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Waldfahrt

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Es war ein stummer Sonntag geblieben. Da schlugen die Mädchen vor, wir sollten einspannen.

Der Wald nahm uns auf wie ein feierlicher hoher Saal. Ragende Pappeln sahen schweigend auf uns, versunkene Hochzier einst landweiter Straßen. Dazwischen säumten uns starke Robinien, leicht im Windhauch spielende pannonische Tracht. Feld und Weinberg waren versunken, Wald und Himmel boten sich kronengrün, weitenblau, wolkenweiß.

Dann standen wir auf dem Mailberger Buchberg. Im Norden der Pulkauboden sah uns an wie ein fröhliches Wesen voll Offenheit, Weite und Helle. Znaim, übertürmt, leuchtete uns zu. Schlösser boten Herrengrüße, das Seefelder eckig und schrötig, anmutig das Joslowitzer. Hin bis zu den Horizonten breiteten sich Äcker und Weinberge wie eine große, freundliche, früchtereiche Tafel. Kann tiefere Freude herschlagen, über Wangen wellen, ins Herz stürzen, als jäh über der Welt zu sein, die einem Heimat, Lebensmaß, Schicksal ist? In einem Wald, auf einem Berg, wo jene allein sind, die Wald und Berg suchen? — Im Süden dagegen schwang dunkle Verhaltenheit, kühlernstes Schweigen, besinnlich schweres Gleiten: der mächtige Leiser Laubwaldbogen deckt wie ein schattendes Tuch Berge und Mulden, so daß darunter fast noch die Kornfelder dunklen.

Hellwiesengrüne Straße zwischen blättersatten Büschen wies der breite Waldschlag zum Steinbruch hinüber. „Wißt ihr es noch“, sagten wir fast zu gleicher Zeit, „wie wir dort einmal unter unzähligem Muschelvolk ihre Vornehme, ihre Erwählte fanden, die sich die Ritter auf ihre Panzer schlagen, die Kreuzfahrer auf ihre Kleider heften ließen? Die Hesrzog-Pilger-Muschel, diese Wunderzier an Schlichtheit, Anmut, Wölbung und Maß? Und wie wir uns freuten, als wir sie, von Steinmetzen, Bildhauern, Keramikern, Metallgießern zum Ornament erhöht, wiederfanden? Wiederfanden über den Toren der Hadreser Kirche, an den Kaminen der Melker Herren im Haugs- dorfer Pfarrhof, in einem goldblühenden Bilderrahmen der Pulkauer Schottenkirche, auf einer uralten Malteser Weinpresse in der Obritzer Kellertrift, ja, und als wir heimkamen, in den Stielen der Silberlöffel einer unserer Freundinnen? Und wißt ihr es noch, wie dann jemand von Wien erzählte und von Melk und von St. Florian und zum Schluß sagte: ,Was hätten die barocken Meister wohl getan, wenn es unsere schöne Muschel nicht gäbe?’“

Unterdessen waren wir in den Längsweg unterhalb der Buchbergspitze eingebogen. Die Mädchen, die uns vorausgegangen waren, hielten plötzlich und schauten schweigend hinaus in das helle, breite Tal. Und dann hielten auch wir und schauten wie sie. Ein paar Schritte davor fiel es steil ab, und so bot sich uns die schönste Silhouette, die zu denken ist, und diese Silhouette waren wir selbst, war unsere kleine, in dieser späten Nachmittagsstunde herzleuchtende Welt. Wie geschmeidig geschwenkte Stäbe, handweit nah, die schattenschwarzen Buchen-, Ahorn-, Lindenstämme, darüber blitzend, lichtträufend das satthellgrüne Filigran der Blätter, und im Hintergrund nach plötzlich fernen, farbzarten Ackerstreifen, unwirklich, märchenhaft, doch wahr und grüßend wie Mutter, Schwestern und Freunde unser Marktflecken und vor und nach ihm die Dörfer. Mauerweiße, dachsilbergraue, ziegelrote Heimatsonne auf Wänden, Dächerzeilen, Türmen. Darüber grüne Baumsonne in Wipfeln und Kronen. Und nach den Dörfern wieder ziehendes Streifenfeld und höher dann ferngrüne Wellen Wein und das Ganze, Tal Ortschaften, Himmel, voll Funkeln, Sprühen und Geleucht bis wieder her an unsere grünschwarzen, silberschwarzen, rotblauschwarzen Baumstäbe, in unser lenzgrünjubelndes, lenzlichtdurchflirrtes Waldlaubdunkel. Hatten wir die Heimat einmal schöner gesehen?

Die Mädchen pflückten Blumen und bald fiel die Sonne auf den Waldsaum zu und die Welt war blutigrot und schimmerdunkelgrün. Selbst die höchsten Wolken waren angestrahlt von der satten Leuchtkraft dieser starken, prägenden Farben, und jetzt stand der blutbrennende Kreis schon hinter den Bäumen und der ganze Waldberg war nur ein wunderschönes, tausendfältiges, tiefblühgrünes Ornament auf einer feierlich glühenden, abendweiten Wunde.

