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Von Schütz zu den Jüngsten

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Das Vokalensemble „Wiener- Schütz-Kantorei” sang in der Franziskanerkirche die Choralpassion op. 7 von Hugo Distier und die Musikalischen Exequien von Heinrich Schütz. Zwischen beiden Werken spielte Otto Bruckner auf der Orgel zwei Choralvorspiele von Johann Gottfried Walther. Das singende Ensemble, das sich absichtlich nicht Chor nennt, hat gute frische Stimmen, junge Leute, die durch ihre Leistung bewiesen, daß sie ernste Arbeit zu vollbringen vermögen. Augustin Kubizek, der Dirigent, hatte die Sänger gut in der Hand und wußte ohne große Gestik schöne Wirkung zu erzielen. Daß die Wiedergabe dennoch überfordert klang, mag zum Teil auf den kalten Raum (die Kirche war zwar geheizt, aber nicht erwärmt) zurückzuführen sein. Dennoch schien uns zumindest Distiers Passion auch in der Gestaltung nicht lückenlos durchgearbeitet. Sehr wirksame wechselten mit schwachen Stellen. Von den Solisten erfüllten Johannes Demetz (Evangelist) und Gerd Fussi (Jesus) stimmlich und ausdrucksmäßig ihre Aufgabe am besten. Bei der Komposition von Schütz wirkten instrumental mit Otto Bruckner am Orgelpositiv und Heinz Karl Gruber (Kontrabaß).

Im vierten Konzert des Symphoniker-Zyklus dirigierte Wolfgang Sawallisch Beethovens Neunte Symphonie. Das in seiner Einmaligkeit immer wieder aufrüttelnde Werk vereint die Freunde aller Musikrichtungen zu gleichem ehrfürchtigem Staunen vor diesem reinsten Bilde des Menschen. Und die Wiedergabe stellt höchste Anforderungen an alle Beteiligten. Sie war unter der Leitung Sawallischs von absoluter Sauberkeit und Präzision, jeder Bogen und jedes Motivehen kam zu seinem Recht, und doch wurde das perfekte Handwerkliche erst im Schlußsatz überwunden und zu metaphysischer Wirkung gesteigert, nicht zuletzt durch den von Dr. Reinhold Schmid einstudierten, auswendig singenden Chor des Wiener Singvereins, dessen Homogenität und Klangschönheit eine Tiefenwirkung erzielte, die erschütternd wirkte. Von den Solisten war der tragende Sopran von Gundula Janowitz im Register ungleich, Margarethe Sjöstedt (Alt) setzte sich kaum durch (die Alte haben’s immer 6chwer), der Tenor (Claude Hector)klang nicht sehr schön; blieb der gut und voll, manchmal zu voll tönende, aber stilistisch am besten eingesetzte Baß von Walter Kreppei. Die Kunst des Dirigenten, dem das Orchester minutiös folgte, verstand trotz dieser Schönheitsfehler ein großes Erlebnis zu gestalten.

Der Violinabend von Henryk Szeryng (Klavierbegleitung Marinus Elipse) ließ schlechthin vollkommenes Geigenspiel in Werken von Jean Marie Leclair, Brahms (Sonate G-Dur, op. 78), J. S. Bach (Partita Nr. 2, d-Moll, für Violine allein), Manuel Ponce (Sonate brėve) und Maurice Ravel (Tsigane) hören. Mit den ersten Bogenstrichen waren Niveau und Persönlichkeit legitimiert, und man war überzeugt, daß es kein Absinken geben würde. Im Gegenteil fühlte man sich bei Bachs Partita auf einsamem Gipfel. Das auch heute noch unglaublich schwierig zu spielende Werk war gleichsam von jeder Technik befreite, mehrstimmige Musik auf einem Melodieinstrument. Der zweite Höhepunkt war Ravels „Tsigane”. Kaum je hat man dieses Stück so klar und in seiner Apotheose der Zigeunermusik erschlossen gehört. Etwas distanziert wirkte die Geige in der Sonate von Brahms. Das hier wohl zum erstenmal gespielte Stück von Manuel Ponce (Mexiko) mischt indianische Musikelemente in eine impressionistische Substanz. Die Begleitung bemühte sich in allen Stücken um taktvolle Diskretion. Franz Krieg.

