6615808-1955_30_11.jpg
Digital In Arbeit

Von schwarzen Sonnen und heiterem Gemut

Werbung
Werbung
Werbung

Die Zeichnung ist dort am stärksten, wo sie impulsiv heraustritt aus dem Geschehen, aus dem sterbenden Tag, der Gasse, dem Fischmarkt, aus der Landschaft, aus der ans Wunderbare grenzenden Welt des Künstlers. So ist es bei Anton Steinhart, der jährlich von Salzburg aus zu den Orangen und Palmen reist, das Meer entlang, durch gelbe Küstenstreifen, immer nah der Sonne, die nirgendwo so rot und sinngebend aus den Ufern steigt wie zwischen Murano und Ischia. Steinharts Rohrfederzeichnungen sind keine Erzählungen, sie sind wie die Gedichte Rimbauds, brennend und geheimniserregend, furchtbar manchmal in ihrer Schönheit, unerbittlich in der Kraft der Gesichter, die in den Zeitläuf gebannt sind. Das Leben ist sündhaft, die Kunst ist Sünde; Die ekstatische Härte des Striches in den Tuschporträts ist auch in den Landschaften unvermindert. Ueber hundert Blätter aus Sardinien, beiläufig und wohlgeordnet in der Galerie Welz verstreut, atmen die Frische des Augenblicks. Cagliari aus Finsternis und Schwüle, das Meet, der Garten von Alghero, schwarze rollende Morgensonnen, Tagewerker am Anfang und Ende der Welt, Hügelrücken und Karsthänge schaffen ein schweres und reifes, von der ständig und nie alternden Sonne Italiens überflutetes Reise- und Tagebuch. Nach den Blättern aus Ponza vom Vorjahr ein neues noch tieferes Werk — ein Stück Weisheit.

Im selben Hause in der Siegmund-Haffner-Gasse: Alfred Wickenburg, mit Wilhelm Thöny Gründer der Grazer Sezession, ein Komponist der kräftigen Farben mit stark konstruktivem Zug. Mehr als fünfzig Gemälde aus der langen Schaffensperiode legen das Zeugnis des Künstlers ab. Die Anordnung der Bilder ermöglicht es, Wickenburgs vier Jahrzehnte der Malerei, das sind vier in sich geschlossene Landstriche seiner eigenen Position, zu durchschreiten. Die Wandlung vollzog sich klar in der Form. Es sind, so scheint es, vier Gemälde, um die sich die Ausstellung gruppiert: „Porträt einer Tänzerin“, „Die überraschte Schläferin“ mit den saugenden Farben Chagalls, „Artisten“ und das „Märchen“. Das sind die Stützen einer Künstlerschaft, die Wickenburg eigen ist und die heute souverän auf irgendeinem Gipfel der österreichischen Malerei (neben Boeckl, Thöny und Kolig) stünde, hätte sie die Abstraktion, die „Vergeistigung“ als ihre einzige Sicherung erkannt, und aufgenommen.

An der Salzach, im Künstlerhaus, schloß eine dritte Ausstellung gerade die Pforten. . Rudolf H r a d i 1, jung und vielgereist, zeigte Gemälde und Zeichnungen. Das, was so selten geworden ist, ist ihm zu eigen: Persönlichkeit! Kunst ist keine Formation. Hradil, bei Fernand Leger im Handwerk geschult, hat es geschafft. Was heute zu sehen ist, hat auch Charakter. Seine Gemälde sind Dokumente der Zeit und daher gültig. Nicht nur von heute auf morgen. Dunkle Visionen, strenge Gesänge eines Gläubigen, Philosophie der Farben. Auch ihm gibt der Süden einen Impuls, „Venedig“ und „Rom“ sind die Themen, Kraftwerke und die Ecken der Besoffenen. Die Zeichnungen sind nicht minder prägnante „Ergebnisse“. Endlich einer, der nicht nach den eisten fünf Bildern „keimfrei“ und gealtert ist.

Bleibt am Ende unseres Rundganges nur noch ein Abstecher in die Residenz, wo der „Kuustverein“ Applikationen Veronika M a 1 a t a s zeigt. Das ist wirklich erfreulich, spazieren zu gehen zwischen den Bildern aus Stoffresten, Tüll und Seide, Samt und Bauernleinen. Die Urgroßmütter haben das auch schon für ihre Totenkleider verwendet. Aber wie neu und erfrischend ist oft das Alte! Und dann noch die Phantasie, die so schöne moderne Gebilde wie den „Jonas“ und seine Geschichte entstehen lassen. Nicht hohe Kunst ist, was Veronika Malata da an die Wände gezaubert hat. Sie stickte und nähte fünfzehn Jahre lang und weiß heute gar nicht, daß es Seligkeit ist, die herauskam. Seligkeit aus bunten Stoffen und einem heitern Gemüt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung