"Was haben wir getan, was bleibt von uns?"

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"Dies ist ein ganz wichtiges Buch, ein wichtiger Autor, und es erscheint in einem kleinen Verlag. ... Und ein so bedeutender Autor, ich habe von ihm, ich gebe es zu, bisher nichts gewusst." Also sprach Marcel Reich-Ranicki am 5. Juni 1998 im "Literarischen Quartett" über Rafael Chirbes' Roman "Der lange Marsch". Dieses Urteil bedeutete für den spanischen Autor - zuvor waren schon zwei seiner Werke übersetzt worden - den Durchbruch in Deutschland.

Sein 15 Jahre später erschienener Roman "Am Ufer" beschreibt Spanien als bankrotte Schutthalde, die darin beschriebene Landschaft gleicht "einem verlassenen Schlachtfeld oder einem Waffenstillstandsgebiet." Der studierte Historiker, der für sich in Anspruch nahm, sich an das zu halten, was er beobachtete, punktete damit als "Krisenautor", mit einem Etikett, das ihm selbst aber nicht gefiel. Er wollte nicht Auskunftsperson über Krisen sein, sondern Schriftsteller; das, was er sagen wollte, war in seinen komplexen Werken mit vielen Perspektiven und Stimmen zu lesen, in Werken, die nicht eine Antwort liefern, sondern viele Fragen aufwerfen. Etwa über den spanischen Umgang mit der Franco-Diktatur, die quasi nahtlos in eine Demokratie übergegangen war, Thema seiner Roman-Trilogie "Der lange Marsch"(1996), "Der Fall von Madrid" (2000) und "Alte Freunde" (2003).

Mit "Krematorium" (2007) und "Am Ufer" (2013) wandte sich der 1949 bei Valencia geborene Autor dem zunächst boomenden und danach völlig abgewirtschafteten Spanien zu. "Die einen tragen stolz ihre prallen Einkaufstüten, lachen, grüßen und bleiben stehen, um mit der Nachbarin am Eingang zum Einkaufszentrum ein wenig zu schwatzen, die anderen wühlen in den Müllcontainern, in welche die Angestellten des Supermarkts die abgelaufenen Fleischpackungen, das angefaulte Obst und Gemüse kippen", heißt es in "Am Ufer" über die gut sichtbare "neue Ordnung". Ein Dorn im Auge eines Autors, der sich "trotz aller Verbrechen, die in Marx' Namen verübt wurden", als Marxisten und Materialisten bezeichnete. "Was haben wir getan, was bleibt von uns, was bleibt von dem, was wir waren, hat das alles die Mühe gelohnt, welches Land haben wir hinterlassen?" Das waren die Fragen, die er sich stellte und aus denen seine Romane erwuchsen.

Chirbes, der zuletzt zurückgezogen in Beniarbeig lebte, starb am 15. August 66-jährig an den Folgen seiner Lungenkrebserkrankung. Literatur sei absolut machtlos, sagte er einmal, notwendig sei sie trotzdem.

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