7111333-1995_50_16.jpg
Digital In Arbeit

Was bedeuten Nikolaus und Christkind heute noch?

Werbung
Werbung
Werbung

Grundsätzlich kann man davon ausgehen, daß (jüngere) Kinder religiös sind. Ihre Beligiosität hängt nicht unbedingt mit der Gläubigkeit ihrer Eltern zusammen. Wenn Kinder von Beginn ihres Lebens an, also bereits im Mutterleib, Geborgenheit und Sicherheit erleben, dann kann dies zur Basis einer tragfähigen Gottesbeziehung werden; denn der frühkindliche Gott trägt eher mütterliche als väterliche Züge. Er reift mit dem Grundvertrauen des Kindes, vermittelt in der Symbolik von Hautkontakt, körperlicher Wärme, angenehmer Geräusche, freundlicher Gesichter und so weiter. Für die frühen Bezugspersonen erhebt sich die Frage, woher sie ihren inneren Halt nehmen, um dem Kind die notwendige Liebe schenken zu können. Schritt für Schritt bildet das Kind ein religiöses Bewußtsein aus, das sich von dem „aufgeklärter" Erwachsener wesentlich unterscheidet.

Ein Kind denkt und empfindet ani-mistisch und magisch. Bäume, Blumen und andere Dinge sind „beseelt". Bestimmten Bitualen schreiben Kinder eine besondere Wirkung zu: Mit einem Stofftier einschlafen; Gebete in bestimmten Körperhaltungen und an richtigen Orten sprechen, damit sie erfüllt werden und so weiter. Ähnliche Funktionen haben Symbolgestalten wie der Schutzengel, der Nikolaus, das Christkind oder andere imaginäre Begleiter, auch Bittgebete werden von den Kinder oft magisch verstanden.

Ein weiterer Grundzug im religiösen Bewußtsein des Kindes ist der sogenannte Artifizialismus: alle Dinge und die Natur sind von einem Größeren und Mächtigeren als das Kind selbst es ist, gemacht. Zuerst sind das Mutter und Vater; schon bald aber wird der Artifizialismus auf Gott übertragen (zum Beispiel Gott hat die großen Häuser gemacht, weil die Menschen keine so langen Leitern haben).

Die archaischen Weltbildvorstellungen der Kinder haben Parallelen zu frühen Weltbildern und zu den biblischen Schöpfungsvorstellungen. Selbst Kinder, die bereits wußten, daß die Erde rund sei, antworteten auf die Frage wohin man komme, wenn man immer tiefer grabe: „Es hört nie auf". Häuser werden von Kindern in der Begel auf der unteren Hemisphäre, mit dem Dach zur Mitte gezeichnet. Kleine Kinder erleben sich als von ihren Eltern abhängig. Alles ist von den Eltern „gemacht". Diese Vorstellung übertragen sie auch auf Gott. Später lernen die Kinder, mit Gott zu „verhandeln": „Lieber Gott, ich gebe dir Wohlverhalten und Gebet, damit du mir dieses und jenes gibst."

Grundsätzlich kann man die kindliche Religiosität mit P. Ricoeur als „erste Unmittelbarkeit oder Naivität" verstehen. Die Realwelt des Kindes ist gleichzeitig seine Symbolwelt und die Symbole' sind noch unmittelbar zugänglich. Das Kind lebt in einer gegenwärtigen Symbolwelt, wie sie etwa im kindlichen Rollenspiel treffend zum Ausdruck kommt. Es erlebt das Spiel als Wirklichkeit. Es kann mit den Symbolen und Ritualen noch nicht diskursiv umgehen, also sie zum Beispiel nicht als solche erkennen und interpretieren. Es betet, fragt aber nicht danach, ob beten sinnvoll ist. Es bleibt offen, wie früh heute - vor allem durch den Einfluß der Medien - die erste Unmittelbarkeit gestört oder zerstört wird, bevor sie Kinder ab etwa neun oder zehn Jahren in ihrer Entwicklung von selber zurücklassen.

Für die menschlich-religiöse Begleitung von Kindern ist es besonders wichtig, deren Beligiosität zu achten. Kinder brauchen einen „Garten des Menschlichen", in dem sich Vertrauen und Glaube spielerisch entfalten können und nicht ideologisch ausgeblendet, zerstört oder zu früh dogmatisch festgelegt werden. Denn jedes Kind begegnet, den Kindergott unter dem Arm, dem Kirchengott. In einem vertrauensvoll offenen Klima haben auch Erwachsene die Chance, von der Unmittelbarkeit der Kinder zu lernen.

Viel schwieriger als bei Kindern läßt sich die Beligiosität Jugendlicher beschreiben. Je nach Milieu herrschen Kritik, Gleichgültigkeit oder (bei wenigen) auch Engagement im Religiösen vor. Grundsatzlich ist eine Abkehr von institutionalisierter Religion, wie sie die Kirchen vermitteln, festzustellen. Folgt man Theorien über die Entwicklung des religiösen Bewußtseins bei Jugendlichen, dann wäre für sie die Trennung von Gott und Welt typisch. Es kann Gott geben, oder auch nicht. Auf das Leben hat das keinen Einfluß. Jede(r) muß das Leben selbst bestimmen und verwirklichen.

Es wird immer fragwürdiger, ob die These von einer kritischen Distanz der Jugendlichen gegenüber der Beligion in einer weitgehend medial gesteuerten Welt aufrecht zu erhalten ist. Geht man von einem weiten Re-ligionsbegriff aus, der die mediale Bilderwelt mit ihrem (pseudo)religiösen Charakter einschließt, ist nicht mehr (die für diesen Fall wünschenswerte) kritische Distanz, sondern die mögliche Rückkehr Jugendlicher in eine nicht bewußte „religiöse" Abhängigkeit zu befürchten.

So absurd es bei den gegenwärtigen kirchlichen Entwicklungen auch klingen mag: Die Kirchen wären dann jene Institutionen, die das kritische Potential gegenüber den neuen religiösen Abhängigkeiten repräsentieren müßten.

Der Autor ist

Ordinarius für Katechetik und derzeit Rektor der Katholischen Hochschule in Linz

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung