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Was ist mit den Klostersdiulen?

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Sind sie zeitgemäß, die Klosterschulen? Die Antwort auf diese Frage gibt — demokratisch betrachtet — die österreichische Elternschaft seit 1 94 5 in ganz eindeutigem Sinne. Schon damals, als sie ihre ersten Lehrsäle kaum notdürftig eingerichtet hatten, setzte der erste Run auf die Klosterschulen ein und seither steigt die Schülerzahl in den meisten Anstalten über die Vorkriegszahl hinaus, derart, daß im April oder Mai die Plätze für das nächste Schuljahr durchaus vergeben sind.

Einige Zahlen mögen diesen Anstieg darstellen:

Diese Ziffern besagen zunächst, daß die Klosterschulen einer der aktivsten Wiederaufbauposten Österreichs sind. Sie standen doch alle im Sommer 1945 in ausgeplünderten, durch Schmutz aus aller Herren Länder verunreinigten Häusern und Lehrsälen. Viele mußten ihr im Jahr 1938 verlorenes Eigentumsrecht in unzähligen Petitionen und Bittgängen von der Militärbehörde zur Zivilbehörde reklamieren, und es gibt noch immer geistliche Häuser, in denen das Unrecht der nazistischen Besetzung unter anderen Farben und Gründen bis heute aufrechterhalten wird. Ich erinnere nur an die Ur- sulinen in Salzburg, an die Schulschwe- stern in Wien, Erdberg, an die Kreuzschwestern in Wien, 14., oder an die Taubstummenanstalt in Graz.

Schon einmal wurde in diesen Blättern auf den überraschend schnellen Wiederaufbau der Frauenklöster hingewiesen, die beispielgebend für jeden Wirtschaftsbetrieb sind. Da alle arbeiten und opfern und in vollkommener Diszplin an den ihnen zugewiesenen Plätzen stehen, ohne irgendwelche Ansprüche zu stellen, ist es kein Wunder, daß diese großen Familien arbeitender Frauen auch zu Besitz kommen und ihn in Generationen von Klosterfrauen, die weder Reisen noch Kino, weder Kleider- noch Tafelfreuden kennen, erhalten und durch der Hände Arbeit vermehren. Wie klein und arm begannen sie alle im Jahre 1945! Sie schaufelten den Menschenkot aus ihren Kellern und Zimmern, wie die Borro- mäerinnen in Biedermannsdorf, sie rieben sich die Finger wund an den verschmutzten Fußböden, wie die Dominikanerinnen in Bregenz-Marienberg, sie leisteten Männerarbeit härtester Art in jedem geistlichen Hause.

Und so ist die Klosterschule von heute ihren weltlichen Kolleginnen- vielerorts um ein Beträchtliches voraus. Noch sind die Wände so vieler staatlicher Schulen kahl und die Häuser kasemenhaft unfreundlich; eine Klosterschule hingegen kann man nicht betreten, ohne nicht sofort freundlich berührt zu werden von der musterhaften Ordnung in jedem Winkel, von der verständigen Gestaltung jedes Schulraumes zu einem frohen Kinderheim durch wohlgewählte Bilder, durch Blumen Und durch jenes undefinierbare Etwas, das Frauenhände — und eben nicht nur Schuldiener- besen — einem geliebten Raume geben können. In den klösterlichen Schulküchen ist heute wieder jedes Gerät vorhanden, die, Nähsäl sind bestellt mit Maschinen und Bügelgeräten. Die Schülerinnen löschen die Tafel mit Tuch oder Schwamm und nicht mit Papier oder mit der Hand wie anderswo. Welche hauswirtschaftliche Schule hat ein so freundliches, stilfeines Speisezimmer wie die Ursulinen in Linz, in dem Tischtücher und Vorhänge und Luster aufs beste abgestimmt sind zur Einrichtung, und in dem man einfach nicht herumlümmeln kann, sondern sich gut benimmt, ohne daß man dazu ermahnt wird?

