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Digital In Arbeit

Wahlsymbol „Ochsengespann“

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schlage sehr eingehend untersuchen läßt, prüft man diese selber sehr gewissenhaft, bevor man zu ihm geht. Denn überflüssige Gespräche, mutwilliger Zeitverlust können einen schlechten Punkt einbringen. Und man weiß inner- und außerhalb des Betriebes, daß Mattei von Natur aus mißtrauisch ist, 'daß er Wichtigtuerei nicht duldet, weil sie ihm selber fremd ist. Und er steht im Ruf eines obersten Chefs, der hart bestrafen kann.

Vor allem aber sucht Mattei zu verhindern, daß die Klassenunterschiede im Konzern wirksam werden und Störungen verursachen. Sein Grundsatz ist, daß sich Mitarbeiter um so williger in eine für alle geltende Regelung einfügen, je bewußter es ihnen ist, daß diese ausschließlich dem Betrieb dient und tatsächlich nützlich ist. „Alles kommt auf die Organisation und auf vernünftige Neuerungen an.“ Mattei geht aber noch weiter. Er formt, wenn nötig, selbst die persönlichen Gepflogenheiten seiner Mitarbeiter um, damit sie sich leichter in den Betrieb einfügen können. „Anfänglich gab es nur eine Einheitsmahlzeit — die landesüblichen Teigwaren und Wein. Sie erwies sich aber als Zwischenverpflegung zu nahrhaft und beeinträchtigte den flotten Arbeitsablauf. Wir führten daher die moderne Mahlzeit ein — Suppe und Fleisch, ohne Wein. Sie widerspricht den Gewohnheiten des Italieners, setzt sich dennoch immer mehr durch.“

Erstaunt folge ich diesen Hinweisen — ein Geschäftsmann von internationalem Format befaßt sich mit solchen Einzelheiten in seinem Betrieb! Ja — Mattei gTeift immer persönlich zu, wenn es gilt, eine ihm nützlich erscheinende Neuerung durchzusetzen. Da er in erster Linie Kaufmann ist, überprüft er selbst, ob die Klischees für die Reklame, die Schlagwörter für die geplanten Plakate, in die Augen springen und lange genug nachklingen.

Wie arbeitet ein Manager?

„Wie entsteht bei Ihnen ein neuer Plan?“ frage ich. „Gehen Sie von eigenen Überlegungen aus, die Sie hernach durch Ihre Fachberater abklären lassen, oder verwerten Sie eher Anregungen, aus führenden Wirtschaftskreisen?“ Pj?äsident:Mattei e'hvejst sich auch hier als der Kaufmann, der dif* einzelnen Kalkulationsposten ■ größenmäßig abschätzt. „Zu 90 Prozent entstammen sie meiner Initiative; der Rest entspringt Fühlungnahmen mit Wirtschaftskreisen. Ich kenne die potentiellen Reserven und die Expansionsmöglichkeiten meiner Betriebe, die Aufnahmefähigkeit des Marktes, die Exportmöglichkeiten, und aus die-

sen Elementen baue ich meinen Plan auf.“ Seine Gegner und Konkurrenten würden bei diesem Hinweis sofort mit ihren Angriffen einsetzen: Ein Mann, der so große Verantwortung trägt wie Präsident Mattei, müsse auch mit den übrigen Weltkonzernen der Petroleumindustrie vertrauensvolle Beziehungen unterhalten, mit Staatsmännern und leitenden Finanzleuten Kontakte pflegen. Grundlage dafür wäre ein reges

gesellschaftliches Leben, aber gerade davon hält sich Mattei weitgehend fern. Doch der Erfolg spricht für ihn. „Drei Jahrzehnte hatten die großen Petroleumtrusts Zeit, um in der Po-ebene Erdgas zu finden, die Rohölversorgung und die Verteilung der Rohölprodukte im Lande zu organisieren. Sie haben auf der ganzen Linie versagt, die ENI hingegen bewirkte, daß der italienische Benzinpreis vor der Verbrauchssteuer der niedrigste in ganz Westeuropa ist.“

Mattei ist' ein Selfmademan, und als solcher hat er für althergebrachte Gepflogenheiten wenig übrig. Er weiß aus Erfahrung, daß Talente sich schon in jungen Jahren offenbaren, daß sie aber verkümmern, wenn man ihnen nicht rechtzeitig freie Bahn gewährt. Daher kennt er keine untere Altersgrenze. „Mit 28 bis 30 Jahren kann einem Mitarbeiter, der sich bewährt

hat, bereits höhere Verantwortung übertragen werden; das Idealalter für die Übernahme eines Direktorpostens ist 36 bis 40 Jahre.“ Auch hier spricht ein mutiger Erneuerer, denn in Italien versperren noch vielerorts politische und Familienbeziehungen den jüngeren Mitarbeitern namenlosen Ursprungs den Weg.