Als wir aber wieder auf der Straße waren, überzog sich schnell die Helle, rotviolette Katzenschweifborten , die uns begleiteten, und darüber junge Pflaumwipfel verloren Glanz und Licht. Droben in der Haugs- dorfer „Freiheit“1 2 hing hinter einem dünnen Bergsaum Föhren ein feindseliges Himmelstück.

Wir hatten den Ort noch nicht erreicht, da war der Tag verändert. Wesenlos, entseelt, blind sah der Wald herein. Die hohen Felder schwankten unter starken Windstößen. Wir hatten Eile, heimzu kommen.

Beim Friedhof hielt das Mädchen unerwartet an. „Maria, trag schnell die Blumen dem Vater hinein und nachher müssen wir uns tummeln!“

Mit einem Sprung war die Schwester vom Wagen und lief, Kleid und schwarzen Schopf dem Wind lassend, an der Mauer vor zum Gatter. Die plötzliche, völlig unbesprochene Einmut der Schwestern, vor allem aber der Gedanke, überraschten und freuten mich. Es hatten also die Lobpreiser der bäuerlichen Menschen und ihres Lebensganges doch nicht so unrecht. Wer in der Stadt, von einem Ausflug heimkehrend, kommt am Friedhof vorbei? An jenem Friedhof, darin sein Vater ruht? Dort könnte man aber auch nicht so herzhaft und allein mit sich und seinen Grüßen zum Tor springen. Und wahrscheinlich käme man von der Straßenbahn, von vielen anderen Menschen, die nicht drüberm Weg den Vater hatten, ja, die nicht einmal alle im Wald gewesen waren. Hier kam man von Acker und Korn, Wagen und Pferd, von allem jenen, dem das Leben dessen, den man fernhin grüßte, gegolten hatte. „Trag schnell dem Vater…“ Wie tief sind diese Brüderschaften? Wie nah noch dieser Sprache die Toten? Leuchtende Waldfreude, ruhendes Sommerblühen, schattende Stille der Herzen waren Nachbarn in Stunde und Raum.

Die Stute hielt Hals und Kopf hoch und stellte die Ohren. Da klangen laufende Schritte, die Waage berührte flüchtig ein sicherer Schuh, die Schwester saß wieder neben uns und von selbst hatte das unruhig heimtrachtende Pferd den Wagen weggezogen.

Wir bogen in einen Feldweg ein. Der zornige Sturm wühlte im hohen, dichten, vorreifen Korn. Die kühlhellgrüne Ährenseide bauschte und flutete heftig zu Tälern und Wällen, Tiefen und Buchten blaugrün

dunkelnd, Kämme und Wipfel blaß schäumend.

Es war ein geheimnisvoll schönes, erdmächtiges Sausen und Rauschen. Uber den Dächern des Ortes standen Staubwolken und die Baumkronen hielten oft wie erstarrt alle ihre Zweige nach einer Seite. Wir waren die einzigen Menschen im zorngerüttelten Feld. Wir fuhren wie ein eiliges Schiff über bedrängten Wassern. Nur das hohe, braune, schwarzwehende Pferd schien darin Sicherheit.„Jiiah, Friedl, tummel dich!“ trieb die Fahrerin gütig an und lenkte dann geschickt durch rückwärtiges Tor und Stuhlhof in die Scheune. Da war schon die Mutter und wollte tadeln. Standhafte Heiterkeit ließ sich nicht irremachen. „Aber Mutter“, sprang das Mädchen vom Sitz, „jetzt sind wir da und schön is’ gwesn!“

Als ich heimging, hatte der Sturm alles aufgeklaubt, was nicht feste Erde war. Der Hauptplatz war hodiauftreibender Sand und man sah nicht immer Pranger und gegenüberliegende Häuser. Schmerzende Hof hinter der Scheune.

Würfe schlugen einem ins Gesicht, in Augen und Mund.

Ich trat in ein Haustor zu einem Freund. Der saß im Motta4 am Sommertisch und sah in den Hof. Nun brachte er Gläser.

Still tranken wir.

Immer wieder fiel der Sturm den jungen schönen Birnbaum an und dieser wand und wehrte sich so sehr, daß es schien, hier rängen zwei wesenhafte Gegner. Fauchende, stürzende Windströme trieben Astwerk, Blätter und Stroh rundum auf und ab. Ziegel trug er von den Dächern, die an der Toreinfahrt.

Erde schwarz und rot zersprangen. Heimelig gehütet saß es sich vier Schritte davon bei einem freundesguten Trunk. Doch wenn es auch plötzlich die schöne Birnkrone zu Boden geschleudert oder selbst wenn es das ganze Dach abgetragen hätte, an diesem Abend wäre ich unverletzlich gewesen. Der Waldgang, das rund um den .Berg gebreitete Land, die abendblutende Sonne, das Halten am Friedhof und das starke Bild des braunen, schwarzwehenden Pferdes im korngriinen Aufruhr — nicht eine Sekunde würde sie erloschen sein. Durch die tosendste Wildnis hätte ichs gehört: „Maria, trag schnell die Blumen…“

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