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Wachstum, Währung, Weltwirtschaft

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Dr. Hans Christoph Freiherr von Tücher, Mitglied des Vorstandes der Bayrischen Vereins- 1 bank AG., München, hielt im Rahmen des diesjährigen Alpbacher Wirtschaftsgesprächs, das während der Internationalen Hochschulwochen des Europäischen Colleges Alpbach stattfand und dem Thema „Aspekte i des wirtschaftlichen Wachstums“ gewidmet war, ein vielbeachtetes Referat, dessen Leitgedanken hier aus- i zugsweise wiedergegeben werden sollen. (Die Zwischentitel stammen von der Redaktion.) :

Wachstum, Währung, Weltwirtschaft — drei scheinbar beliebig aneinandergereihte Begriffe —, in jeder Zeitung in modischem Schwang, durch nichts miteinander verbunden als durch die Willkür der Alliteration! Wachstum, ein gern gebrauchtes, handliches Schlagwort, das für den Volkswirt die Vorstellung einer respektablen Leistung angenehm verbindet mit der Zuversicht auf noch größere Zukunftsmöglichkeiten! Wachstum, fürwahr ein für das Selbstgefühl des Politikers in Ost und West gleichermaßen belebendes Kennzeichen von Tüchtigkeit, Elan und Spannkraft in seinem Machtbereich! Wachstum, in Wirklichkeit und im tieferen Sinn ein schmerzhaftes Symptom des Übergangs vom Keim zur Knospe und Blüte, von der Entfaltung zur Reife und Frucht!

Eine ernstzunehmende Torheit

Die östliche Ideologie hat den wirtschaftlichen Wachstumsbegriff geradezu auf den Götzenthron gesetzt: Wenn ein totalitäres Regime in einem auf 20 Jahre geplanten Programm Wachstumszahlen propagiert, so ist das eine Willensäußerung, die, auch wenn die konkreten Angaben den Tatsachen nicht entsprechen, ernstzunehmen ist, etwa ebenso wie ein militärischer Feldzugsplan. Die Diktatur setzt sich ein Ziel und bemüht sich nach Kräften, es zu erreichen; notfalls wird der Plan geändert, so daß das Erreichte allemal als Erfolg interpretiert werden kann. Die Parole: bis 1970 werde dir

Sowjetunion die USA in ihrer indu-

striellen Produktion überholt haben i ist also gewiß nicht nur Propaganda ; sondern ernstlicher Vorsatz; deshalt ! ist sie aber zugleich eine Torheit , denn niemand kann die politische Zu- i kunft vorausberechnen oder auch dirder Technik. Beide hängen immeienger zusammen. Weder die eigenegeschweige denn die Zukunft de; ! anderen darf man sich vermessen, zt prophezeien. Das Sprichwort: „Dei : Mensch denkt und Gott lenkt“, gib i nämlich auch dort, wo es nicht ge- : glaubt und verstanden wird. Wachs- , tum ist eben kein Willensakt, sonderr t ein natürlicher Vorgang, dessen ent- ; scheidendes Symptom darin besteht I daß es nicht umkehrbar ist, daß ei : vor ihm kein Zurück gibt. Kein Stamn oder Halm wird wieder zum Samen kein zur Freiheit erwachtes Volk selbst wenn man es knechtet, wirc wieder zur Kolonie. Was der Mensel i entdeckt, erfunden und errungen hat

- gehört ihm unverlierbar. Wer weiß : ob man nicht vielleicht in hunder i Jahren in Rußland den Kommunismu: i als die Epoche definieren wird, in de: ; die Menschen lesen und schreibe! i lernten und anfingen, in Raumschiffei i zu fahren. Das sind nämlich wirklichi i Wachstumsraten; hier hat die Mensch r heit Fesseln abgestreift und Beschrän i kungen überwunden. Verglichen mi

- ihnen, kann eine von Menschen ge r machte politische Doktrin immer nu ; eine relative und zeitbedingte Er i scheinung sein.

