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Warum ist der Mensch des Menschen Wolf?

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Aus ihm fließt ein häßlicher Strom von Gewalt, Aggression, Krieg. Es erschreckt und übt doch eine gewisse Faszination

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Aus ihm fließt ein häßlicher Strom von Gewalt, Aggression, Krieg. Es erschreckt und übt doch eine gewisse Faszination

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Vergangene Woche setzte sich das Sommerseminar der Katholischen Hochschuljugend (KHJ) mit Fragen zum Bösen auseinander. In der Benediktinerabtei Seckau fanden sich dazu etwa 50 interessierte Studierende, die Hälfte aus Ländern des ehemaligen Ostblocks, ein. Das Programm näherte sich dem Thema interdisziplinär.

Monika Leisch-Kiesl, Professorin am Institut für Kunst der Katholischen Hochschule Linz deutete die Kunst psychologisch als „Bewältigungsversuch des Bösen als unbewäl-tigte Unmenschlichkeit des Menschen”. Durch Analyse der exemplarischen Künstler Hieronymus Bosch, Alfred Kubin, Arnulf Bainer und des jungen österreichischen Malers Johann Deutsch zeigte sie, wie deren Werke die Irritation durch das Böse zum Thema machen. Sie sagte, daß sich Künstler dieses Jahrhunderts dem Bösen durch Darstellung des „Unheimlichen” nähern. Der Künstler gebe eine Stellungnahme, die „gewohnte Haltegriffe aufgibt und die Nichtfaßbarkeit der Epoche oder gar der Wirklichkeit seismographisch erfaßt”.

Dem Bösen in vier Schriften nähern

Der Hauptreferent des Seminars, Jörg Splett, Professor für Beligionsphiloso-phie und jüngere Kirchengeschichte an der Katholisch-theologischen Hochschule St. Georgen, ging dem Bösen philosophisch-theologisch auf den Grund. Gleich zu Beginn stellte er fest, daß man über das Böse nicht neutral reden könne. Splett näherte sich dem Bösen in vier Schritten.

Schritt eins: „Das Gewissen als Anspruch des Guten”. Der Professor führte aus, daß wir vor dem Phänomen des „Anspruchs des Guten” stünden, dessen Ort das Gewissen sei. Das Gute aber wäre durch Konzepte wie Hedonismus oder Utilitarismus nicht faßbar. „Wie können wir verstehen, sehen, begründen, daß wir gut sein sollen?”. Der Anspruch des Gewissens sei einsehbar, was sich in Kants kategorischem Imperativ ausdrücke, wir hätten einen „moral sense” dafür. Es brauche jedoch ein zweites, das nicht vom ersten ableitbar ist, um den Anspruch des Gewissens zu begründen: den Willen, um ohne Wenn und Aber gut zu sein, einen „sense of duty”.

Woher kommt das Gute? „Wir sind nicht die Quellen des Guten, wir müssen hinhören, Folge leisten.” Das Gute liege als das „Sich-ergreifen-lassen” uns voraus. Oder wie der kleine Prinz sagt: „Man sieht nur mit dem Herzen gut.” Der Mensch müsse sich die Mühe machen, sich „ein Gewissen um sein Gewissen” zu machen. Er habe die Freiheit dazu: „Die Freiheit ist die Mitte unsekann erst aus einer grundsätzlichen Bejahung existiezwar angesprochen, aber niemand zwinge uns, das Gute und Wahre anzunehmen. „Das Instrument zum Erkennen der Wahrheit sind wir selbst. ” Das schafften wir aber nur in der Begegnung mit dem anderen.

Zweiter Schritt: Das Böse als ein Nein, eine Gegnerschaft zur Liebe. Das Böse dürfe nicht verharmlost werden, indem man die Hoffnung auf Vergebung zu sehr in den Vordergrund spiele, oder sich der Verzweiflung überantworte, daß dem Menschen ohnehin nicht vergeben werde. Böses kann vergeben werden, ist aber nicht zu entschuldigen. Das Dasein müsse als fundamentales Geschenk erkannt werden. Die Endlichkeit, die Beschränktheit unserer Existenz sei aber ein Stachel. Warum sind wir, wie wir sind, obwohl wir vollkommener sein könnten? Diese Frage führe uns direkt zum Bösen, einer zerstörerischen und erbärmlichen Trotzreaktion: „Ich verzeihe Gott mich nicht!” Gott schöpft aber Endliches aus unendlicher Liebe.

Dritter Schritt: „Die Frage: Das Böse und Gott?” Den manächisti-schen Deutungsversuch des Verhältnisses von Gott zum Bösen, als Kampf entschieden zurück. „Das Böse ist kein Gegensatz, sondern ein Gegensatz zum Gegensatz des Lebens.” Gegensätze gehören zum Leben, während das Böse einen Widerspruch zum Leben darstelle. Der Professor wies auch Leibnitz' „beste aller möglichen Welten” von sich. Die beste Welt sei zwar möglich, es gäbe aber keinen Superlativ der Welt schlechthin. Das Problem kondensiere zu zwei Fragen: „Wenn Gott, warum das Böse?” und „Wenn Gott nicht, warum das Gute?” Spletts Antwort: „Wenn wir glauben, glauben wir, daß Gott alles rechtfertigen kann. Wir müssen uns aber die Möglichkeit der Anklage Gottes offenlassen.” Täten wir das nicht, würden wir seelisch verarmen. Selbst Jesus rief am Kreuz: „Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?” Gott wolle das Böse nicht, aber er ließe es zu. Die Frage nach dem Warum bliebe unbeantwortet, gehöre aber zur zentralen Frage des Glaubens. Splett zitierte seinen Lehrer Karl Bahner: „Die Unbegreiflichkeit Gottes ist in der Unbegreiflichkeit des Leides”.

Der letzte Schritt: das Böse als Herausforderung. Das Böse habe kein eisprochen, ein Mangel an Gutem. Die Frage nach dem personalen Bösen ließ Splett offen. Das absolut Böse sei zwar nicht personal zu denken, aber wenn es „böse Leut” gäbe, warum solle es dann keine bösen Geistwesen geben, von denen im übrigen im Neuen Testament viel mehr als im Alten Testament die Bede sei. Splett stellte aber klar: „Ich brauche den Teufel nicht, um die Welt zu erklären. Nur der Verführbare läßt sich verführen.” Das menschliche Leben gehe darum von der Freiheit der Entscheidung zur Freiheit der Entschiedenheit zu kommen. „Nicht die Möglichkeit, Nein zu sagen, sondern das Nein ist böse. Wir werden jeden Augenblick angefragt und müssen, sollen, dürfen Ja zum Leben sagen.”

Strittige Frage: Was ist das Böse?

Der Wiener Psychotherapeut, Richard Picker, gab einen Einblick in psychotherapeutische Grundpositionen: „Der Mensch ist auf der Suche nach seiner Einheit. Die Wahrheit seines Wesens kommt ans Licht. Er bleibt so lange krank, bis sie ans Licht kommt. Kranksein heißt wesentlich fremdbestimmt, im Extremfall ein bloßes Reizbündel sein.” Das Böse sei eine erfahrbare Qualität des Lebens, schwer diskutierbar, weil es sich verdecke.

Die Aufdeckung des menschlichen Lebens, die die Psychotherapie versucht, ist für Picker aber nicht allein durch Sozialwissenschaften erklärbar. Sie hat für ihn eine „offenbarende Qualität”. Dagegen wirke aber die Tendenz zur Verbergung. Picker fragt: „Ist das Verbergende der Mechanismus des Bösen?” Eine auch rein intellektuelle Beschäftigung mit dem Bösen könne die „schützende Haut der Naivität” eines Menschen verletzen und so Böses begünstigen. Picker warnte davor, Menschen früherer Zeiten zu belächeln, weil sie an Dämonen glaubten. Er glaube an, „von Menschen produzierte Dämonen”, die man heute anders benenne.

Bei der abschließenden Podiumsdiskussion entzündete sich ein Streit zwischen Picker und Splett an der grundsätzlichen Frage, was das Böse denn sei. Für Splett kann Böses nur aus Gewolltem kommen und vom verantwortenden Menschen her begriffen werden, während für Picker das Böse auf Unachtsamkeiten der Menschen lauert: „Die Fahrlässigkeit des Menschen wird vom Bösen überwältigt.”

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