Von selbst wird die Welt nicht besser

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Die Autobiografie eines außergewöhnlichen Historikers erzählt eine andere Geschichte des 20. Jahrhunderts.

Eric Hobsbawm gehört zu den bedeutendsten Historiker des 20. Jahrhunderts. In seiner Autobiografie erzählt er nun seine eigene Geschichte. Aus einer jüdischen Familie kommend, in Ägyptens Alexandrien geboren und in Wien Hietzing aufgewachsen, erfolgte die Prägung des Lebens durch jenen kulturellen Stempel, der nicht nur, aber vor allem bei den jüdischen Emigranten anzutreffen war und ist. Literatur, Theater, Oper, Galerien: das war ein Teil des Programms, das für die Jugendlichen selbstverständlich war.

Die andere Prägung für den jungen Eric - das Jüdische - hatte nicht viel mit Religion zu tun. Wenn es etwas Jüdisches gab, "dann die von allen geteilte Annahme, dass die Familie ein Netz sei, das sich über Länder und Meere hinweg streckte, dass der Wechsel des Wohnsitzes von einem Land in ein anderes ein normaler Bestandteil des Lebens sei und dass für Menschen, die ihr Geld mit Ankauf und Verkauf verdienten [...] die Sicherung des Lebensunterhaltes eine ungewisse und unberechenbare Sache sei."

Die Lebensumstände der Hobsbawms waren keineswegs rosig, der Vater sah nach der Wirtschaftskrise eine Lösung der prekären Situation nur mehr im Selbstmord und die Mutter, die sich als Literatin versuchte und teilweise Erfolg hatte, starb früh. So übersiedelte Hobsbawm im Jahr 1931 mit seiner Schwester nach Berlin und später zu Verwandten nach England.

Ein Leben in Brüchen

Ein Engländer unter Mitteleuropäern, ein Einwanderer vom Kontinent in England, ein Jude, ein Antispezialist in einer Welt voller Spezialisten, ein polyglotter Kosmopolit, ein Intellektueller. Eric Hobsbawm ist mehr, er ist nicht nur ein Linker, er war Kommunist und dies sehr lange... Eigentlich ist er nie aus der KP ausgetreten bis zu deren Auflösung 1991.

Die Art, wie er seine Lebensgeschichte geschrieben hat, die Offenheit und Selbstverständlichkeit, das zeichnet ihn aus. Das beginnt bereits mit der Schilderung seines Eintritts ins politische Leben. Bei einem Besuch in Weyer in Oberösterreich freundet er sich mit dem gleichaltrigen Peter an, dessen Vater Eisenbahner war, obwohl sich dieser "nicht erkennbar für öffentliche Angelegenheiten interessierte, war es auch für ihn selbstverständlich, rot zu sein und irgendwie zwischen dem Zielen mit Steinen auf Forellen und dem Stibitzen von Äpfeln, beschloss ich, auch Kommunist zu werden." In der Schülerbibliothek in Berlin liest der Pfadfinder zum ersten Mal das "Kommunistische Manifest", erlebt die letzten Jahre der Weimarer Republik und organisiert sich in der kommunistischen Schülerfraktion. Während er in der Zeitschrift "Schulkampf" noch nicht als Redakteur tätig ist und lediglich den Kopierer transportiert, beginnt seine Karriere in der schreibenden Zunft nach Absolvierung der St. Marylebone Grammar School in Cambridge. Kein Ort um Kommunist zu werden, doch in den dreißiger Jahren war vieles anders und das "rote Cambridge" der Intelligenz sollte später auch durch die sowjetischen Spione à la Philby Bekanntheit erlangen. Hobsbawm diskutiert, schreibt Filmkritiken für die Zeitung des Cambridge University Socialist Club und hört Jazz, womit ein weiteres Kontinuum die Lebensbühne erobert. Mit dem Jazz war die Dimension einer "wortlosen, blinden, physischen Emotion" eröffnet und er sollte später auch der Schlüssel werden, um ein anderes Bild von der Realität in den USA zu gewinnen. Der schwärmerische Einstieg für den Kampf für eine bessere Welt an der Seite großer Vorbilder wie Georgi Dimitroff, der den Nazis im Reichstagsbrandprozess die Stirne bot, ist nie verflogen. "Der Traum der Oktoberrevolution ist immer noch irgendwo in meinem Inneren da, so wie gelöschte Dateien irgendwo auf der Festplatte eines Computers noch immer darauf warten, von Experten wiederhergestellt zu werden. Bis auf den heutigen Tag beobachte ich an mir, dass ich das Gedächtnis und die Tradition der UdSSR mit einer Nachsicht und Zärtlichkeit behandle, die ich gegenüber dem kommunistischen China nicht empfinde."

