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„Wage zu wissen!“

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Die Propaganda in den jetzigen Auseinandersetzungen um die künftige Schulgesetzgebung greift immer wieder auf die Behauptung zurück, daß religiöse Erziehung durch Unfreiheit und Engstirnigkeit die Lebenstüchtigkeit und zeitgemäße Fortschrittlichkeit des Individuums hemme. Die Geschichte des christlichen Erziehungswesens in der jüngeren Vergangenheit und in der engeren Heimat — ein schlagender Gegenbeweis, ist so allgemein bekannt, vielfach auch aus persönlicher Erfahrung der „Rufer im Streit“, daß Unkenntnis hier schwerlich als Milderungsgrund angenommen werden kann..

Es sei hier auf einige Daten aus bekannten Schulanstaken hingewiesen, aus denen ebenso die Toleranz wie die weltweite Kulturbefruchtung erhellt, die das Wirken katholischer Jugendbildung prägt.

Die „Geschichte des Unterrichtes im Stift Schotten“ Albert Hübl, Wien 1907, Verlag Fromme gibt selbst in den trockenen Registern der Maturajahrgänge eine anschauliche Zeichnung der charakteristischen Merkmale dieses hochstehenden Instituts: Weitherzigkeit in der Haltung dem Menschen gegenüber, Bildungsschaffen auf allen Gebieten des humanistischen Wissens, vor allem aber die Hinlenkung zu wertvoller, ja oft außerordentlicher Berufsleistung. Eine stattliche Reihe von Universitätsprofessoren, hohen Beamten, bedeutenden Organisatoren, anerkannten Vertretern des Schrifttums und der schönen Künste haben in der Schottenschule den Grund zu ihrer geistigen Persönlichkeit gelegt: Wagner-Jauregg, Vi- venot, Dedekind, Zeißl-Vater und Sohn, Hans Chiari, Lammasch, Siegmund Adler, Seemüller, Minor, Franz von Liszt, der berühmte Strafrechtslehrer an der Berliner Universität, Heinrich Swoboda, Scheindler, V. Wittek, v. Wieser, Banhans, Doblhoff, Kolisko, v. Mautner, Alfred’v. Berger, Max Dreger, Max Liebenwein, Josef Lewinsky — sie alle waren Schottenschüler — waren und blieben es mit dem Herzen.

Diese Reihe —sie könnte beliebig fortgesetzt werden — hat durchaus nicht mit dem acht klassigen Gymnasium begonnen, das 1848 das bis dahin sechsklassige ablöste. In einem Aufsatz der „Festgabe“, die zur Jahrhundertfeier der Schule 1907 herausgegeben wurde, berichtet Zeidler, der Literarhistoriker, über den „Literatenwinkel", der — wie an vielen Gymnasien — auch an der Schottenschule bestand, und in dem Bauernfeld von 1813 bis 1818 zusammen mit seinem Freund und Schulgenossen Moritz v. Schwind über Plänen grübelte, in denen später das Genie beider Ausdruck suchen sollte. — In „Alt- und Neu-Wien" setzt Bauernfeld seinen geistlichen Lehrern ein dankbares Denkmal. — In jenen Jahren besucht auch Lenau die Schottenschule. — Dem weltweiten Horizont dieser Anstalt gibt Robert Hamerling, der von 1844 bis 1847 Schottenzögling war, in den „Stationen meiner Lebenspilgerschaft“ in dem Kapitel Zeugnis, das er „Aus dem Kloster in die Welt“ betitelt und in dem er den Übergang aus dem landstillen Zwettler Stift in das Haus auf der Freyung schildert, um das Leben und Problematik einer breiten, geschichte- machenden Öffentlichkeit brandeten. „Festgabe", Zeidler, „Aus dem schottischen Literaturwinkel“ .

Die aus dem Schottengymnasium kamen, waren durchaus nicht alle Vertreter des jungen Katholizismus, wie er sich im wachsenden 19. Jahrhundert gegen die liberale Verflachung des Religiösen zum Individualistischen erhob — sie kamen vielfach aus Familien, die völlig im Bannkreis der liberalen Ideologien standen, und nicht wenige von ihnen wurden auch im öffentlichen Leben Verfechter liberaler Politik. Aber der hohe Bildungswert der Schottenschule war so unbestritten, daß auch das Gefolge des Liberalismus — trotz aller Ablehnung religiös-sittlicher Ausrichtung im Gemeinschaftsleben — seine Söhne den benedik- tinischen Lehrern anvertraute.

Wenn die Sozialisten die katholische Jugendbildung als nicht auf der Höhe stehend ablehnen wollen, so stehen die Manen ihrer eigenen Führer gegen sie auf,

Hans Chiari erzählt in ‘einem Beitrag zur „Festgabe", wie einst der Professor für philosophische Propädeutik, P. Sigmund Gschwandner, den Schülern das Horaz-Wort an die Tafel schrieb: „sapere aude!" „Wage zu wissen!" E’ war und blieb das Motto der geistigen Dynamik dieser Schule.

um sie eines besseren zu belehren: Viktor Adler und Engelbert Pernerstorfer — beide Schottenschüler! Pernerstorfer hat ip der „Festgabe“ einen Aufsatz veröffentlicht, den er überschrieb: .„Ein Blatt dankbarer Erinnerung“.

Adler und Pernerstorfer waren gewiß keine Förderer katholischer Volksbewegung, aber sie blieben auch in dem politischen Ringen, das sie für die damals junge Sozialdemokratie in Österreich führten, persönlich jenen verabscheuungswürdigen Formen des Kulturkampfes fern, in dem sich etwa in den zwanziger Jahren die Pamphletliteratur des Freidenkerbundes gefiel.

Nicht nur bei ihren großen Toten können die Schulsozialisten von heute, über den wahren Wert katholischer Erziehung Informationen einholen. Und nicht nur die Schottenschüler von damals und bis zur Gegenwart und Bundespräsident Dr. Renner als Nikolsburger Piaristenschüler von einst in seinem Erinnerungsbuche „An der Wende zweier Zeiten" können darüber Entscheidendes aussagen. — Es müßten nur die Bekämpfer der katholischen Schulen sich der Zeit erinnern, die knapp hinter uns liegt. — Daran zum Beispiel, daß während des nazistischen Schulzwanges in Wien kein anderer Boden hochstehender Mädchenbildung mehr da war — als das H a u s d e r Ursulinen in derjohannesgasse.

Trotz Aufhebung und Verbot der Schule wurde dort der Unterricht weitergeführt — in der Form von Privatstunden, die schließlich klassenweise gegeben werden mußten, weil der Zudrang so groß und so unabweislich war. — Sieben Jahre hindurch wurde in allen Fächern so weiter gearbeitet, daß die Schülerinnen nach 1945 ihre öffentlichen Abschlußprüfungen in bester Vorbereitung ablegen konnten. — Damals, in den Jahren, als katholische Ordensleute als „untüchtig" und „ungeeignet“ für die Erziehung „deutscher Jugend“ erklärt wurden, haben die Töchter St. Angelas — ungeachtet der ständigen Gefahr von Entdeckung und Verfolgung — ihrem Ordensauftrag gelebt — und was sich in die Hut ihrer Führung drängte, das war eine bunt zusammengewürfelte Gesell chaft.

In der „Festschrift“, die zum fünfundzwanzigjährigen Bestand des Realgymnasiums seit 1923, die Anstalt selbst bestand seit 1660 als Mädchenbildungsinstitut, seit 1841 als Lehrerinnenbildungsanstalt Ein schulamtlicher Erlaß belehrte die Eltern, daß sie iWte Kinder nicht mehr in die klösterlichen Schulen schicken dürften.

nebst Volks- und Bürger-, beziehungsweise Hauptschule herausgegeben wurde, berichtet die Direktorin, Dr. M. Vecerka, „Knaben und Mädchen, Arier, Nichtarier, Österreicher, Ausländer, Kinder von solchen, die im KZ. schmachteten, Kinder von Parteigenossen, Kinder aus den einfachsten Kreisen, Kinder aus dem höchsten Adel, alle Gesellschaftsklassen waren vertreten". —1 Und nicht zum wenigsten waren die Kinder verfolgter Sozialdemokraten darunter.

Heute gilt von St. Ursula dasselbe wie etwa von den Schulschwestern in Vöcklabruck: kaum ein Drittel der Zöglinge stammt aus katholischen Familien. — Alles andere wird aufgefüllt aus den Kreisen glaubensscheuer Lebensart — vielfach aus dem geistigen Einflußgebiet jener Gruppen, deren Führer dem katholischen Erziehungswesen genau so heftig wie früher den Kampf ansagen.

Wäre es nicht hoch an der Zeit, auch in der öffentlichen Auseinandersetzung der inneren Wahrhaftigkeit Raum zu geben und vor der Sicht des Urteils,- das über Wert und Unwert entscheiden soll, die alten Ladenhüter zu entfernen, die auf dem Webstuhl polemischer Einseitigkeit erzeugt wurden?

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