Dr. Karl Böhm begann das von ihm geleitete 5. Abonnementkonzert der Philharmoniker mit Beethovens 2. Symphonie, die bekanntlich nicht gerade die „zügigste” unter den neun Schwestern ist. Er musizierte sie sehr lyrisch, fast im Stil Schuberts, auf den sie ja auch hinführt. Der zweite Teil des Programms war Strawinsky gewidmet. Das vor genau 20 Jahren für Paul Sacher und das Basler Kammerorchester geschriebene Concerto in D für Streichorchester zählt nicht zu den inspi- riertesten Kompositionen des großen Meisters und ist in seiner neoklassizistischen Trockenheit zudem auch gewissermaßen gegen den Vortragsstil der Wiener Philharmoniker geschrieben. Allen Glanz und sein ganzes Tonvolumen entfaltete das Orchester unter Dr. Böhms erstaunlich jugendlich-elastischer Leitung erst in Strawinskys bekannter Suite von 1919 aus dem Ballett „Der Feuervogel”, mit dem der Komponist zehn Jahre vorher mit Diaghilew in Verbindung und in die zeitgenössische Musikarena getreten war. Lebhafter, langanhaltender Beifall nach diesem triumphalen Schluß.

Mit der Note „wenig befriedigend” muß man leider den ersten Teil des 4. Konzertes der Reihe „Bach und die Moderne” belegen. Es lag nicht an dem aufmerksam und präzis musizierenden Rundfunkorchester unter der Leitung des schlagtechnisch gewandten MÜtiades Caridis, daß die beiden Concerti von Heinz Karl Gruber (Jahrgang 1943) und Heimo Erbse (geboren 1924 in Thüringen) einen recht flüchtigen Eindruck hinterließen. Der junge Wiener H. K. Gruber, Absolvent der Akademie und Schüler prominenter Kompositionslehrer, hat sein fünfteiliges, eine knappe Viertelstunde dauerndes „Concerto für Orchester” bereits 1960 geschrieben. Es zeigt ein bewegliches Talent, aber noch kein Profil. Bei Erbse’s „Konzert für Klavier und Orchester” op. 22 liegt der Fall schwieriger. Der Komponist hat sich formal etwas bei seiner Arbeit gedacht (wie seine Selbstanalyse im Programm bezeugt), und seine kompositorische Fingerfertigkeit ist erstaunlich. Aber die 23 Minuten dehnen sich auf Stundenlange, es passiert ständig etwas, aber es geht musikalisch nichts vorwärts. Lediglich der Klavierpart, von Horst Gobei aus Berlin tadellos ausgeführt, ist in seiner Dürre (meist nur ein- oder zweistimmig, in Oktaven oder in Art der Bachscheo Inventionen geführt) einigermaßen originell. — Um so eindrucksvoller darnach Anton Heillers jüngste Kantate „In principio erat verbum” für Tenorsolo, Chor, Orgel und Orchester (Anton Kaposy und Hans Haselböck). Hier spricht vom ersten Takt an ein geborener Musiker zu uns in seiner eigenen, vergeistigten Sprache, der zugleich auch sein Handwerk — wie wohl wenige seiner Generation — beherrscht. In den beiden Orchesterzwischenspielen schlägt er einen weltlicheren Ton an, mit grelleren Farben und viel Schlagwerk — auch das kann er. Am ergreifendsten wohl der Chorsatz „Quotquot autem receperunt eum” und das Orgelzwischenspiel vor dem „Deo gratias”. — Gewissermaßen als Einlage erklangen zwei von Arnold Schönberg instrumentierte Choralvorspiele Bachs, die an dieser Stelle bereits besprochen wurden.

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