vorruf - jetzt ton - nachklang

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Aus Reise- und Lektüreerfahrungen formt Ferdinand Schmatz Gedichte, die sich jeder Erwartungshaltung verweigern: "tokyo, echo oder wir bauen den schacht zu babel, weiter".

Mit dem Untertitel seines neuen Gedichtbandes knüpft Ferdinand Schmatz bewusst an sein "grosses babel,n" (1999) an, was sich auch in der variierenden Fortsetzung seiner poetischen Verfahrensweise niederschlägt. Waren es dort die Texte der Bibel, die auf der metaphorischen Folie der babylonischen Sprachverwirrung umgeschrieben oder "überschrieben" wurden, so sind es hier Reise- und Lektüreerfahrungen, die den Referenzrahmen der Gedichte bilden.

Poetisches Echo

In den ersten beiden Teilen wird das poetische "echo" gestaltet und ausgelotet, das die Aufenthalte des Autors in den Städten Tokyo (von 1983-85) und St. Petersburg (Oktober 2003) als "vorruf - jetzt ton - nachklang" ausgelöst haben. Im poetologisch reflektierenden Vorspann zu "tokyo, echo" heißt es: "in dieser stadt schieben sich zeichen und bilder ineinander und in das wahrnehmende dort wie auseinander und formen auf der eigenen ebene bereits das niveau der nächsten (ebene platte figur) und hallen hier empfindend miteinander nach jetzt".

Wenngleich durch das Zitieren japanischer Bezeichnungen (z.B. eki, Bahnhof, sake, Reiswein) oder Ortsnamen (Shinjuku, Harajuku, Kakio etc.), die in einem Glossar am Ende des Buches erklärt werden - seine Benützung ist zu empfehlen, es erübrigt eigene Recherchen und hilft den Assoziationen auf die Sprünge -, ein touristischer Wahrnehmungshorizont markiert wird, verweigern sich die Gedichte radikal jeglicher Erwartungshaltung von Reisegedichten. Man merkt ihnen allerdings an, dass die Begegnung mit einer Schriftkultur der Ideogramme ("kanji"), die Verbindung von Wort, Bild und Bedeutung, zum Schlüsselerlebnis und in der Folge zum Auslöser für sprachthematische Reflexionen und eine Akzentuierung des Visuellen und Synästhetischen geworden ist, das diesen Teil dominiert: "der pinsel wort [...] - macht farben stimmig, / lautet augen blicklich".

Schnittpunkte Ost - West

Im Zusammenhang mit St. Petersburg wiederum drängt sich offensichtlich die Zeitthematik auf, in einer Stadt, deren faszinierende Topographie und Architektur, die in den Gedichten immer wieder aufgerufen wird (Newa, Mochowaja, Newskij-Prospekt, Winterpalast, Scheremetew-Palast etc.), zu Zeugen einer bedeutenden aber versunkenen politischen, kulturellen und religiösen Geschichte im Schnittpunkt zwischen Ost und West werden, denen die harte Lebensrealität in den Hinterhöfen der Gegenwart oder touristische Illusionen gegenübergestellt werden.

Den formal streng in Zweizeilern gestalteten Zyklus eröffnet das Gedicht "sank,t petersburg, nach klang / (phänomenal)" mit den Worten: "was steigt, das neigt sich, / ein es fällt, im auge sinkt // sie, stadt geträumt, ringt ab / sich selbst das eis, sie winkt // uns her und schneit davon, / was gibt sich weiss, ganz ton // in - weite, strom, platz, dom: / gross heisst er, was sie räumt // uns ein, im vorgestellten -". Einen anderen Blick gewähren die Ikonen, sie sind für die Gläubigen der orthodoxen Kirche Fenster in die Ewigkeit. Das Echo darauf bei Schmatz: "es ist kein fenster eher regen der sich regt / finster bis grau so die schau in das was ewig" ("petersburg, vor ruf / (ikone)".

Autorennachklang

Im dritten Teil, "dichtung, echo", versammelt Schmatz Gedichte, in denen er den Nachklang von Autorinnen und Autoren in seiner eigenen poetischen Sprache widerhallen lässt: von Hölderlin und Ossip Mandelstam über Wilhelm Busch, Vladimir Nabokov, H.C. Artmann, Robert Walser, Friederike Mayröcker und Paul Celan bis zu Franz Kafka, dazwischen noch Texte aus dem Neuen Testament, die Pfingsterzählung, etwas verwunderlich mit dem Zusatz "echo: matthäus", und die Apokalypse des Johannes. Dabei sind es teils thematische oder atmosphärische Aspekte, teils poetische Bilder oder Verfahrensweisen oder literarische Figuren, aus denen sich der intertextuelle Dialog entspinnt.

Hier wird man als Leser/Leserin allerdings auch seine eigenen literarischen Kenntnisse einbringen müssen und wollen, die sich aber nicht immer mit jenen des Autors decken werden, weshalb man sich aus diesem Dialog auch ausgeschlossen fühlen kann. Gedichte dieser Art laufen daher auch Gefahr, den poetischen Kunstgriff des "Prunkzitats", wie es Michael Rutschky einmal genannt hat, allzu sehr zu strapazieren.

Ambivalentes Erlebnis

Die Lektüre der Gedichte von Ferdinand Schmatz ist und bleibt ein ambivalentes Erlebnis: Auf der einen Seite kann man sich dem Sprachsog dieser artifiziellen, klanglich wie rhythmisch mit genauem Kalkül gestalteten und oft auch mit Leichtigkeit dahin schwebenden Texte nicht entziehen.

Andererseits ist man der permanenten Anspannung einer Vorwärts- und Rückwärtsbewegung des Lesens unterworfen, die sich aus der mehrbezüglichen oder brüchigen Syntax sowie aus einer vexierbildartigen Semantik der Wörter ergibt. Das erzeugt ein durchaus gewolltes Sprach(Ohren)sausen, von dem man sich bei einem Gedicht wie "petersburg, nach klang / (scheremetew, palast)", in dem sich ein semantisches Netz knüpfen lässt, das einen vor dem Sturz in den finsteren Schacht der Bedeutungsleere bewahrt, gerne erholt.

tokyo, echo oder wir bauen den schacht zu babel, weiter

Von Ferdinand Schmatz

Haymon Verlag, Innsbruck 2004

143 Seiten, geb., e 18,40

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