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Wagnis des Geistes und der Sprache

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Enterbter Geist. Von Erich Heller. Suhrkamp-Verlag, 370 Seiten. Preis 14.50 DM.

In acht Essays „über modernes Dichten und Denken“ zeigt der aus Prag stammende, gegenwärtig in den USA als Collegeprofessor tätige Literarhistoriker, wie im Werk einiger wichtiger Repräsentanten unserer „prosaischen Epoche“ Glauben und Wissen, Denken und Poesie auseinandergefallen sind. Der emanzipierte Geist — bei Nietzsche, Rilke, Thomas Mann, Kafka und Karl Kraus — sah sich vor Aufgaben gestellt, die er nicht zu bewältigen vermochte. So ergeben sich die verschiedenartigsten Pseudomorpho-sen. Die beiden einleitenden Essays über Goethe spiegeln dessen, besonders in der Faust-Dichtung ausgeprägte, ambivalente Haltung. Die ernsthaft-eindrin-gende Beschäftigung mit dem Stoff und die ruhigelegante Art des Vortrags qualifizieren Erich Heller als einen der besten wissenschaftlichen Essayisten unserer Zeit im deutschen Sprachraum.

Das Wagnis der Sprache. Von Fritz Martini. Emst-Klett-Verlag, Stuttgart. 529 Seiten, 27.80 DM.

Mit diesen zwölf Interpretationen deutscher Prosa von Nietzsche bis Benn hat der Autor eine ebenso gründliche wie feine Arbeit geleistet, die in ihrer Methodik und mit ihren erhellenden Resultaten nur mit der „explication des textes“ verglichen werden kann, wie sie in den Seminaren der französischen Universitäten praktiziert wird. Ausgehend von einem oder mehreren kurzen Fragmenten aus einem Hauptwerk von Hauptmann, Holz, Rilke, Thomas Mann, Hofmannsthal, Heym, Kafka, Döblin, Carossa, Broch und Benn dringt die Analyse in die Tiefe und fördert die frappantesten, aber immer überzeugenden und einleuchtenden Resultate zutage. Freilich wird auch manches, was Martini vom analysierten Autor weiß, in die Interpretation hineingetragen. Daher kann die Methode, wie alle geisteswissenschaftlichen Arbeitsweisen, nur als bedingt exakt gelten. — Wohl mußte Martini den Kreis seiner Objekte eng ziehen, aber auf die Analyse Musils und Ernst Jüngers verzichtet der Leser ungern. Von letzterem wird volle Aufmerksamkeit und Geduld verlangt. Dieses Buch verträgt keine hastige Lektüre. Uebrigens haben Benn, Carossa und Döblin dem Autor zustimmend-beglück-wünschend geschrieben. Nur der Letztgenannte der großen Prosaisten ist noch am Leben. So empfängt dieses Werk auch äußerlich historischen Rang.

Betrachtungen eines Unpolitischen. Von Thomas Mann. S.-Fischer-Verlag, 580 Seiten. Preis 24 DM.

Die Neuauflage dieses wichtigen, gehaltvollen und aufschlußreichen, nach 38 Jahren im Rahmen der „Stockholmer Gesamtausgabe“ veröffentlichten Werkes rechtfertigt, zum Teil mit ihres Vaters Worten, Erika Mann in einem beredten und überzeugenden Vorwort. Das während des ersten Weltkrieges geschriebene Buch, vom Autor als das Ergebnis seines Kriegsdienstes mit der Feder bezeichnet, war, als es 1918 zum ersten Male erschien, bereits unzeitgemäß und ein Plädoyer gegen die Zeit: gegen die Demokratie und Republik westlichen Zuschnitts, gegen den Fortschrittsglauben und den ihn verkündenden Zivilisationsliteraten. Aber Thomas Mann hat später, als er längst anderswo stand, dieses mühevolle Werk nicht verleugnet und hat, vor amerikanischen Studenten, die Mottofrage der „Betrachtungen“: „Que diable allait-il faire dans cette galere?“ beantwortet mit dem lapidaren Wort: „Den Zauberberg!“

Marcel Proust. Von Ernst Robert C u r t i u s. Bibliothek S,uhrkamp. 154 Seiten. Preis 4.80 DM. — Auf der Suche nach der verlorenen Zeit. Von Marcel Proust. 3. Band: Die Welt der Guer-mantes. 866 Seiten. Preis 24 DM. 4. Band: Sodom und Gomorra. 804 Seiten. Preis 24 DM. Suhrkamp-Verlag.

Der umfangreiche Essay von Ernst Robert Curtius, der zum ersten Male vor 30 Jahren in dem Band „Französischer Geist im Neuen Europa“ erschien, bereitete den Boden für die deutsche Proust-Ausgabe und begründete den Ruhm des Dichters in Deutschland. Die jetzt in die Suhrkamp-Bibliothek aufgenommene Studie kann mit den im Anhang (S. 134 bis 154) von Eva Rechel-Mertens übersetzten Zitaten auch heute noch als die beste und konzentrierteste Einführung in Prousts Werk gelten. Statt einer Analyse dieses analytischen Werkes mögen dem Leser zur Orientierung einige Zwischentitel dienen: Kunst und Erkenntnis, die Musik, Intuition und Ausdruck, Vergänglichkeit und Erinnerung, Präzision, Psychologie und Wirklichkeit, Sensibilität, Kontemplation, die aristokratische Gesellschaft, die menschliche Flora, Züchtung und Differenzierung, Relativismus, Kritik des Lebens und der Liebe, Piatonismus. — Damit sind auch die Hauptmotive von Prousts Werk angeschlagen, auf das an dieser Stelle, als die neue deutsche Gesamtausgabe zu erscheinen begann, ausführlich hingewiesen wurde. In „Die Welt der Guer-mantes“ beschreibt Proust die menschliche Flora des Hochadels im Faubourg-St. Germain; im Mittelpunkt von „Sodom und Gomorra“ stehen Monsieur de Charlus, Albertine und ihresgleichen: die „Nachkommen jener Einwohner Sodoms, die das Feuer vom Himmel verschont hat“. Höchste Anerkennung verdient für die Uebertragung dieses in jeder Hinsicht heiklen Textes Eva Rechel-Mertens. Dank gebührt auch dem Verlag für die Durchführung des anspruchsvollen und kostspieligen Unternehmens, in dessen Rahmen die erste deutsche Uebersetzung des vierten Bandes erscheint.

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