relativ nonen rreis- und Lonnstamntat / organisch entwickelt. Die nationalen, £ voneinander unabhängigen Volkswirt- 6 schäften bildeten die abgegrenzten - Bereiche der Produktion; der inter- Į nationale Handel erfüllte die Funktion £ eines Clearings zwischen ihnen. Er ] regelte sich im Rahmen einer Wäh- j rungspolitik, die, ohne viel Theorie, \ von wenigen Fachleuten sachkundig 1 gehandhabt, der Vermeidung und dem j Ausgleich von Spannungen diente durch Aufrechterhaltung des Gleich- ( gewichts der Zahlungsbilanzen. (

Der erste Weltkrieg hat nicht nur i eine ideale Währungsordnung, sondern i eben deren wirtschaftliche Voraus- i Setzungen erschüttert und großenteils i beseitigt. Es ist daher unfruchtbar, 1 einem Währungssystem nachzutrauern, 1 in dem sich eine unwiederbringliche 1 internationale Wirtschaftsordnung ge- 1 spiegelt hat. Ebenso aussichtslos sind 1 aber auch die Versuche, theoretisch : grundsätzlich neue Währungssysteme zu erdenken, von denen man überdies j : wesentlich mehr fordert, als selbst der i 1 Goldstandard zu leisten vermocht i hätte. Weit entfernt, dankbar dafür ; 1 zu sein, daß eine diszipliniert ge- i 1 führte Notenbank in ihren statisti- : sehen Daten fortgesetzt sehr viel zu- : ‘ verlässigere wirtschaftliche Wetter- ‘ karten liefert als die ebenfalls viel- : geschmähte Meteorologie auf ihrem ‘ Gebiet, verlangt man obendrein von der Währungspolitik, sie solle das i Wetter selber machen, und zwar gutes Wetter, mit ausgeglichener Temperatur, ohne Rücksicht auf die Daten der Wetterkarte.

Das Feld der Währungspolitik ist

. fuįktionęn als eijmaßstab und

. WerffauschimtieTfetmln einmal nicht;

. Selbstzweck, sondern immer nur . Spiegelbild wirtschaftlicher Tat- t bestände. Diese wesensbestimmende Haupteigenschaft des Geldes außer acht zu lassen, ist ein verbreiteter Irrtum, der aus dem güterwirtschaft- , liehen Denken resultiert und Geld als Ware wertet, für deren Preis und Um- ‘ lauf das Marktgesetz von Angebot und Nachfrage allein bestimmend sei.

Pläne und Vorschläge

Allwöchentlich füllen sich die Spalten der Wirtschaftspresse mit Plänen und Vorschlägen zur Währungspolitik, sei es aus Gelehrtenstuben, sei es aus der Feder ehemaliger Praktiker. Vielen dieser Anregungen haftet aber der Mangel an, daß sie zu einseitig bestrebt sind, dem Vorbild der Währungssituation möglichst nahezukommen. Zu diesem Zweck werden technische Korrektursysteme und Maßnahmen aller Art empfohlen, die doch den Ursachen der Währungsverzerrungen nicht beikommen können. Denn die Ursachen liegen in den Bereichen der Wirtschaftspolitik und können — wenn überhaupt — nur dort behoben werden.

Es ist Zukunftsmusik und greift den Gegebenheiten vor, aber Ist es nicht eigentlich selbstverständlich; daß man im frühesten möglichen Zeitpunkt sich international einigen müßte auf einen gemeinsamen Nenner, den die Währung doch buchstäblich darstellt. Als Basis und Vorstufe dazu ist die Beibehaltung fester Wechselkurse unentbehrlich und sollte möglichst wenig beeinträchtigt werden durch Unsicherheitsfaktoren, die integrationsfremde störende Bewegungen auslösen.

Per Jacobsson, der schwedische Professor, der früher die Bank für internationale Zahlungen in Basel geleitet und seit 1945 den Weltwährungsfonds aufgebaut hat und betreut, hat bisher die aufgetretenen Gleichgewichtsstörungen auf dem Weg engerer Fühlungnahme und Zusammenarbeit der Notenbanken und durch dosierte Hilfsmaßnahmen aus dem Währungsfonds — zumindest auf Zeit — bewältigt.

Ordnung der nationalen Wirtschaften

Seit der Einführung der Wrährungs- konvertibilität Ende 1958 sind im Ungleichgewicht der Zahlungsbilanzen vieler wichtiger Länder die tiefgehenden Strukturveränderungen deutlich . gey( ld:en; dsfeh . die sich die heutige ; We ryirtschaft von der Situation vor einöm halben Jahrhundert- unterscheidet.

Unter dem Geldautomatismus gelang es damals in der Regel noch mittels vergleichsweise geringfügiger Einwirkungen, die Zahlungsbilanzen in gegenseitigem Gleichgewicht zu halten. Heute werden dazu mehr oder weniger schwere chirurgische Eingriffe benötigt, oder besser gesagt, angewendet, Bluttransfusionen, wie die Zwei-Mil-

:iarden-Dollar-Anleihe des Internationalen Währungsfonds an die Bank von England, oder Stützungsmaßnahmen sus der Währungspotenz leistungs- mtensiverer Volkswirtschaften, zu schweigen von Paritätsveränderungen.

Diese internationalen Vorgänge beschäftigen zwar die Fachleute, viel zuwenig dagegen die betroffenen Völker. Fast wie in einen Käfig eingeschlossen, versuchen die Währungsexperten den Zahlungsbilanzen beizukommen, in denen sich die Lage symptomatisch meßbar auswirkt. Wie kann denn aber der Spiegel ein ebenmäßiges, entspanntes Bild zeigen, wenn der darin sich spiegelnde, zugrunde liegende Tatbestand, nämlich der Zustand der nationalen Wirtschaften, unausgeglichene und ungeordnete Züge aufweist. Mit der verbreiteten Diagnose von den verzerrten Zahlungsbilanzrelationen macht man es sich zu leicht. Man wird auf die Dauer nicht darum herumkommen, die eigentlichen Strukturprobleme der nationalen Wirt- schaftsbereirhe in systematischer Zusammenarbeit zu analysieren und die möglichen Therapien aufeinander abzustimmen.

Die ständige internationale Fühlung der Notenbankleiter und mancher Unternehmungen und Verbände sollte ergänzt werden durch eine permanente und intensive Kooperation der für die Wirtschaftspolitik der einzelnen Staaten zuständigen Instanzen, sowohl in den prinzipiellen wie in den praktischen Fragen. Gelegentliche bilaterale Grundsatzgespräche genügen ebensowenig wie eine einzelne Weltwirtschaftskonferenz, die vielleicht eine Initialzündung der Zusammenarbeit geben könnte. Auch multilaterale Abkommen, vorwiegend handeis- oder zolltechnischen Inhalts, wie etwa das GATT, können tiefsitzende Strukturprobleme schwerlich lösen.

Wenn wir wirtschaftliches Wachstum erkennen, richtig einschätzen und einigermaßen vorausberechnen wollen, genügt nicht das Studium der Zahlen, sondern wir müssen lernen, besser zu unterscheiden zwischen dem äußeren •Schsin ndodem wirididswiStein. "Wir TsalltenssuoRj daran gewöhnen,’- Geld und wähnrngswirtschafdi’che ‘VöV’gä’ffge nüchtern und dankbar als Maßstab und Spiegelbild des wirtschaftlichen Wachstums und all seiner Wehen und Spannungen zu werten und diese nicht durch untaugliche Korrekturversuche am Maßstab selbst zu vertuschen. Vielmehr sollte man dazu kommen, das Wachstum in der Welt durch eine ständig verbesserte systematische Zusammenarbeit der Völker zu mehren.

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