Wirtschaft und Politik

Enrico Mattei baut in einem aufstrebenden Land ein neues Werk mit neuen Methoden auf. So viele Un-sicherheitsfaktoren erschweren jede Voraussage. Seine Gegner glauben trotz seiner bisherigen Erfolge, daß sein Werk einem starken Konjunkturrückschlag kaum standhalten könnte. Mattei bleibt zuversichtlich — nicht aus unüberlegtem Optimismus, sondern weil er den Aufbau seines Konzerns für gesund hält. Er sieht

aber auch die immer neuen Schwierigkeiten. „In unserer Epoche muß sich das Wirtschaftsleben der Politik fügen, und nicht umgekehrt.“ So gelangt er zu dem- Schluß, daß die Geschäftsleute eine sehr fortschrittliche Sozialpolitik befolgen sollten. Ein Großunternehmen muß sich nicht nur organisatorisch und finanziell bewähren, sondern sich auch in den breiten Volksmassen verankern. —'Ist Mattei auch dies gelungen? Man ist geneigt, die Frage positiv zu beantworten, weil die ENI heute für Italien zuviel bedeutet, als daß irgendein neuer innerpolitischer Kurs sie bei irgendeiner Krise inneren oder äußeren Ursprungs im Stich lassen könnte. Ebenso wie Mattei selber zum Petroleum-Commo-dore aufgestiegen ist, hat er aus der ENI eine Institution gemacht, die aus dem Wirtschaftsaufbau Italiens nicht mehr wegzudenken ist.

Alle fünf Jahre finden in der Indischen Union Parlamentswahlen statt. 210 Millionen Wähler werden an die Urnen gerufen, um die Lok Sabha (das indische Unterhaus in Neu-Delhi) und die Vidhan Sabhas (die einzelstaatlichen Unterhäuser) zu bestellen. Insgesamt stehen 494 bzw. 3099 Sitze auf dem Spiele. Die Zahl der Kandidaten beträgt ein Vielfaches. Allein für das künftige Zentralparlament stellten die sechs großen Parteien bis zum 20. Jänner 2096 Kandidaten auf. Vom Ausgang dieser „General Elections“ hängt die voraussichtlich am 6. April stattfindende Wahl des Staatspräsidenten und damit die Nomination des Ministerpräsidenten, dar einzelstaatlichen Gouverneure und der Mitglieder des Obersten Gerichtshofes ab.

Eine Herkulesaufgabe

Welche Schwierigkeiten mit diesen Wahlen der „weitaus größten Demokratie der Welt“ verbunden sind, davon kann sich ein Außenstehender kein richtiges Bild machen. Das Territorium der Indischen Union ist so eroß wie Europa, ohne Rußland ge-ilechnet. Gewisse Gebiete sind.'derart ^abgelegen, daß sie nur zur- Zeit der Wahlen in Kontakt mit der Außenwelt treten. Neu-Delhi läßt es sich etwas kosten, die Demokratie bis in die hinterste Dschungelsiedlung zu tragen. Für 50 Staatsbeamte ist dies eine Frage von Leben und Tod. Sie mußten schon am 12. Februar von Bhopal aufbrechen; nachdem sie 110 Kilometer per Bus und 50 Kilometer per Jeep

zurückgelegt haben, werden sie das Tigerland des Bastar-Distrikts zu durchkreuzen versuchen. Fünf Tiger haben bereits 36 Menschenleben auf dem Gewissen. Für einen von ihnen ist ein Preis von 500 Rupien (mehr als das Durchschnittseinkommen eines Inders) ausgeschrieben. Ob die fünfzig Männer mit ihren 20 Shikaris (Wegbereitern) jemals den Bestimmungsort erreichen und mit den Stimmzetteln

wieder heil nach der Hauptstadt zurückkehren werden, ist noch völlig ungewiß.

Gandhi und nur Gandhi

Angesichts solcher Tatsachen darf es nicht erstaunen, daß noch bei den Wahlen von 1952 und 1957 viele Tausende von Indern ihre Stimme „Gandhi und hur Gandhi“ geben wollten. Für sie war der Mahatma — vier bzw. neun Jahre nach seiner Ermordung I — lebendiger als Nehru, Chruschtschow und Kennedy. Mehr als 75 Prozent der Inder sind Analphabeten. Da sie den Namen eines Kandidaten nicht auszuschreiben vermögen, müssen die Wahlzettel bekanntlich mit Symbolen versehen werden, unter welches der Wähler ein Kreuz eintragen kann. Jede Partei hat ihr besonderes Zeichen. Die Kongreßpartei Nehrus zieht zum dritten Male mit einem „Ochsengespann“ in den Wahlkampf. Die gemäßigten Sozialisten

präsentieren eine Hütte. Das kommunistische Abzeichen ist geschickt getarnt. Nur die Sichel ist vorhanden, der Hammer fehlt. Die „Entschuldigung“ liegt auf der Hand: nicht einmal ein Prozent der Werktätigen sind Industriearbeiter!

Verbot des unlauteren Wettbewerbs und Freiheit der Blamage. Die Symbole dürfen nicht frei gewählt werden. Keiner Partei ist es gestattet, eine Kuh oder eine Moschee zum Parteiabzeichen zu machen. Heilige Gegenstände sollen aus dem Wahlkampf herausgehalten werden. Indien rühmt sich, im Unterschied zu Pakistan ein seku-larer Staat zu sein. Als eine Partei ihre Fortschrittlichkeit mit einer Eisenbahn auf dem Banner unter Beweis stellen wollte, wurden Klagen laut. Das Symbol blieb ganz einfach unverstanden. Dieser propagandistische Fehlgriff hat der Partei Hunderttausende von Stimmen gekostet.

Neun dunkle Nächte ...

Es'Versteht.T:^fch,9ßaa8'K bef Durchführung solcher Mammutwahlen nicht an einem einzigen Tag bewältigt werden kann. Im Jahre 1952, als 173 Millionen Inder an die Urnen gerufen wurden, beanspruchte die Volksbefragung ganze 17 Wochen. Fünf Jahre später konnte die „Polling Time“ auf 19 Tage reduziert werden, und dieses Jahr versucht man, mit einer „Wahlbeibringungszeit“ von zehn Tagen aus-

zukommen. Die Herabsetzung bedarf einer um so größeren Organisation, als die Anzahl der Wahlgänger erheblich im Steigen begriffen ist. Vor zehn Jahren begaben sich „nur“ 88,6 Millionen oder 51,15 Prozent an die Urnen. 1957 waren es 92 Millionen oder 47,57 Prozent aller wahlbeteiligten Inder über 21 Jahre. Bei einer voraussichtlichen stärkeren Wahlbeteiligung von zirka 60 Prozent, welche

man, f^,4mfai&ftl\fhs&Aehi!Pßfc, , rate .(panchajats). verspricht, werden zwischen dem 17. und '26. Februar .126 Millionen die 225.000 Wahllokale der 2833 Wahlkreise aufsuchen. Es wäre das erste Mal in der Geschichte der Menschheit, daß mehr als hundert Millionen Menschen in freier Wahl ihre Abgeordneten wählen.

500 Millionen Stimmzettel

Das Bestreben der indischen Regierung, die „Polling-Time“ nach Möglichkeit zu verkürzen, ist sehr begrüßenswert. Zehn Tage bedeuten neun Nächte. Es wurden vor fünf und zehn Jahren Stimmen laut, daß einzelne Stimmenzähler die Dunkelheit dazu benutzten, um handvollweise Wahlzettel von einer „Box“ zur andern zu schmuggeln und auf diese Weise das Wahlergebnis in ihrem Sinne zu korrigieren. Obwohl Neu-Delhi die Behauptung als „unbegründete Verdächtigung“ bezeichnete, entschloß es sich nun doch, die Beibringung durch eine weniger angreifbare und einfachere Wahlzettelabgabe zu ändern. Die Zettel werden von nun an nur noch in eine einzige Urne geworfen, was die Auszählung erschwert, aber hoffentlich die Betrügereien vermindert. Dieses für Indien neue, aber in andern Breitengraden selbstverständliche System wurde bereits in Kerala und Orissa während der dortigen Zwischenwahlen erprobt und als durchführbar befunden. Es setzt freilich eine größere Vorarbeit voraus. Nicht weniger als 500 Millionen Wahlzettel müssen in 14 verschiedenen Sprachen gedruckt werden. Nur in den großen Städten und in Assair können englisch gedruckte Wahlzettel abgegeben werden.

Mit Radio, Flugzeug und Helikopter

Nach langwierigen Verhandlungen ist es endlich gelungen, auch die nationale Rundfunkgesellschaft, das Flugwesen und den Helikopterdienst für den Wahlkampf einzusetzen. Zuerst wollte man die Sendezeit der einzelnen Parteien nach der Sitzverteilung im bisherigen Parlament bemessen. Dies hätte die Kongreßpartei mit ihren 373 Sitzen erheblich bevorzugt. Die Kommunisten wären auf diese Weise mit ihren 30 Sitzen zu kurz gekommen. Die andern Oppositionsparteien

hätten sich mit einer noch kürzeren Sendezeit begnügen müssen. Schließlieh versuchte man, sich auf einen gerechteren Modus zu einigen. Es ist nun auch gestattet, das Flugwesen in den Wahlkampf einzusetzen. Swantantra wird mit Helikoptern anrücken. Dies hat Nehru dazu gebracht, diese Sammelpartei unzufriedener ehemaliger Kongreßmitglieder als „Partei der Heuschrecken“ zu bezeichnen. Ob es ihr gelingen wird, einen weiteren Teil der Wählerschaft dem Kongreß abspenstig zu machen und zur großen Rechtspartei Indiens zu werden, ist eines der gToßen Fragezeichen der kommenden, Wahlen. N. Sanjira Reddi, der Führer der Kongreßpartei, scheint sich vor dem Geld der Swantantra-Gruppe nicht zu, fürchten. „Mit Geld allein kann man keine Wahlen gewinnen“, sagte er kürzlich in einer Pressekonferenz, als er begründen wollte, warum seine Partei im jetzigen Wahlkampf die Propagandaspesen auf einem Minimum halte. In Hinsicht auf Indien mag er recht haben.

Alle Beobachter der politischen Szene Indiens sind sich darin einig, daß Nehrus Kongreßpartei nach wie vor als stärkste Partei aus den gegenwärtig stattfindenden Wahlen hervorgehen wird. Wenn der Wahlkampf in den letzten Wochen ein gewisses Interesse erregen konnte, so nur deshalb, weil das Ergebnis in einigen Wahlkreisen heute noch keineswegs feststeht und die solide Stellung der Kongreßpartei wenigstens in den Staaten Bihar, Mysors, Madhya Pradesh, Uttar Pradesh und Punjab erheblich geschwächt werden kann. Kontrolliert heute die Partei des Premierministers alle 14 einzelstaatlichen Regierungen und die Zentralregierung in Neu-Delhi, so könnte es sehr wohl geschehen, daß ihre parlamentarischen Mehrheiten weiterhin zusammenbröckeln. Zur Zeit von Gandhis Unabhängigkeitskampf war die Kongreßpartei ein Auffanglager sämtlicher antibritischer Elemente. Nach Erreichung dieses Zieles trennten sich verschiedene Gruppen von der Mutterpartei. Heute gibt es insgesamt 15 Oppositionsparteien, welche der Mehrheitspartei die Stimmen streitig machen. Um eine weitere Aufsplittenung des poljtischfiu, Lejjens 1 zuf>“ve¥hind rn, wuMe körelkh': -be-sc%los4äiiV<#ie? MinimaJjdWsefefcottdbitf“ Prozent ' auf vier Prozent “hinauf zusetzen. Eine Partei muß wenigstens ein Fünfundzwanzigstel der Wähler eines Einzelstaates auf ihr Symbol vereinigen können, damit sie künftig, in den Wahlkampf treten darf. Aller Voraussicht nach wird die Ram Rajyr Parishad dieser Bestimmung zum Opfer fallen. Mit ihrem Traum eines Großindiens, welches Burma, Siam. Java, Sumatra, Ceylon, Sikkim. Tibet, Afghanistan und „andere Nachbarstaaten“ (gemeint ist wohl Pakistan!) einschließen sollte, macht sie sich vor aller Welt lächerlich und kann sich kaum noch selbständig über Wasser halten.

Die Chancen der Rechten

Je mehr die Kongreßpartei unter der Führung Nehrus nach links abschwenkt, desto besser sind die Aussichten der Jangh Sangh, zur großen konservativen Partei zu werden.

Der Gerechtigkeit halber muß gesagt werden, daß noch immer sehr viel mehr Großgrundbesitzer, Industriekapitäne, Prinzen und Prinzessinnen im Schöße der Kongreßpartei verblieben sind, als es nach der geschickten Demagogie Nehrus den Eindruck machen könnte. Die Gründe liegen auf der Hand: ihre Lizenzen und Erlaubnisse hängen vom gegenwärtigen Regime ab. Es brauchte erheblichen Mut, als der indische Stahlkönig J. R. D. Tata von seinem Wahlkostenbeitrag „nur“ zwei Drittel dem Kongreß und ein ganzes Drittel der Swatantra schenkte!

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