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Wandel des Bildes vom deutschen Menschen

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Nun ist, zum wievielten Male, wieder der Name Faust beschworen worden, nach Spieß, Marlowe, Pfister, Lessing, Lenz, Goethe, Klinger, Grabbe, Lenau diesmal von Thomas Mann. (Doktor Faustus. Das Leben des deutschen Tonsetzers Adrian Leverkühn, erzählt von einem Freunde. Stockholm, Bermann-Fischer, 1947, 773 S.) Dieses Werk ist durch Autor, Wert und Zeinunstände besonderer Würdigung und Kritik wert.

Fs hat wie Goethes Werk viel und wenig mit dem historischen Faustus zu tun, dem Heidelberger (?) Astrologen, Arzt, Wahrsager, Zauberer und Teufclsbündler, der zwischen 1500 und 1540 sein Wesen getrieben hat. Goethe hat die Weltanschauung der deutschen Klassik, den „Geist der Goethe- Zeit”, in diese sagenumwucherte Gestalt gelegt. Mann unterlegt den Geist des kaiserlichen und hitlerischen Deutschland seinem Faust und tut noch ein übriges: er visiert seinen Roman auf Lebenslauf und Werk Friedrich Nietzsches mit der kühnen Annahme, daß in diesem „modernen” Faustus, das neue deutsche Wesen seine Inkarnation gefunden hat.

Nirgends sonst in der gegenwärtigen deutsch geschriebenen Literatur wird der Wandel der deutschen Geistigkeit von 1750 bis 1950 so deutlich als in der Gegenüberstellung der beiden Faust-Dichtungen, die den deutschen Mensdhen deuten sollen. Dieser Vergleich ist nicht nur um des gleichen Bezuges auf den Humanisten Faust erlaubt, der eine Reihe gleicher Situationen ergibt: urdeutsdhe Kleinstädterheimat bei Goethes und Manns Faustus mit allen ihren Typen und Begegnungen, deutsches Universitätstreiben dort wie hier, italienischer Aufenthalt bei Goethes Heinrich und Manns Adrian, Teufel- und Paktszene. Dazu kommt eine gleiche Methode, in den beiden Faustgestalten wie in einem Brennpunkt die gesamte Vergangenheit, Gegenwart und damit auch die Ahnung der Zukunft zu versammeln, die — jenseits aller simplen Symbolik — jeden Augenblick den Bezug auf alles und alle eröffnet. Freilich, die Technik, dies zu erreichen, ist bei beiden verschieden, Goethe benützt den klassischen Kanon, Mann den naturalistischen. Aber dies berührt die Fragen der Form, des „Wie”, hier soll hingegen von dem viel entscheidenderen „Was” geredet werden.

Was hat Goethe in seinem ,Faust dargestellt? Den schöpferischen, edlen, gesunden, den „guten” Menschen, der seinen Weg zwischen Jahrhunderten und ihrer Kultur und zwischen den Gestirnen und ihrer Natur sucht. .Sein Dämon — Mephistopheles — führt ihn den weitesten Kreis rundum, durch Sonne, Sucht und Schuld, und muß ihn doch wieder zu Gott zurückbringen.

Die Stationen auf diesem Wege sind Marksteine deutscher Geistesentwicklung und Meilensteine auf Goethes Wanderschaft zu seiner Vollendung. Aus altdeutscher Mystik kommend (Geisterbeschwörung), zu Leibnizscher Aufklärung (Hexenküche mit schöpferischem Spiegel), zur Gleichung erkennen — erzeugen (Gretchentragödie), zu platonischer Philosophie (Am farb’gen Ab- glaiu haben wir das Leben”), zu Plutarchs Müttervorstellung, die ihm schließlich seinen — Goethes — höchsten Begriff gebären hilft, das Urphänomen. Ober die aus Schetlingscher Naturphilosophie gewachsener klassischen Walpurgisnacht gewinnt er sich das höchste Urphänomen durch ewige Metamorphose — Helena. Aber auch darüber hinaus gibt es noch eine Steigerung, die Dienstbarmachung dieser Erfahrung einer Gemeinschaft, die Persönlichkeit als Kultur- und Staatsschöpfer durch Recht und Wirtschaft, auch wenn die Fracht nicht nicht mehr zu eigener Freude reifen wird, der Mythus Moses, der den letzten Goethe gefangennimmt. Durch ihn wird Faust-Goethe für den Himmel reif, denn so kann „die Spur von meinen Erdentagen nicht in Äonen untergehn”.

Was hat Mann in seinem Faust (Adrian Leverkühn) dargestellt? Den schöpferischen, edlen, aber kranken Menschen, der die zusammenfassen de Schau- und Erlebniskraft der Wirklichkeit verloren hat. Was ihm noch die Einheit schafft, ist seine Religiosität, die hinter seiner Areligiosität als deren eigentlicher Antrieb steht. Er sudiert vier Semester Theologie wie Faust, wird aber dann Musiker. In der Musik reproduziert er die Welt wieder, nicht wie Faust, der in der Welt selber „tüchtig” ist, in Auerbachs Keller ebenso erfahren wie am Kaiserhof oder in der Feldschlacht. Der Faust Goethes erwacht, „auf blumigem Rasen gebettet”, zu neuem Leben, für den Faust Manna gibt es die Natur überhaupt nicht, höchstens im naturwissenschaftlichen Experiment. Ihn schmerzt das Licht, er lebt in abgedunkelten Räumen. Goethe und sein Faust wissen von Musik wenig, für Adrian in sie das Leben, das er nur in ihr hat. (Die Gründe sind klar: die Musik ist jene furchtbare Ausdracksmöglichkeit der Wirklichkeit, in der in extremster Entwicklung das kälteste Gesetz und die berauschendste Betörung eine Einheit werden können. Dem Klassiker Goethe war beides willensmäßig gleich unlieb.) Das Zwiespältige zwischen Gesetz und Stimulans der Musik zerreißt auch das Gemüt Adrians. Der Dreiklang wird ihm zur Pein. Er will dem reinen Gesetz dienen und muß daher alle „enharmonisdie Verwechslung” seit Bach — sosehr er Harmonie und Polyphonie, Kontrapunkt und doppelten Kontrapunkt beherrscht — alle „Melodie” hassen, da sie zu elender konzertanter Lieblichkeit für die Mittelmäßigkeit herabgewürdigt und am Ende ihrer Möglichkeit angekommen ist mit Beethoven, Brahms, Wolf. Daraus rettet ihn nur seine musikalische Ironie, die diese Möglichkeiten nur mehr zum Hohne gebraucht. Sein ganzes Werk wird „von dem Paradoxon beherrscht (wenn es ein Paradoxon ist), daß die Dissonanz darin für den Ausdruck alles Hohen, Ernsten, Frommen, Geistigen steht, während das Harmonische und Tonale der Welt der Hölle, in diesem Zusammenhang also einer Welt der Banalität und des Gemeinplatzes, Vorbehalten ist”.

Goethes Weisheit, „was fruchtbar ist, allein ist wahr”, wird bei Adrian bis in ihr letztes Extrem ausgezogen. „Das will ich meinen, daß eine Unwahrheit von kraftstrotzender Beschaffenheit es auf nimmt mit jeder unersprießlichen tugendhaften Wahrheit … Das Leben ist nicht heikel und von Moral weiß es einen Dreck”.

