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"Das ist ein Gedicht", sagte meine Mutter, wenn eine Speise besonders gut war. Gedichte also, dachte das Kind, kann man kosten und kauen, sie schmecken. "Sag: / Grasnarbe. / Sag es langsam. // Du sprichst / ein vollkommenes / Gedicht." Diese "Entdeckung" machte Christine Busta. Gedichte also beginnen mit einem Wort, sie werden gesprochen und gehört, sie sind Klang und Atem, brauchen Raum und Zeit. "ich sag das ist ein gedicht / und gefällt es dir auch nicht / ist gefallen ja nicht pflicht" beginnt Ernst Jandls "was ein gedicht ist". Gedicht ist also, was der Dichter als Gedicht bezeichnet, selbst wenn es dem Leser, der Hörerin nicht schmeckt …

Ein Editorial ist zwar länger als ein Gedicht, aber trotzdem zu kurz, um zu klären, was ein Gedicht ist. Nicht einmal literaturwissenschaftliche Werke sind dafür umfangreich genug. Aber wenn Leser ein Gedicht sehen, erkennen sie es als solches, auch ohne wissenschaftliches Rüstzeug, auch ohne Reim. Allerdings begegnet man Gedichten selten. Denn die Auswahl in den Medien passiert nach den Regeln jenes Kartenspiels, in dem das Ass den König sticht und dieser die Dame und diese den Buben usw. Der Roman ist Trumpf und sticht in der Bedeutung immer die Lyrik - und den Literaturseiten und -sendungen der Medien entsprechen die Auslagen der Buchhandlungen und die Regale der Leser. Die Lyrik fristet ein Schattendasein, dabei ist sie höchst lebendig. Was nie vorkommt, wird aber immer fremder.

Genug Verstörungspotenzial

Im Mittelpunkt dieses BOOKLETS steht daher Lyrik, ein neues Gedicht von Ferdinand Schmatz, der am 13. Juni den Ernst-Jandl-Preis für Lyrik 2009 erhält. Sein Gedicht kann man kosten und kauen, laut sprechen oder leise murmeln - oder aber lesen, was ein Literaturwissenschaftler dazu schreibt und nachher vielleicht ganz anderes schmecken, hören, riechen … Denn Texte wirken auf andere Texte zurück.

Diese Tatsache macht auch das Buch "Von Jandl weg auf Jandl zu" interessant, weil man darin - wie der Titel schon sagt - in zwei Richtungen lesen kann. Reinhard Urbach bat Autoren und Autorinnen, "mit Variationen, Paraphrasen, Metamorphosen, Reflexionen" auf Jandl-Texte zu reagieren, bzw. er stellte Texte anderer Autoren, darunter Friederike Mayröcker, Paul Wühr, Friedrich Achleitner, Ferdinand Schmatz, Peter Waterhouse, Thomas Kling, Elfriede Gerstl und Raphael Urweider, den Jandlschen Texten zur Seite. Urbachs Rezept im Nachwort kann auf viele der hier versammelten Texte angewandt werden: "Man nehme ein Jandl-Gedicht und versuche sich an ihm. Es enthält genug Verstörungspotenzial für ein ganzes Leben."

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