6636002-1957_15_13.jpg
Digital In Arbeit

„Walküre“ in Wien, „Pallas Athene“ in Linz

Werbung
Werbung
Werbung

Indem sich Herbert von K a r a j a n — als Dirgent und Regisseur des Wiener Staatsopernensembles — für Wagners „Walküre“ entschied, wagte er einen Versuch am heikelsten Objekt. Eine Synthese zwischen dem traditionellen und dem Neu-Bayreuther Inszenierungsstil lag nahe. Aber däs hätte nicht genügt. Wir werten als persönliche Leistung Karajans die Einfachheit und Großzügigkeit seines Konzepts. Dieses manifestierte sich zunächst in dem von Emil Preetorius geschaffenen Bühnenbild. Hundings Wohnung: eine zyklopische Esche, ein gewaltiger

Querbalken als oberer Rahmen und ein offener Hintergrund, der sich plötzlich („Winterstürme wichen dem Wonnemond") in leuchtendes Blau verwandelt; zweiter Aufzug: eine tiefe Schlucht, von zwei Felswänden flankiert, an deren einer, zu Beginn des zweiten Auftritts, Brünhilde wie eine Säulenheilige sichtbar wird: der Brünhildenstein:

schräge Felsplatten, die wie ein Wikingerschiff wirken und von bürgerlich gewandeten Walküren bevölkert sind. Das Ganze hatte eher mykenischen ąls gefjęą ch-nę isę ęĮi CjisrąĮętęrv (Dieser Eindruck „ oyur.cie auch dujffh Wmvtl griechisch, gekräuseltes Haar verstärkt.) — Unter Karajans Leitung spielte das Orchester der Philharmoniker mit vollendeter Präzision (wenn wir von kleinen Lapsi der Blechbläser absehen), meist kammermusikalisch gedämpft Und auch an den „starken" Stellen mit einer Dezenz, die keinerlei romantisches Klanggewoge auf- kommen ließ. Hierauf ist, trotz flüssiger Tempi, der Eindruck bedeutender Länge ebenso zurückzuführen wie auf das systematische „Unterspielen” der Darsteller. Die Besetzung sämtlicher Haupt- und Nebenpartien war glänzend. Ludwig S u t h a u s als Siegmund zeichnete sich besonders in den lyrischen Partien aus, Leonie R y s a n e k hatte als Sieglinde eine jugendlich strahlende und beseelte Stimme einzusetzen, Birgit Nilsson als Brünhilde sang sieghaft und hinreißend, Jean Madeira, eWas fremdartig in dieser Welt, war eine streng-imposante Fricka. Hans Hotter gab einen souveränen Wotan (was nicht in der Partie liegt), Gottlob Fricks schwarzer Baß, von tiefen Blechbläsern grundiert, war der eines Hunding, wie er sein soll. Als Walküren tummelten sich und sangen erste Kräfte der Staatsoper: Ljuba Welitsch, Christa Ludwig, Gerda Scheyrer und andere. Die Lichtregie, an einigen Stellen wirkungsvoll eingesetzt, hat nicht immer genau funktioniert. Dagegen wurde mit der raffinierten elektro- akustischen Anlage der Staatsoper, mit Lautsprechern und Verstärkern, fleißig gezaubert, so daß nicht immer ganz klar wurde, was Natur und was Technik war bei dem, was man hörte (Karajan hat zehn Tage lang mit einem bekannten Berliner Fachmann diese Apparatur genau studiert. und für die Aufführung vorbereitet). Nach den einzelnen Akten und am Schluß hat das festlich gestimmte Haus den Diri- genten-Regisseur, die Sänger und das Orchester lebhaft gefeiert.

Einige Tage, nachdem in Wien mit großem Aufwand und vor geladener Auslandpresse der (letzten Endes uninteressante) Klang- und Feuerzauber der „Walküre“ in Szene ging, fand am Linzer Landestheater ein wirklich bedeutendes künstlerisches Ereignis statt: die österreichische Erst aufführung von Ernst K r e n e k s Oper „Pallas Athene weint“. Das gedankenreiche und anspruchsvolle, von Krenek selbst verfaßte Libretto schildert den Untergang der freien demokratischen Republik Athen, die den von ihrem König Agis autoritär regierten Spartanern zum Opfer fällt. Dieser Mann weiß, „was der Welt not tut“: Ordnung und Zwang. Sein ideeller Gegenspieler, mit dem er, als das Spiel zu Ende ist, ein erregendes dialektisches Gespräch führt, ist Sokrates. Im Mittelpunkt steht die in allen Farben schillernde Gestalt des Alkibiades, der zum Verräter Athens wird. (Anläßlich der Hamburger Uraufführung im Oktober des vorletzten Jahres wurden Text und Musik an dieser Stelle — „Die Furche", 195 5, Nr. 44 — ausführlich besprochen, wir beschränken uns daher auf eine Charakterisierung der Linzer Aufführung unter der Spielleitung von Kurt Fischer-Colbrie.) Die beiden Gegenwelten waren äußerlich gut charakterisiert: Athen durch eine auf den Rundhorizont projizierte abstrakt-stilisierte klassische Trümmerlandschaft in Schwarzweiß, Sparta durch gewaltig und drohend aufragende Pfeiler und einen geometrisch geordneten Hintergrund. Die Athener erschienen in graublauen, die Spartaner in schmutzigbraunen Kostümen, die Vertreter des „reinen Geistes“, Pallas Athene und Sokrates, in strahlendem Weiß, die Eleusis-Priesterin, die, von Alkibiades in ihrer Ehre gekränkt, gegen diesen den Todesstoß führt, in Purpur. Die Hauptrollen waren (von einem einzigen Gast: Jacob

Amerseder als Alkibiades, abgesehen) mit eigenen Kräften des Linzer Landestheaters bestens besetzt (Gertrud Burgsthajer, erhatd Soucfjc, Jacob Heuser, Otto Lagler, Friedl Loos, Friedrich Nidetzky und Elisabeth Ranic). Chor und Orchester unter der Leitung von Siegfried M e i k haben fast ein Jahr lang an dem schwierigen, in einer konzessionslos-harten, aber dramatischen Tonsprache abgefaßten Werk geprobt und bei der Premiere Hervorragendes geleistet. Die geschmackvoll-modernen Bühnenbilder Heinz G a 11 ė e s wären auf größere Distanz noch besser zur Geltung gekommen. Das Publikum, das den zu Weinen Saal des „Großen Hauses" bis auf den letzten Platz füllte und unter dem sich erfreulich viele junge Leute befanden, hat — von dem erregenden Geschehen sichtlich beeindruckt und von der dodekaphonischen Musik keineswegs geschreckt — das Werk und alle Ausführenden stürmisch gefeiert. Bereits nach dem ersten Akt gab es etwa zehn Vorhänge. So wurden Mut und Mühe, die an d;ese Aufführung gewendet waren, aufs schönste belohnt.

Dem Mimen und dem Menschen Marcel Mar- c e a u hat Alexandre Arnoux von der Acadėmie Goncourt eine Empfehlung mit auf den Weg gegeben, in der es u. a. heißt: „Es hat immer geduldige, feurige und exakte Menschen gegeben, die davon träumten, die Leidenschaften der Seele und das Fittoreske des Lebens einzig durch die Bewegung ihres Köipers und unter Weglassung, Mißachtung des Wortes — dem ja auch die Lüge anhaftet — auszudrücken.“ Marcel Marceau zeigt mit seinen Künstlern, die zum Teil auch seine Schüler sind, einen uralten und zugleich neuen Typus der Menschendarstellung: die (gelegentlich von Musik begleitete) Pantomime, das Mimodram. „Bip“, wie Marceau die von ihm erfundene Gestalt nennt, ist, artistisch gesehen, eine Kreuzung von Chaplin, De- bureau und Clown, in seinem Wesen und in seinen Reaktionen ein Mensch wie du und ich. Wir sehen ihn Treppen steigend, gegen den Wind oder als David mit Goliath kämpfend, mit einem Schmetterling spielend; Marceaus Künstler ziehen ein nicht vorhandenes Seil oder tanzen darauf, belustigen sich am 14. Juli auf dem Montmartre oder stellen ihr Schicksal vor den Beamten des Leihhauses dar. In dem Mimodram „Le Loup de Tsu-Ku-Mi“ wird eine andere Wurzel der Kunst Marcel Marceaus sichtbar: die chinesische Pantomime, wie wir sie zuletzt im Volkstheater beim Gastspiel der Pekinger Oper kennengelernt haben. Die Begleitmusik (von Jean Prodromides) ist raffiniert-einfach und erinnert an Strawinskys „Renard" oder an die „Geschichte vom Soldaten“. Als fast dem Meister ebenbürtig präsentierte sich in einigen Soloszenen (die Hühner fütternd und sich dabei selbst mimisch in einen Hahn verwandelnd oder als Puppenspieler sich mit einer Marionette unterhaltend) Gilles S e g a 1. — Man amüsiert sich, lacht, ist gerührt: genau, wie es im „Vorspiel auf dem Theater“ der Direktor haben will. So pflichtet man am Ende der Darbietungen Alexandre Arnoux bei, der sagte: „Es würde der Welt des Theaters etwas Unentbehrliches fehlen, wenn Marcel Marceau nicht da wäre und sie nicht mit seiner stummen Kunst und der Musik seines Schweigens belebte.“

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung