steinwendtner - porträt - © Foto: IMAGO / Manfred Siebinger

Von Syrakus bis Rungstedlund

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Die frühere ORF-Mitarbeiterin und Schriftstellerin Brita Steinwendtner reist durch „Dichterlandschaften“.

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Die frühere ORF-Mitarbeiterin und Schriftstellerin Brita Steinwendtner reist durch „Dichterlandschaften“.

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Wie hat Walter Benjamin im September 1940 in Banyuls, einem französischen Dorf an der Grenze zu Spanien, wo sich einst so viele Flüchtende und zugleich unerschrockene, großzügige Menschen zusammengefunden haben, wohl seine letzten Tage verbracht, bevor er von dort aufgebrochen ist, um nie zurückzukehren? Es sind Orte, die einst eine Schlüsselfunktion im Leben der hier porträtierten zwölf Persönlichkeiten hatten, die die frühere ORF-Mitarbeiterin und Schriftstellerin Brita Steinwendtner in ihren „Dichterlandschaften“ interessieren. Steinwendtner, die von 1990 bis 2012 die Rauriser Literaturtage leitete, hat sich – mit literarischen Werken und Sekundärliteratur im Gepäck – quer durch Europa zu speziellen Gegenden aufgemacht, um die Stimmung und den Geist von früher einzufangen. Stifter, dem großen Naturliebhaber und minutiösen Darsteller des Kleinen und der „Magie des Schönen“, nähert sie sich am Sturmgut, einem Berghof in Hinterstoder, der ihr bereits seit Kindheitstagen vertraut ist. Hier begegnet sie dem Nachthimmel mit der Milchstraße und der wilden Berglandschaft mit Stifters Augen, mit seinen Zeilen, manchmal sogar in seiner Sprache. „In den Verwerfungen seines Lebens bleibt die Natur zwar seine Lehrmeisterin und haltversprechende Konstante – aber auch sie kennt Gewalt und Katastrophen.“ Für Ilse Aichinger reist Steinwendtner nach Niendorf an die Ostsee, wo sich einst die Gruppe 47 zu ihren Dichterlesungen getroffen hat. Im Frühjahr 1952 hat Aichinger für ihre berühmte „Spiegelgeschichte“ den Siegerpreis erhalten und damit den literarischen Durchbruch geschafft. Niendorf mit dem beißenden Ostseewind wird, was die Auseinandersetzung mit Aichingers Leben und Schreiben betrifft, auch zum Impuls für den Blick auf andere Orte wie etwa Wien. Herzstück dieser Annäherung bildet Aichingers Briefwechsel mit Ingeborg Bachmann. Am Salzburger Kapuzinerberg steht die Beziehung zwischen Friderike und Stefan Zweig im Zentrum. In der „Welt von Gestern“ sieht Zweig die Zeit in Salzburg, in der er auf Europa hofft, rückblickend als „Weltaugenblick“. Während seiner Reisen besorgt seine Frau weiter den Haushalt, agiert als Gastgeberin, nimmt seine Liebschaften hin, unterstützt ihn und steht zu ihm, bis es zum endgültigen Bruch kommt. Bei der Beschreibung der Beziehungsprobleme wird vor allem auch Friderikes Perspektive mit hineingenommen. Ein besonders sensibles Porträt gestaltet sie für H.C. Artmann, mit dem sie befreundet war und den sie südlich von Salzburg am Schwarzgrabenweg im Moos oft besucht hat. Es ist quasi eine „Geschichte der Erinnerung“ an den „Transgressor von Räumen und Kulturen“. Für all diese Reiseaufzeichnungen, in denen sie Orte, Viten und Werke neu arrangiert, wählt Steinwendtner einen sehr persönlichen Zugang. Sie integriert behutsam Leseerfahrungen, Zitate, persönliche Erlebnisse oder Erinnerungen. Bewegende Details hebt sie wie Schätze aus der Vergangenheit. All dies verleiht den Porträts dieser Dichter(innen) einen lockeren und trotzdem profunden Charakter. Eine sehr anregende literarische Spurensuche, die zum Nachreisen einlädt!

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