Und wie, wenn nun Krankheit fruchtbar macht? Mit diesem furchtbaren Gedanken, Goethe völlig fremd, ist Mann sein Lebtag ausgezogen. Für sein Schaffen war immer schon der Leitsatz geltend, daß er versuchte, „das Klinische in das Poetische aufzulösen”. Unter dem Blickwinkel Friedrich Nietzsches wird ihm Adrian Leverkühn, der moderne Doktor Faustus, ein Schul- beispieL Schon vom Vater mit Kopf- und Magenschmerzen, dem „Hauptweh” aus- gestatret, wird er von einem Freudenmädchen, das er nach einem Schmetterling aus einem Kinderbuch „hetera esmeralda” nennt, das ec. ein etnzigesmal besucht, syphilitisch infiziert. Erst durch die Wirkung der Spirochäten, der „Lebeschraub- chen”, entfaltet sich — nach Thomas Mann —, was in Adrian groß ist. „Die Kleinen machen nichts Neues und Fremdes aus dir, sie verstärken und übertreiben nur sinnreich alles, was du bist.”

Damit wird bei Mann die Frage nach Schuld und Gnade ebenso ins Ungeheuerliche gezerrt wie die der Wirklichkeit. Während sie bei Goethe durch die Einführung des Begriffes des ..Ewig Weiblichen, das uns hinanzieht” (Iphigenie, mater gloriosa), im Versöhnenden und menschlich Tilgbaren verbleibt, ist die Schuld Adrians — er hat, gewarnt, das Liebesgift in sich aufgenommen —- untilgbar. Jeder Gedanke einer Rettung daraus wird als Versuchung abgetan. Sie soll zur größten Schuld durch Beharrung in ihrer Erkenntnis gesteigert werden, um damit vielleicht der größten Gnade teilhaftig zu werden. Aber Gnade hebt sich solcher freiwilligen Verstocktheit gegenüber selber auf. Darum verfällt Adrian der Wahnsinnsnacht, der Faust Manns fährt zur Hölle.

Die Entwicklung dahin ist wie bei Goethe durch Marksteine gezeichnet, die, nach Manns eigenem Zeugnis, mit denen Friedrich Nietzsches parallel laufen. Wieviel wahre Erkenntnis mag in diesem Nietzsche- Bild liegen, da es in einem Künstler — einem Musikerleben, den Philosophen einfängt. Es sind drei Hauptwerke, auf denen das Lebenswerk Adrians ruht: seine Liedkompositionen zu Beginn seines Schaffens (Brentano und Keat, diesen auf englisch), seine „Apocalypse cum figuris” auf dem Höhepunkt und „Doktor Fausti Weheklag”, der Schwanengesang dieses Übermenschen, eine musikalische Transzendenz der Verzweiflung, die bis zuletzt keine Vertröstung, Versöhnung, Verklärung zuläßt. Im Gleichschritt mit Friedrich Nietzsche mögen diese drei Hauptwerke wohl den Dreitakt in Nietzsches Schaffen symbolisieren in der „Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik”, dem „Zarathustra” und seinem „Willen zur Macht”.

Zusammen ergeben sie das Bild eines Genies, aber eines Genie d’enfer. „Das Gute und Edle, was man das Menschliche nennt, obwohl es gut ist und edel, um was die Menschen gekämpft, wofür sie Zwingburgen gestürmt, und was die Erfüllten jubelnd verkündet haben, das soll nicht sein. Es wird zurückgenommen. Ich will es zurücknehmen.” Das ist die letzte Erkenntnis des Adrian Leverkühn, anders des Faust Manns und in weiterem Felde die letzte Erkenntnis Nietzsches und seiner buchstabengetreuen Interpreten.

Die Katastrophe des deutschen Volkes wind in diesem Werke zum ersten Male im Schicksal eines Menschen dargestellt: vergiftet von Träumen einer wunderbaren, schimmernden Hetera esmeralda, hob er sich zu Taten und Werken, nimmt aber damit das zurück, was man das Menschliche nennt, wir könnten es auch Goethe nennen. Von ihm bis zn Mann ist ein weiter Weg, der bestimmt ist von einer anarchistischen und nihilistischen Auflösung der Lebens- ainheit, die Goethe noch hatte, die aber durch irreparable schizoide Schübe des Menschengeiste endgültig verloren ist und die nur ein Wunder Gottes wieder zurechtrücken kann.

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