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Von Wagner zu Bruckner

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Noch um die Jahrhundertwende war ein heftiger Streit zwischen den sogenannten Wagnerianern und den Gegnern Richard Wagners entbrannt. Heute ist es auf diesem Kampffelde stille geworden. In Deutschland wird wenig und selten Wagner aufgeführt, während im Ausland, insbesondere in den Vereinigten Staaten und in England, die Zahl der Aufführungen Wagnerscher Opern im Ansteigen ist. Das liegt nicht daran, daß wir in Deutschland durch die Zerstörung vieler großer Bühnen nicht mehr imstande wären, Wagner-Opern aufzuführen. Der Grund des sichtbaren Zurücktretens der großen Wagner-Oper aus dem Spielplan der deutschen Bühnen liegt in einer Distanzierung unserer deutschen Gegenwart vom Wagner- schen Musikdrama. Diese Distanzierung hat nichts zu tun mit einer Abwertung des Wagn ersehen Kunstwerkes. Sie hat auch nichts zu tun mit den überheftigen Gegnern Richard Wagners im 19. Jahrhundert. Für diese sogenannten Antiwagnerianer waren doch oft recht äußerliche Gründe der Anlaß ihrer mitunter oberflächlichen Polemik. Sie erwarteten von der Musik angenehmen Klang und von der Bühne Unterhaltung, im ganzen aber Arien, Melodien und zügige Chorfinales. Außerdem mag vielen Wagner-Gegnern auch die Länge der Wagner-Oper unbequem gewesen sein, nicht zu reden von jenen, welche Wagner aus einem snobistischen Ressentiment ablehnten, ahn sich nur einigermaßen ernstlich mit ihm beschäftigt zu haben. Der Streit um Wagner ist heute in Deutschland stiller geworden, wie immer, wenn eine geistige Auseinandersetzung zum Abschluß gekommen ist.

Wir erkennen und ehren heute in Wagner den überragenden Repräsentanten der romantischen Epoche des 19, Jahrhunderts, den Urheber einer Klang weit, die, im Erdhaft- Sinnlichen gebunden, so sehr „nach Erlösung strebte“, aber dieser nie ganz teilhaftig werden konnte. Wir ertragen aber nach der Desillusionierung zweier Weltkriege, nach der harten geistigen Auseinandersetzung unseres Jahrhunderts, die sinnliche Schwüle und das unklare Halbdunkel der Tristan- Romantik nicht mehr. Wir ertragen vor allem kein Pathos mehr, keine subjektiven Übersteigerungen, keine maßlosen Gebärden. Wir sehnen uns nach Klarheit und Sadilichkeit, nach einer gewissen Distanz vom Gefühl — ohne Gefühlsarmut, nach Schlichtheit der Darstellung — ohne Nüchternheit, nach einem sinnvollen Gesdiehen, auch im Musikalischen, das in seiner letzten Sinndeutung einem religiösen Bereich wenigstens zustrebt. Wir sind von dem Klangreiz der romantischen Septimen, dem Vibrato der hohen Geigen, dem Expressivo der Unisonostreicher übersättigt und sehnen uns nach dem kühleren, disparteren Klang der Holzbläser, besonders der Flöten. Man vergleiche daraufhin dais Glitzern, Strahlen und Leuchten der hohen Geigen im Vorspiel zum „Lohengrin“ und die keusche, übersinnliche Musik in Hindemiths Engelskonzert in „Mathis, der Maler“. Bruckner aber ist der Brückenbauer von Wagner in die Musik der Gegenwart.

Nicht der Klangeaüber, die Mischung der Farbe, sondern der Kontrast der Farbe ist in der Brucknenschen Instrumentierung entscheidend. So stehen isolierte Streicherstellen neben dem Klang der Blechinstrumente, . Hörner und Trompeten neben Holzbläsergruppen, wie die getrennten Register einer großen Orgel. Dies schließt natürlich nicht aus, daß an den Höhepunkten alle Instrumente sich zu höchster Ausdruckskraft vereinen und daß an manchen Stellen der große Inspirator Anton Bruckners, nämlich Richard Wagner, deutlich anklingt. In manchen Symphonien, beispielsweise in den langsamen Sätzen der Dritten und Achten Symphonie, werden Wagnersche Motive zitiert. Es bleibt jedoch nicht bei den Zitaten. Die Themen werden gleichsam einem Reinigungsprozeß, einem Purgatorium unterworfen, am dann auf einer höheren Seinsstufe im Lichte rein r Gottesnähe befreit und erlöst in den symphonischen Urkreis zurückzutreten.

Es gibt kaum einen menschlich größeren Gegensatz als den zwischen Wagner und Bruckner. Wagner, ganz in dieser Welt stehend, ist ihr in Lust und Leid, in Verzückung und Schmerz hingegeben. Sein Dämon trieb ihn, tausend Gestalten zu schaffen und sich in tausend Gestalten zu verwandeln. Er, der, von einer wahrhaft odysseischen Unruhe getrieben, zwischen Begierde und Entsagung, zwischen härtestem Wollen und weichen Gemütsregungen, zwischen Ruhm und Verzicht schwankte, bedurfte auch äußerlich des weltlichen Prunkes, um schaffen zu können. Anspruchsvoll in der Wahl seiner Umgebung, war ihm auch die Freundschaft eines Königs, die er als ein angenehmes, aber durchaus angemessenes Geschenk des Schicksals betrachtete, nichts Außergewöhnliches. Fast unheimlich die Vielseitigkeit seiner Interessen, die Spannweite seines Geistes.

Anton Bruckner, der Wagner in tiefster Verehrung nur mit dem Titel „Meister“ anzusprechen wagte, war in allen Zügen seiner Seele eine gegenteilig angelegte Natur. Einsam, weltfremd, ohne Ruhmgier, ohne Ehrgeiz. Der einfachste Raum genügte ihm zu seinem Schaffen. Er fühlte sich geborgen in der Sicherheit seiner Frömmigkeit; in der „großen Stadt Wien“ ist er immer ein Fremder geblieben, erfüllt von einem heimlichen Sehnen zurück nach St. Florian, einem Wunsch, der dann später dem toten Bruckner erfüllt werden sollte.

Wagner und Bruckner, zwei entgegengesetzte Naturen und doch zwei einander ergänzende und erst in dieser gegenseitigen Ergänzung sich erfüllende Naturen, Wie so oft in der Geschichte wurde auch hier die Weiterentwicklung — in diesem Fall die Weiterentwicklung der abendländischen Musik —, durch ein Gegensatzpaar erfüllt. Plato und Aristoteles, Leonardo und Michelangelo, Schiller und Goethe, Mozart und Beethoven — so au ‘] Wagner und Bruckner. Die Gegensätze klaffen gewaltig und sind doch in höherer Einheit geeinigt. Und es ist merkwürdig genug, Wagner, der Revolutionär und .Weltbürger, der in dem leidenschaftlichen Studium Schopenhauers in der Stille von Seelisberg das geistige Band einer weltweiten und weltweisen Philosophie in den Händen zu haben glaubte, er blieb in seinem Werk doch zeitgebunden, er blieb ein Kind der Romantik und verlor sich mitunter auch in die Gesellschaft patriotischer Bürgerlichkeit. Bruckner, der Autoritätsgläubige und einordnungsbereite Bürger Oberösterreichs, dessen Interessen einzig und allein aber um so intensiver auf das Studium musikalischer Formen und Ausdrucksmöglichkeiten gerichtet war, er wächst in seinem Werk heran zu einer Weltbürgerlichkeit, für die es keine Grenzen des Jahrhunderts und der Nationalitäten gab. Wagner bedurfte der Bühne, um seine Musik zu verständlichen. Die Bühne Anton Bruckners aber ist die Weite der Natur, ist das Universum selbst. Die Ordnung in seiner Musik ist eine kosmische Ordnung; die Akteure aber auf der Bruck- nerschen Weltbühne sind Gott und der Mensch.

Die Stellung der Welt zu Wagner schwankte zwischen leidenschaftlicher Begeisterung und haßerfüllter Absage, die zu Bruckner zwischen stiller Verehrung und sarkastischer Bewitzelung. Bruckner wurde von seinen Gegnern’ überhaupt nicht ernst genommen, man fand es nicht der Mühe wert, siein Werk einer sachlichen Kritik zu unterziehen. Das geschah nicht immer aus eineim bösen Willen’ heraus, sondern sehr oft auf Grund eines völligen Mißverstehens.

Der Weg zu Bruckner war für viele Menschen seiner Zeit in der Tat schwer zu finden. Die bürgerliche Intelligenz hatte sich längst von allen autoritären Bindungen an ewig leitende Werte gelöst. Dem sogenannten Proletariat war ein paradiesischer Zustand in dieser Welt versprochen. In der Renaissance tritt der europäische Mensch aus der auf Gott ausgerichteten Ordnung des Mittelalters heraus. Kant prägt das Wort von der Autonomie des menschlichen Geistes. Gespräche über Gott und die christliche Offenbarung sind allmählich nidit mehr gesellschaftsfähig. Religion wird bei dem immerhin geistreichen preußischen König Friedrich II als Privatsache toleriert, bei dem Philosophen Schlegel romantiziert und bei seinem Kollegen Feuerbach ironisiert. Mit Beginn des 20. Jahrhundertäs — Nietzsche hat es laut genug angekündigt —, schlägt die religiöse Toleranz in offene Religionsfeindlichkeit um. Was noch an lebenskräftigem Christentum bestand, sollte in der Ironie des „Mythos des 20. Jahrhunderts“ versinken. In dieser Zeit des großen Umbruchs, der — es kann nicht oft genug gesagt werden —, nicht mit dem Jahre 1933 begann, stand Anton Bruckner. Er lebte in dieser Zeit, existentiell und wesenhaft stand er jedoch weit außer ihr. Kierkegaard meint einmal: „Das ist der Weg, den wir alle gehen müssen — über die Seufzerbrücke hinein in die Ewigkeit.“ Bruckner kannte bestimmt kein Buch des großen dänischen Philosophen, aber er wußte um diese Wahrheit. Die Seufzer blieben dem an äußeren Enttäuschungen so reichen und an äußeren Erfolgen so armen Leben nicht erspart.

Wagner, aus echter Theaterleidenschaft zum Musikdrama aufsteigend, mußte zwangsläufig an die Wirkung des Werkes auf ein bestimmtes Publikum denken. Bruckner schrieb für kein Publiktim, sondern erfüllte einen inneren Auftrag, ungeachtet der Wirkung auf seine Zeitgenossen.

Bruckner nimmt mit ganzer Hingabe die Wagnersche Klangwelt in sich auf und verwandelt diese. Diese Verwandlung des Stofflichen ist geradezu das Kriterium der Bruck- nerschan Musik. Freilich, die Verwandlung eines Themas ist an sich nichts Neues. Es ist dies ein Vorgang, der audi in den Symphonien bei Haydn, Mozart und Beethoven festzustellen ist. Die Verwandlung des Themas in der musikalischen Form der Variation ist noch älter. Doch sind dies alle mehr Abwandlungen des Themas; das Thema bleibt substantiell das gleiche. Hier setzt nun das ganz Neue bei Bruckner ein. Das Thema wechselt im Laufe des Läuterungsprozesses seine musikalische Substanz. Es tritt zu Beginn des Symphoniesatzes als materiell- stoffliche Gegebenheit vor den Hörer hin und leuchtet am Ende des Satzes, manchmal erst am Ende der Symphonie, als etwa Neues, Vergeistigtes, Verwandeltes und Erlöstes auf einer gleichsam höheren Seinseben in neuer Form geistiger Existenz auf. Damit erhebt sich die Brucknerscbe Musik über das Wagnersche Musikdrama. Sie bedarf weder des erläuternden Wortes noch der Bühne. Sie wird absolute Musik, nicht nur dieses Verzichtes wegen, sondern weil sie einen letzten, absoluten und allgemein menschlichen Vorgang zur Darstellung bringt: die Überwindung erdhafter Schwere, die Überwindung von Enge und Bedrängnis, eine geistige Besinnung und Läuterung, die Rückführung des „geworfenen“ Menschen unserer Zeit in die Geborgenheit göttlicher Ruhe und Erhabenheit, die Rückführung des autonomen Menschen des 18. Jahrhunderts, des suchenden Menschen des 19. Jahrhunderts und des existentiell bedrohten Menschen des 20. Jahrhunderts zu Gott.

Der Weg von Wagner zu Bruckner ist zugleich ein Rekurs vom Drama zum Epos, zur distanzierten Darstellung des Allgemeinen, zur Heraufbebung subjektiver Vorgänge in die Sphäre einer klareren Objektivität. Das Walten dieses epischen Prinzips hat Bruckner mit Stifter gemeinsam, eines epischen Prinzip , das ohne dramatische Spannungen dennoch in gewaltigen Steigerungen ins Erhabene aufwächst.

Dostojewski hat einmal im Gedanken an die Starzen, die russischen Frommen, ausgesprochen, daß „von den Gebeten dieser Demütigen und nach Einsamkeit und Stille sich Sehnenden die Rettung Rußlands ausgehen würde“. Bruckner war ein starker Beter. In jeder seiner Symphonien leuchtet an entscheidender Stelle ein Choral auf, eine vertrauensvolle Hinwendung zu dem Wissenden um eine höhere Ordnung und einen tieferen Sinn des Seins. Sein ganze Leben ist geleitet von dem „In te domine speravi — auf dich, Herr, setze ich alle meine Hoffnung“; dies ist auch der Text der Schlußfuge seines Tedeums. Erkennen wir in Richard Wagner den liebesstarken Menschen, so steht Anton Bruckner als der „gute Mensch“ vor uns. Gut sein aber heißt in Gottes Willen schwingen. Der wahlverwandte Vorläufer Anton Bruckners aber heißt nicht Richard Wagner, sondern J. S. Bach. So ist auch damit ein Kreis in einer höheren Ebene geschlossen und es hat sich ein tieferer Sinn eines Geschehens erfüllt.

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