Nicht neu erschaffen

Der Grandseigneur der Historikerzunft rekonstruiert seine eigene Geschichte, versucht keine Rechtfertigung und ist nicht von der Sorte jener, die es immer schon gewusst haben. Er bringt sogar Verständnis auf für jene, die Trauer für den Tod Stalins empfunden haben, er verlässt die Partei auch nicht nach der Niederschlagung des Ungarnaufstandes, er reist in sozialistische Länder, pflegt seine Kontakte mit Intellektuellen und trotzdem hat man nicht den Eindruck, es mit einem unverbesserlichen Hardliner zu tun zu haben. Wenngleich vieles plausibel klingt ("Es ist leicht in der Rückschau zu schildern, wie wir vor einem halben Jahrhundert als Parteimitglieder empfanden, aber wesentlich schwerer zu erklären. Ich kann die Person, die ich damals war, nicht neu erschaffen.") dürfen die Zweifel, die beim Lesen hochkommen, nicht beredet fortgewischt werden. Die Realität zu erkennen bzw. nicht zu erkennen war auch eine Sache des Glaubens und dies betraf selbstverständlich nicht nur Hobsbawm, der dies jedoch thematisiert: "Natürlich hatten wir keine Vorstellung und konnten sie unmöglich haben allein vom reinen Ausmaß dessen, was den Sowjetvölkern unter Stalin zu der Zeit aufgezwungen wurde, als wir uns mit ihm und der Komintern identifizierten, und wir wollten auch den wenigen nicht glauben, die uns erzählten, was sie wussten oder argwöhnten." In diesem Fall ist er zu wohlmeinend mit sich umgegangen.

Andererseits scheint ein selbstkritischer Blick auf die eigene Persönlichkeit ein Kontinuum seines Lebens, denn am vorläufigen Ende seines Tagebuches vor dem Wechsel nach Cambridge zeichnet der Student ein Selbstbild eines unverbesserlichen Posseurs, der Revolutionär werden wolle, ohne Organisationstalent zu haben, der sich als Schriftsteller sieht, ohne über Gestaltungskraft zu verfügen. "Er ist eitel und eingebildet. Er ist ein Feigling. Er liebt die Natur sehr. Und er vergisst die deutsche Sprache." Und als er nach dem Krieg heiratet, gesteht er in der Rückschau, dass es ihm nicht eingefallen wäre, eine Frau zu heiraten, die nicht auch in der Kommunistischen Partei war.

Mit Witz und Charme

Da Hobsbawm mit englischem Witz, Charme und Understatement geadelt ist, wird die Lektüre seines Buches zu einem besonderen Erlebnis und der große Unterschied zu herkömmlichen Werken dieses Genres ist es, dass es weit über die unmittelbaren Bekanntschaften und persönlichen Erlebnisse hinausreicht. Ein Beispiel dafür ist die Schilderung der Wandlung Englands, die weit über die dreißiger Jahre hinaus abgeschottet "insulär" war. Für die sozial-kulturelle Entwicklung findet er als Klassifizierung die Kombination von zwei Ereignissen. Alles könne danach beurteilt werden, ob es vor oder nach der Suezkrise und dem fast gleichzeitig ausbrechenden Rock n' Roll geschehen sei. Dass bei so einer Form der Erzählung der Ausgangspunkt, die Person, der Erzähler leicht aus dem Blick verschwindet kann, ist ein Problem. Am Ende wissen wir viel über Schnittpunkte und Brüche des 20. Jahrhunderts, doch der Mensch Hobsbawm ist nicht so ganz greifbar. Doch vielleicht ist auch das ein Phänomen des Jahrhunderts der Gleichzeitigkeit und Veränderungen, die es dem Einzelnen möglich macht und ihn förmlich zwingt, mehrere Leben gleichzeitig zu leben.

Seine publizistische Tätigkeit begann in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre. Seine profundes Wissen und seine Qualifikation verhalf dem marxistischen Polyhistor zu akademischer und bürgerlicher Ehrbarkeit. Seine Reisen und Einladungen von Universitäten ließen ihn nicht nur in Mitteleuropa zu Hause sein, sondern brachten ihn auch nach Amerika und Lateinamerika.

Weiterhin Tatendrang

Hobsbawm berichtet über die Studentenunruhen 1968 ebenso wie über den Wandel der Arbeiterbewegung in England. Er bringt eine Liebeserklärung für ein anderes Amerika und New York im besonderen, er hat die Illusionen nicht zu Grabe getragen und meint am Ende trotzig: "Doch wir wollen die Hände nicht in den Schoß legen, auch nicht in unbefriedigenden Zeiten. Soziale Ungerechtigkeit muss immer noch angeprangert und bekämpft werden. Von selbst wird die Welt nicht besser."

Gefährliche Zeiten

Ein Leben im 20. Jahrhundert

Autobiographie von Eric Hobsbawm

Hanser Verlag, München 2003

499 Seiten, geb., e 24,90

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