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Warum?

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Mit allen Vorzeichen einer kleinen Weltsensation fand in Wien im Akademietheater die Uraufführung jenes Gerhart-Hauptmann- Stüdces statt, das Carl Zuckmayer bearbeitet und vollendet hat: .Herbert Engel-

mann'. Wir glauben nicht, daß dem Andenken Hauptmanns hiermit gedient ist. Vom rein Technisdi-Theatermäßicjen her ist eine Aufführung vielleicht noch verständlich: das Stück hat einige „Reißer'-Rollen; die minderen, die leeren Stellen und öden Flecke, verbessern aber das dubiose Ganze nicht.

Ein junger Mann ist aus dem ersten Weltkrieg heimgekehrt; in das Berlin der Inflation; in der Fremdenpension, die den jungen Kernphysiker aufnimmt, der sich mit Strahlenforschung beschäftigt, so er nacht Anfälle von Hysterie und Verfolgungswahn hat, haben sich Personen der Zwischenzeit und Zwischcnwelt ein Stelldichein gegeben: verkrachte Adelige, Sektierer, übergewandte Geschäftsleute, Damen vom Theater, Jungen, die vom nächsten Krieg als Stahlbad der Nation träumen, und zwei Exmajore, die diesem Reden mit Sympathie gegenüberstehen, und, vorläufig, bei der Polizei Unterkommen. Die Exposition des Dramas ließe nun zu, und Andeutungen lassen es erwarten: eine große deutsche

Tragödie, im Zusammenstoß des hochbegabten jungen Herbert Engelmann, der gegen Front und Krieg und Phrase ist, mit der Zwischenwelt aller jener, die bereits erfolg- und machthungrig wie die Exoffiziere, geltungssüchtig wie der Baron und der Geldmann, verkrampft in spiritualistischem oder materialistischem Wahnglauben wie das alte Fräulein und der Arzt, auf den Morgen warten, der ihnen eine gespenstische Wiedergeburt bringen wird; bis alles das in Rauch und Trümmern untergeht, was die Wahnbilder dieser Plüschwelt vorspiegeln. Gespannt sieht man den Dialog des jungen Deutschen mit diesen Männern und Mächten anheben. Dann aber folgt schnell ein anderes: eine sehr unerquickliche Geschichte, die im Kern amoralisch ist, was Sentimentalitäten schlecht verkleistern und verkleben. Engelmann geht es nämlich gar nicht um eine innere Resistance, um die Überwindung des Hasses und der Borniertheit der Kriegswelt, um ein freies Schaffen freier junger, neuer Menschen (symbolisiert durch seine Forschungen), sondern, schlicht und einfach, darum, der Polizei zu entwischen, die ihn verfolgt, weil er einen Geldbriefträger ermordet und beraubt hat Sein schlechtes Gewissen hindert ihn nun aber keineswegs, ein nettes, liebenswertes Mädchen zu heiraten; er atmet erst auf, als nach vorübergehender Haft und Anklage und Freispruch (.mangels an Beweisen') seine Frau ihm — und das ist der Höhepunkt des Dramas — gesteht,, daß auch sie morden könnte, töten, kalt töten — jene, die ihren geliebten Mann verfolgen, um dessen Schuldtat sie, wie sie nun gesteht, von Anfang an zuinnerst gewußt hat. Hier halten wir inne, danken, nein: lehnen ab. Zur Gänze! Denn es ist keine Lösung, wenn sich unser junger Freund nun doch noch vergiftet und zudcend und sdireiend auf der Bühne seinen Geist aufgibt, über dessen Wesen, Gewissen und eigentliche Sinnesart wir nie rechten Aufschluß erhalten haben. Das Stüde ist also nicht eine deutsche Tragödie, ist kein deutsches Zeitdrama, obwohl es dies, mit deutlichen Anklängen an „Vor Sonnenuntergang", sein möchte; es ist im Grunde ein sentimen- talischer Reißer, von jener Art, dde mit Mord und Liebe und Verfolgung heute tausend Filme „behandeln“. Sehr gut ist O. W. Fischer als Engelmann; sehr bemüht die „Rollen" und Chargen. Offensichtlich hat Berthold Viertel viel Arbeit und Liebe an die Aufführung gewandt: seiner Regie gelingt prächtig der erste Akt; der zerdehnte Schluß enthüllt die Schwäche des Stückes.

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