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Wahrheit im Metapherngestöber

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ATEMWENDE. Gedichte von Pmul Celan. Suhrkamp-Verlag, Frankfurt, 1967. 100 Seiten, Leinen. DM IX.—.

„Gedächte“, sagte Paul Celan, als er 1958 den Literaturpreis der Freien Hansestadt Bremen entgegennahm, „sind die Bemühungen dessen* der mit seinem Dasein zur Sprache geht, wirkliehkeiitswund und Wirklichkeit suchend“. — Und diese Bemühungen werden nie abgeschlossen sein, möchte man angesichts seines sechsten Gedicht-banides „Atemwende“ hinzufügen, den Celan nun nach vierjähriger Pause vorlegt: die Sprache noch karger, die Wirklichkeit spröder, der Sucher wunder. Doch er kapituliert nicht vor der Unsagbarkeit dessen, was er sucht, er gibt der „starken Neigung zum Verstummen“ nicht nach, von der er 1960 bei der Verleihung des Georg-Büchner-Preises sprach; er bleibt unterwegs auf der Suche nach einer absoluten Deckung von Sprache und Wirklichkeit, auf der Suche nach der aktualisierten Sprache, nach der wortgewordenen Wirklichkeit.

Die Geliebte, der Mensch, Gletscher, Baum oder Hafen, alles ist „Du“, alles ist Wirklichkeit, zu allem wird die „Stimmbänderbrücke“ zu schlagen versucht, alles dies wird damit zum Thema dieser Gedächte. In „Atemwende“ gibt es inhaltlich keine speziellen Themenkreise mehr wie das Schicksal der Juden, Nachkriegsbilder oder Stadteindrücke, den früheren Zyklen „Sand aus den Urnen“ 1948, „Mohn und Gedächtnis“ 1952, „Von Schwelle zu Schwelle“ 1955, „Sprachgitter“ 1959, „Die Niemandsrose“ 1963 (das Gedicht „Prag“ in dem vorliegenden Band ist eine Ausnahme). Stück für Stück leuchtet nun die Wirklichkeit in Bildern' und Visionen auf, rätselhaft, paradox, leidrvoll — „weltepfel-groß die Träne neben dir“ —, bis sie sich zusammenfügt zum Ganzen, das von der Sprache ergriffen werden will. Aus der Hinwendung zu jedem Wärklächkeätssitück wird Sprache, wird ein „Atemkristaü“.

Paradox und rätselhaft wie die Wirklichkeit ist Celans Sprache, vergittert, mannigfach verschoben, unerwartet, unerschöpflich reich — vergittert und gekreuzt bis zuni Sillbenaustousch „Sipheten und Pro-byllen“, bizarr bis zum „gedoppelten Wahn, wo die Steinboote fliegen“, paradox bis zur Wortverbindung „wunidgeheüt“.

Diese Sprache stellt Ansprüche an die AufnahmTefoereitschaf t und Sensibilität des Gegenüber, fordert Einsatz und geästige Anstrengung, sie ist nicht mühelos verständlich, aber verstellbar im Miterleben. Hier liegt keine wilde Zerstörung jeglicher Logik und Bindung vor, die als Symptom einer Auflehnung gegen bürgerliche Sattheit und Dekadenz etwa verstanden wenden könnte, wie Dada oder Happening. Hier ist der Leser nicht dilettantisch hängeplau-derter Atmosphäre oder unartikulierten Gefühlsausbrüchen ausgeliefert, hier kann er einer meisterhaft gehandlhabten, sännerfüllten Sprache begegnen. Einer Sprache allerdings, die an Stelle logischer Bezüge in dauerndem Anspielen und Assoziieren scheinbar disparate Bilder und unerwartete paradoxe Attribute aneinanderreiht — aber ist das nicht Wirklichkeit?

Celan hat in den vorliegenden Gedichten die von ihm zur Meisterschaft geführte Form der Fugenkomposition endgültig verlassen, ihre fließenden Rhythmen in viele kurze Zeilen gebrochen; ebenso wie sich die in seinen früheren Gedichten sehr beliebte Form der Genetivmetapher aufgegeben findet zugunsten des noch dichteren Zuisammenzugs in ein Wort. Alles zieht auf eine noch intensivere, knappere, optimal komprimierte Aussage bin.

Sprache ist iri diesen Versen Celans nacht nur meisterhaft

gehandhabtes Instrument, sie ist gleichzeitig ihr beherrschendes Thema, gleichermaßen Inhaltsträger wie Inhalt, diese Gedichte kreisen und ringen um die Aussagbarkeit der Wirklichkeit.

Es ist ein hartes Ringen, in dem die Worte keuchen, Namen gepreßt und geätzt werden, Sprache in „schraubenförmig gekerbter Wortspur“ SEbe um Silbe „freigehämmert“ werden muß — meist jedoch vergeblich: Die Worte sind abgenabelt, Namen verflüssigt, Buchstaben scheren aus, die Schrift ist auseinamdergeflohen die Sprache nur noch „Meingedicht, Genicht“; im flutenden Mob kreuzen Abbild und Nachbild „eitel zeithin“. Ein Mitteilen und Verstehen ist in unserem „Schiweigejahrtausen/d“ kaum mehr möglich, wo das „Ohr abgetrennt, das Aug in Streifen geschnitten“ ist.

Doch jenseits des „Mob“, abseits vom Alltäglich-Gedankenlosen, in einem kosmischen Raum, wo der „Helligkeitshunger“ den Menschen hintreibt, am Schneeort, in den Gletscherstuben unter der Faden-

sonne, im Straihleniwind der Sprache, dort kann der Mensch noch „Durchstichpunkte“ erleben, wo das geächtete Wort .nordwahr, südhell“ wird. Aus einem Raum jenseits der Erde kann die Erlösung der Sprache kommen:

Ein Dröhnen: es ist

die Wahrheit selbst

unter die Menschen

getreten.

mitten ins

Metapherngestöb er. Oder auch in der personellen Begegnung und Berührung mit dem einen Menschen, abseits von den „meerüberrauschten Wortaufschüttungen“ im flutenden Mob: Es kommt ein Mensch Der stille Aussatz löst sich dir vom Gaumen

und fächelt deiner Zunge Licht zu, Licht.

Es ist beschwerlich und hart, die Gedichte der .Atemwende“ zu lesen, aber um dieser „Durchstichpunkte“ willen tröstlich. Um dieser selten aufleuchtenden Augenblicke willen wird Paul Celan unterwegs bleiben, immer wieder mit seinem Dasein zur Sprache gehen, „die Wirklichkeit suchend“; um dieser Augenblicke wällen bleibt ein Dichter Dichter.

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