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Wahlheimat Uriterkrnten

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Der Rutarhof, wie sich unsere Hube etwas großspurig nennt, liegt auf der Südwestecke des dem Hochobir vorgelagerten Bergriegels, unter dem die Vellach in die Drau einmündet. Wer einmal dort war und Augen hatte, empfand noch stets die Besonderheit der Situation: Jenseits der Drau, die vor der Annabrücke einen Knick beschreibt, steht über Waldstürzen die Felsstirne des Skarbin. Sie teilt den westlichen Ausblick in zwei Hälften, man möchte sagen, in zwei Welten: nordwestlich die des Jauntales und des Klagenfurter Beckens, das wie auf einem Plan gebreitet liegt, der von den Nocken, auch Tauern an klaren Tagen, eingefaßt ist. Südwestlich geht, die Sicht weit ins Rosental, das sich von hier aus weniger bekannt, doch um so schöner und geschlossener darbietet. Gegen Sonnenaufgang spricht in den Waldbreiten der Dobrova und in den Ausläufern des Gebirges der Osten vernehmlich und anders. Ueber allem aber ragt südlich der Obir, dessen Silhouette sich hier wahrhaft klassisch-edel in den Himmel schwingt, und der für alles, was sich unter ihm ereignet, so etwas wie ein Signum und ein Zeuge ist.

Dieser Hof und dieser Himmelsstrich wurden mir, wenn das Wort nur irgend angeht, zur Wahlheimat. Ich sage.Wahlheimat und empfinde sogleich die Bedenklichkeit des Wortes: wer kann denn seine Heimat wählen? Der erste Mutterlaut und der Garten der Kindheit, der Wald früher Geheimnisse und der dunklere der Ahnen, all dies, ich weiß es wohl, ist unauswechselbar, und jeder, der kein farbloser Wicht ist, trägt Zeit seines Lebens diese Heimat in und mit sich. Qui trans mare currit, non se ipsum fugit. Auch ich werde diese Hejmat nie vergessen noch verleugnen, und ich müßte viel Eindringliches sagen, wollte ich den Charakter des sogenannten Bergischen Landes begreiflich machen, das dem Rheinland angehört und geschichtlich, sprachlich und geistig eine Enklave von großer Eigenart darstellt zwischen rheinischer Aufgeschlossenheit und westfälischem In-sichgekehrtsein, zwischen Schollenliebe und Weltweite, deren Wind mich früh schon stark anwehte. Elberfeld ist die Geburtsstätte des Hans von Marees, der unter den deutschen Malern des vorigen Jahrhunderts ein Souverän sondergleichen war. Meinem. Elternhause gegenüber hing im Museum eine große Anzahl der schönsten Marees-Bilder, und ich spüre noch heute des Kindes Ahnen in mir, damals vor jedem Begreifen, daß sich in diesen Tafeln etwas Dunkel-Großes begebe. Im Nieder-rheinischen dort liegt auch die Heimat Hans Leifhelms, des jüngst in der Fremde so tragisch Verstorbenen, und ich erwähne den Namen des mir nahestehenden Dichters nur, weil auch ihm in der Steiermark, anders, aber doch verwandt, vom Schicksal ein Auftrag zuteil wurde.

Und damit rühre ich an das entscheidende Wort und meine, diese zweite müsse eine Schicksalsheimat sein, im Grunde zubestimmt und unwählbar wie jene erste. Dann mag es auch geschehen, daß der so Hinzukommende eine besondere Empfänglichkeit und Empfindlichkeit für vieles mitbringt und bewahrt, das dem Heimischen von jeher als ein Selbstverständliches oder Beiläufiges erscheint. Er würde dann zum Durchgang, zum Instrument etwa, auf dem die Weise seiner neuen Heimat seltsam tönend wird. Dies wäre freilich das Gegenteil dessen, den der Zufall verschlug, der Sommerfrischenexistenzen oder des „Reisemalers“, der bald hier, bald dort, heute in den Niederlanden, morgen in Nizza, seine Staffelei aufstellt und mit flinkem Pinsel alles malt, was jeder wünscht, ein Kosmopolit, doch bei Gott kein Weltbürger. Der Weltbürger hat stets über die engeren Bezirke hinaus noch ein Vaterland ohne Grenzen, dessen Helden und Heilige in vielen Zungen reden, aber die alle gleich verpflichtenden Male des Geistes tragen. Ich könnte aus einer Fülle auf merkwürdige Beispiele verweisen und verwechsle gewiß keine Maßstäbe: Joseph Conrad und Holbein in England, Van Swieten, Brahms, Beethoven in Wien oder Wilhelm Leibi in Oberbayern — oder jener Niederländer schweren Blutes, dessen Name uns zum Inbegriff der Sonne der, Provence wurde. Und der spanischeste aller Spanier war und; hieß — El Greco.

