf Gedeih und Verderb miteinander verbunden ist und sich überdies noch, umgeben von einer fremdartigen Mentalität in den Ländern des Mittleren und Fernen Ostens, menschlich, künstlerisch und wirtschaftlich behaupten muß.

Einen kleinen Vorgeschmack auf die aus diesem Generalthema erwachsenden Schwierigkeiten bekamen wir schon am Drehort der vierten Episode, in Palermo. Herrlich blaute der Himmel über der Bucht von Mondello, an deren Strand sich unsere zwei männlichen Hauptdarsteller, ein junger Franzose und ein etwas älterer Amerikaner, am ersten freien Tag nach harter Dreharbeit mit den Angehörigen des technischen Aufnahmestabes tummelten. Nur Georges Glass, Regisseur Boissol, Chefkameramann Louis Stein und mir war in dieser Dolce-far-niente-Stimmung weniger fröhlich zumute. Hatte uns doch ein Telegramm aus Paris verkündet, daß man sich nach immerhin vier Drehwochen ernstlich mit dem Gedanken trage, den französischen Hauptdarsteller aus verschiedenen künstlerischen Erwägungen auszuwechseln, wenn sich innerhalb kurzer Frist ein besser entsprechender Ersatz finden ließe. Schon am nächsten Tag flogen Regisseur und Chefkameramann unter dem Vorwand technischer Überprüfung des bisher eingesandten Materials zur Klärung der recht prekären Situation nach Paris, während wir beide uns in Palermo bemühten, die unvorhergesehene Pause möglichst plausibel und unverfänglich erscheinen zu lassen.

Nach fünf Tagen eines sich aus immer dringlicheren Fragen und Vermutungen erhitzenden Fegefeuers erfolgte dann tatsächlich der Austausch, und mir fiel die nicht einfache Aufgabe zu, den aus schauspielerischen Erfolgsträumen niedergestürzten jungen Mann wieder ein wenig aufzurichten und ihn bei meinem Flug zur nächsten Etappe, Istanbul, bis nach Rom zu betreuen. Wobei ich unauffällig darüber wachte, daß er auch wirklich in die Maschine nach Paris einstieg, wo ihn dann die von mir telegraphisch unterrichteten Kollegen sogleich unter ihre Fittiche nahmen. Daß dieses Ereignis nicht nur einen Rattenschwanz von telegraphischen, brieflichen und telefonischen Umdispositionen von Hotelreservierungen und Engagements in Aussicht genommener lokaler Mitarbeiter — für viele konnte ich wegen der zeitlichen Verschiebung erst an Ort und Stelle mühsam Ersatz finden — nach sich zog, sondern auch alle sorgfältig ausgearbeiteten Drehpläne und Kalkulationen über den Haufen warf und oft blitzschnelle Ad-hoc-Entscheidungen notwendig machte, sei nur am Rande vermerkt. — Regisseur und Chefkameramann aber waren von diesem Zeitpunkt an für die restlichen vier Monate lediglich auf die Berichte der Kopieranstalt und die mehr oder minder ausführlichen Urteile derjenigen angewiesen, die in Paris die Muster besichtigten.

Kaum hatten wird diese nervenzehrende Unterbrechung einigermaßen verdaut, ballten sich am Himmel der Weltpolitik dunkle Wolken zusammen. Indien und Pakistan, der ergebnislosen Gespräche um den Kaschmirkonflikt müde, drängten plötzlich mit Panzern, Flugzeugen und Bomben auf eine kriegerische Lösung. Auf unserem Konzept aber standen zwei Episoden, die im indischen Dschungel und in den Palästen des Maharadschas von Jaipur spielen sollten. Beunruhigt verfolgte ich in Istanbul die Lageberichte von der Front zwischen Lahore und New Delhi, die zusammen mit den Erzählungen der ersten aus dem Kampfgebiet an der Türkei eintreffenden Flüchtlinge für mich in bezug auf unser indisches Vorhaben immer mehr zu wahren Hiobsbotschaften wurden. Noch saß ich allein am Goldenen Horn, aber schon in wenigen Tagen würde unsere Equipe aus Palermo eintreffen, und ich müßte mich auf den Weg machen. Doch wohin? Daß wir den Sprung in das kriegerisch brodelnde Indien nicht wagen konnten, war mir ziemlich klar. Die Verantwortung für eventuelle Verluste von Menschen und Material war zu groß. Aber selbst ein Eingeschlossensein aus Mangel an Transportmöglichkeiten vielleicht für einige

Wochen konnten wir unter keinen Umständen riskieren. Lange Zeit zum Überlegen und zum Finden eines brauchbaren Ersatzes jedoch hatten wir auch nicht.

Eine nochmalige Arbeitspause von längerer Dauer konnten wir uns schon aus budgetären Gründen nicht leisten. Gleich nach dem Eintreffen meiner Freunde eruierten wir in nächtlicher Diskussion zwei brauchbare Ausweichmöglich- keiten: Ceylon oder Iran. Mit unasiatischer Hast und Dringlichkeit durchgedrückte Recherchen überzeugten uns schon nach kurzer Frist, daß Ceylon infolge zeitlich ungünstig liegender Flugverbindungen für uns nicht in Frage kam. Blieb nur der Iran. Hatten Glass und Boissol in allen anderen Ländern während einer vorangegangen Motivsuche die ersten Fühler ausgestreckt, so war der Sprung nach Teheran für uns ein Vorstoß in eine absolute „terra incognita”. Kein Mensch dort, weder die einheimischen Behörden noch die diplomatischen Repräsentanten Frankreichs im Reich des Schahs wußten von unseren Absichten. Wir hatten auch gar keine Zeit, sie noch vorher darüber zu informieren. Boissol bat mich nur, Motive und szenische Auflösungen ausfindig zu machen, die eine Umwandlung der für den indischen Dschungel geschriebenen Szenen des Drehbuches in die Szenerie der Teheran umgebenden Salzwüste und der kahlen Flanken des Elbrusgebirges glaubhaft untermauern. Für all das, angefangen von der Quartierbeschaffung — infolge des immer stärker werdenden Flüchtlingsstromes sehr problematisch — über die Motivsuche, die notwendigen behördlichen Genehmigungen bis zum Auswahlen lokaler Schauspieler und Mitarbeiter (mit französischen Sprachkenntnis- sen) sowie unentbehrlicher Requisiten und Transportmittel hatte ich genau vier Tage, von Sonntag morgen bis Mittwoch abend, Zeit.

Ich kannte niemand in Teheran. Dabei sind doch gerade in einem solchen Fall Verbindungen, Beziehungen und Empfehlungen oft das Allerwichtigste. Mit Vertrauen auf Gottes und Allahs Hilfe sowie voll bescheidener Hoffnung auf ein bißchen Glück und die Unterstützung durch die offiziellen französischen Vertreter stieg ich an einem Samstagnachmittag auf dem Istanbuler Flughafen Jesiköy in die vierstrahlige Jet-Maschine der Panam, nicht wissend, ob ich in dieser Nacht mein müdes, sorgenbeladenes Haupt auf dem Kissen eines Hotelbetts oder auf den Stufen einer alten persischen Karawanserei werde niederlegen können, wie mir meine Kollegen beim Abschied leicht höhnisch zuraunten.

TRW eichen Einf luß der unberechenbare Faktor „Glück” bei W derartigen „Ritten über den Bodensee” nehmen kann, sollte ich noch am gleichen Abend zu meinem Gunsten erfahren. Eine bei kurzer Zwischenlandung in Ankara geschlossene Bekanntschaft mit einem nach Teheran reisenden Repräsentanten der Bayer-Werke aus Leverkusen enthob mich zunächst aller Transport- und Quartiersorgen. Ein seit 30 Jahren in Persien lebender Bayer-Vertreter nahm sich meiner mit größter Freundlichkeit an, verschaffte mir sofort trotz beängstigender Überfüllung ein Hotelzimmer. Am nächsten Morgen akzeptierte der Hotelbesitzer nicht nur die Reservierungen für den nachfolgenden Stab, sondern verschaffte mir noch am Sonntagvormittag Zutritt bei dem mit ihm befreundeten Staatssekretär für Tourismus, dessen Mitarbeiter mich noch am gleichen Tag — zum Glück ist der Sonntag bei den Moslems normaler Wochentag — an einen der nettesten Ministerialbeamten, dem ich auf der ganzen Reise begegnet bin, Dr. Razi, weiterreichten. Mit seiner Hilfe hatte ich am Montag eine Besprechung mit Informationsminister General Hassan Pakravan und damit das Placet für unsere Dreharbeit, die programmgemäß drei Tage später nach Ankunft der Equipe begann.

Der zweite Teil unserer Aufzeichnungen unseres Mitarbeiters folgt auf de nächsten Fernsehsonderseite.

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