Was alte Schriften für heute erzählen

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Dass Juden, Christen und Muslime zu Beginn des zweiten christlichen Jahrtausends einen regen Austausch pflegten, ist längst nicht neu. Eine Ausstellung der Österreichischen Nationalbibliothek geht dem damaligen interkulturellen Dialog nach.

Avicenna, eigentlich: Abu Ali al-Husain ibn Abdallah Ibn Sina (973–1037) war der bedeutendste Arzt des Mittelalters. Ein Gutteil der medizinischen Kenntnisse aus der Antike wurde dem Abendland erst durch die Tradierung im arabisch-islamischen Kulturraum zugänglich – etwa eben durch Avicenna. Hippokrates oder die Schriften des Galen kamen durch die „arabische“ Brille ins Abendland. In maurischen Spanien trafen sich die Kulturen von Islam, Judentum und der Christen – aus den Übersetzerschulen von Toledo schöpfte die abendländische Wissenschaft den Reichtum der Antike.

Der maurische Arzt Abu l-Qasim az-Zahrawi (latinisiert: Abulcasis) wirkte in im südspanischen Córdoba, das 1236 wieder christlich wurde. In der Stadt lebte auch der jüdische Gelehrte Ibn Maimun/Ben Maimon/Maimonides oder der islamische Philosoph und Arzt Ibn Ruschd/Averroës. Aus dem 30-bändigen medizinischen Kompendiums, das Abulcasis hinterlassen hat, verbreitete sich vor allem sein Chirurgie-Lehrbuch über ganz Europa: Es stellte ebenfalls eine Übertragung des antiken, vorislamischen Wissens in die damalige Gegenwart.

Am Beginn des zweiten Jahrtausends war die geistige Substanz des Abendlandes mitnichten eine rein christliche. Ohne die befruchtende Tradierung der Antike durch jüdische wie arabische Autoren, wäre das Abendland nicht geworden. „Interreligiöser“ Dialog war im Hochmittelalter abseits politisch-militärischer Fragen (etwa der christlichen Reconquista in Spanien) eine Voraussetzung europäischen Denkens. Das lässt sich auch an schriftlichen Zeugnissen aus dieser Zeit darstellen.

Auch auf islamischer Kultur

Die Österreichische Nationalbibliothek zeigt dazu in ihrem Prunksaal die Ausstellung „Juden, Christen und Muslime – Interkultureller Dialog in alten Schriften“: Eine kleine, aber feine Schau, die jedenfalls auch einen politischen Hintergedanken bedient, nämlich, den selbsternannten Abendlandrettern vor den islamischen Fremden mit der Geschichte ebendieses Abendlandes den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Schon allein die Qualität der Nationalbibliothek als eine der prominentesten Handschriftensammlungen der Welt birgt auch viele Schätze, die der Laie sonst kaum zu Gesicht bekommt.

Vier Schriftkulturen, die damals in regen Austausch waren, identifiziert die Ausstellung: die griechisch-byzantinische, die ihrerseits die Antike ins Mittelalter „übertrug“. Die westlich-lateinische Kultur schöpfte aus der Antike zu einem Gutteil über den (Um-)Weg der arabischen Tradition, welche sich die Antike auf ihre je eigene Weise angeeignet hatte, und auch durch das schriftliche Werk jüdischer Gelehrsamkeit.

Eine aus heutiger Sicht faszinierende Epoche wird auch durch diese Ausstellung wieder lebendig und versucht, die durchs 19. Jahrhundert und den Fokus aufs Nationale oder auf ein Europa, das es so nie gab, verengte Sichtweisen überwinden zu helfen.

In einem Einleitungsteil thematisiert die Ausstellung kurz die Grundlagen dieser vier Schriftkulturen, um sie dann in zwei als exemplarisch herausgegriffenen Themenbereichen miteinander zu verschränken: Der eine umfasst die Heilkunde und der andere Astronomie und Astrologie (diese beiden Disziplinen waren im Mittelalter ja nicht zu trennen).

Die Nationalbibliothek kann zum Thema auf weltweit einzigartige Bestände zurückgreifen, die auch nur selten öffentlich präsentiert werden: Der „Wiener Dioskurides“ etwa ist da als ältestes wissenschaftliches Werk der Spätantike ausgewiesen; mit seinen prächtigen Abbildungen von Pflanzen stellt er einen Meilenstein der Wissenschaftsgeschichte dar. Auch ein griechischer Kodex mit Schriften des Hippokrates ist eine historische Rarität neben der schon erwähnten Chirurgie des Albucasis, deren medizinische Anweisungen oft viel moderner anmuten als man es beim Mittelalter vermutet hätte.

Meilensteine der Geschichte

Ähnliches gilt auch für die Sternenkunde, die neben der Medizin in jener Zeit den Beginn der heutigen Naturwissenschaft markierte. Das „Losbuch“ aus dem 14. Jahrhundert, in dem berühmte Astrologen und Astronomen dargestellt werden, ist nur eines der Exponate dabei. Auch der reich bebilderte und konzis geschriebene Katalog hält zusätzlich viel an Information bereit.

Geschichte ist auch eine Lehrmeisterin für die Gegenwart. Selten wird das so sichtbar wie bei der Beschäftigung mit der kulturellen Durchdringung von Antike, islamischer Welt, Judentum, Hellenismus und Abendland, die sich am Beginn des es zweiten christlichen Jahrtausend ereignete. Eine kleine Ausstellung mag hier nur einen kleinen Beitrag leisten. Aber auch dieser sollte keinesfalls unterschätzt werden.

Juden, Christen und Muslime – Interkultureller Dialog in alten Schriften

Prunksaal der Österreichischen Nationalbibliothek

Di bis Sa, 10–18 Uhr, Do bis 21 Uhr, bis 7.11. – Katalog: e 29,90

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