Kein Verstand hätte mich so gut beraten können, wie ein Instinkt mich einst leitete und hierher führte. Der sagte mir schon in frühesten Jahren, als ich zur Kunst strebte, daß es darauf ankomme, die Kunst wieder an das Leben zu binden, eine Lebensform zu gründen, die in sich Sinn habe und mit Anschauung gesättigt sei. Ich kannte manchen Begabten, der sein gestaltkräftiges Ahnenerbe bald vertan hatte, Und ich schauderte vor der Unnatur von Begriffen, wie Atelier, Kunstverein und Glaspalast. Als Kind schon war ich oft und mit Freuden in den Alpenländern, und während eines längeren Aufenthaltes in Kleinasien wurde die Erinnerung an ihre grünen Matten zur starken Sehnsucht. Vor 32 Jahren kam ich zum Studium nach Wien, und seitdem wurde mir Oesterreich zum Schicksal, zum Boden meiner geistigen Entwicklung. Daß ich dann, Maler geworden, mit meinem Kindheitsfreunde Kurt Sachsse, den nun schon 20 Jahre die Erde deckt, auf dem Rutarhof in Unterkärnten landete, war Fügung oder besser: eine Kette von Fügungen. Das Unterland, das so abseitig und unbeschrieben ist, da sich der Fremdenstrom stets westlich von Klagenfurt ergießt, hatte es mir bald angetan. Ungewöhnlich und von keinem Klischee erfaßbar erschienen mir auch von Anfang an die Menschen, die Kärntner Slowenen, deren Wesen ich noch nirgends echt geschildert sah. Es wäre so töricht wie falsch, sie herabzusetzen, noch auch, sie billig zu idealisieren. Katholische Religiosität im Verein mit aus dem Schoß der Urzeit Ueberkommenem, ein unentwegter Fleiß und Mißtrauen gegenüber großen Tönen, aber auch gegen alles zu Klare, kennzeichnen die Bevölkerung. Nach einem Jahre Hiersein hätte ich leichter und mehr aussagen können als jetzt nach über zwanzig Jahren, denn alles, was sich hier vollzieht, ist nicht leicht benennbar oder durchsichtig. Eben dies Geheimere mußte aber für den Künstler unserer Zeit, der ja dem Vordergrund der Dinge mißtraut und die. Erschütterung der Welt in den Eingeweiden spürt, ein großer Anreiz sein. Gewiß gibt es anderswo prächtigere Trachten und stattlichere Menschen, aber nur zu leicht fehlt — ich habe es zuweilen erfahren — jenes schwer zu definierende Gewürz der Besonderheit. Wer von denen, die nicht mit den Pappendeckelkronen der Altmeisterlichkeit spielen, könnte noch jene klare Selbstverständlichkeit und robuste Frische anstreben wie Courbet oder Leibi? Der Sprung, der Hang zur Chimäre, man mag ihn bedauern oder nicht, ist unleugbar, auch ist es das Chimärische nicht allein, das in den Geräuschen des Tages auf den unheimlichen Unterton horchen läßt, lange noch bevor der steinerne Gast auftritt. Man gehe in eine der unberührteren.'Dörfkircherv zu Allerheiligen auf den Friedhof von Eberndörf oder an einem der bestimmten Feiertage zum Hemma- oder Liesnaberg, wo das Volk zusammenströmt und eine Fülle von Anblicken bietet, in denen man mühelos hinter Anekdote und Folklore große Form, zeitlose Begebenheit und bildträchtiges Geheimnis entdecken kann. Immer wieder fesselt mich, Sinnbild der menschlichen Lirangst überhaupt, das Bild der betenden Bäuerin: steil, ernst und voll Hingegebenheit. Nicht selten reiße ich die Augen auf vor Staunen, daß diese archaisch große Form und mythenhafte Versunkenhcit wirklich sind, Wirklichkeit unserer Tage und nichts fern Bechworenes oder museal Konserviertes. In solchen Augenblicken offenbart und erneuert sich fern allem Wollen der Gebildeten Volkstum. Man schaue sich auch das Kircheninnere an, dessen reiche Ausschmückung und Farbigkeit ihren unverwechselbar eigenen Charakter haben.

Nun sind es fünfundzwanzig Jahre, daß ich mit meiner allmählich groß gewordenen Familie auf dem Rutarhof sitze, ein jeder durchdrungen von der Einmaligkeit einer Aufgabe, die mich ein gütiges Geschick erfüllen lasse. Hier ist der innere Bezirk des Hauses, der oft den Gegenpol der malerischen Themen abgibt. Jedes Wort wäre zuviel und zuwenig über die unermüdliche Herrin des Hofes, und die Kinder alle helfen und leisten mehr als einem Außenstehenden begreiflich erscheinen mag. Auf drei Terrassen liegen die Felder, einst vom Gletscher abgeschliffen, die Moränenhänge mit karger Grasnarbe dazwischen, deren Bearbeitung saure Mühe kostet, und der Wald ringsum schließt das kleine Reich ab,- wahrhaft ein Reich für sich. — Und dort ist die Außenwelt, nah und fern, langvertraut und undurchdringlich zugleich. In immer neuen Bildern versuche ich, daß sich ein Gleichnis löst, und hinter allen Bildern strebe ich dem Bilde zu, das ungreifbar bleibt. Und dann die ewiggroßen Augenblicke des Jahres: das durchscheinende erste Grün vor dem Blau und Grau des Maigewitters — der Himmel mittagheiß zitternd über dem eben geschnittenen Getreidefeld — die auffliegenden Morgennebel des Oktobers voll Glanz und Wehmut — und, feierlichster Augenblick vielleicht: Klarheit, Weiße und Stille der Winternacht. Im Tale unten rauscht die Vellach, und in den Himmel zeichnet bis in die Träume der Obir Aufschwung, Gipfel und Verweilen. Vor den Sternen bebt im Nachthauch ein Ast, und seine Sprache überhörte ich noch zu keiner Stunde:

„Das Ungeheure begreift nie der Sichre.“

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