Und dann die Internate. Richtet einmal eine öffentliche Stelle ein Internat mit! schwerem Geld ein, so ergeben sich alsbald die Mängel: die Möbel sind zu einfach oder auch zu prunkvoll, die einzelnen Stücke passen nicht zusammen, sind zu teuer oder unzweckmäßig, es gibt keine oder nur kitschige Bilder an den Wänden, kaum einmal Blumen auf den Tischen und manchmal mehr Spiegel als Waschgelegenheiten. Bezahlte Frauen, die mit ihrer Zeit geizen, haben Schlafstellen für junge Menschen eingerichtet, aber nicht warme Hedmnestchen. Daneben das Bild eines klösterlichen Internats, es sei ruhig hier genannt: das Haus der Frauen vom Guten Hirten in Theresienfeld, das für sittlich verwahrloste Mädchen bestimmt ist. Vor allem ein vollkommener hauswirtschaftlicher Großbetrieb, wie man ihn für die Bundeslehranstalten für hauswirtschaftliche Frauenberufe so gerne erträumen möchte: die Großküche mit den modernsten Herden und Maschinen, die elektrische Bäckerei, cüe Wäscherei mit Wasch- und Schwemmaschin rti und Zentrifugen, die Büglerei mit elektrischer Rolle, alle erdenklichen Behelfe, um die Mädchen zu wertvollen Facharbeiterinnen in modernen Großhaushalten heranzubilden; daneben auch die Schulküche für die hauswirtschaftliche Fachschule, wo das Mädchen gute Familienküche übt. In dem großen hellen Speisesaal liegt vor jedem Platz eine Serviette, darauf Bestecktasche, Wasserglas und Salatschüsserl, einladend zu dem bevorstehenden Mittagessen. Jedes Zimmer der Schlafräume — es ist nicht übermäßig groß — hat seinen eigenen Namen; da gibt es ein Wolkenstüberl, ein Sonnenheim, eine Märchenecke. Originalbilder einer bekannten Wiener Künstlerin illustrieren den Namen schon beim Eingang und noch deutlicher im Innern des Zimmers. Malerei, Bettdecken und Vorhänge sind auf Namen und Bilder abgestimmt, so daß alles silbergrau und taubenblau im „Wolkenstüberl" ist und alles golden und rosenrot im Sonnenheim. Von den Bildern aber in der Märchenecke kannst du dein altes Herz kaum lösen, denn es ist plötzlich voll Heimweh nach der Kindheit.

Immerhin könnte man nun sagen, daß die guten Klosterfrauen recht tüchtige Geschäftsleute seien, daß sie so reizende Heime gestalten, um Zöglinge zu angeln und ihre Häuser bis obenauf voll zu erhalten. Aber gerade im vorliegenden Falle ist das nicht so: denn die Guten Hirtinnen von Theresienfeld hätten bei dieser traurigen Hochkonjunktur der Verwahrlosung der weiblichen Jugend übergenug Belag auch bei viel, viel ärmlicherer Einrichtung. Der wahre Grund dieser vollendeten Ausgestaltung der klösterlichen Internate ist ein besonderer: die Ordens frauen stehen anders in ihrer Arbeit. Sie stehen hundertprozentig darin, sie werden nidit durch Familiensorgen, nicht durch Ehrgeiz und nicht durch Liebeserlebnisse abgelenkt. Ihre religiöse Haltung, ihre durch ihr klösterliches Leben geforderte Besinnlichkeit und ständige Verinnerlichung, die strenge Tages- und Lebensordnung, die sie vor allem Unmaß der Arbeit und aller damit verbundenen Verflachung und Ausgegossenheit bewahrt, gibt ihnen die ausgeglichene Ruhe gegenüber unseren nervösen, durch alle Kriegsschrecken gegangenen Kindern, sie läßt ihnen Zeit für die notwendige Vertiefung in die Berufsarbeit, durch die allein der letzte Erfolg möglich ist. Und das Aller wichtigste: sie tragen in sich — wieder aus ihrer religiösen Haltung heraus — eine tiefe Achtung vor dem Kinde, vor dem jungen Menschen, hinter dem für sie deutlich die unsichtbare Protektion des ewigen und gewaltigen Gottes steht, der auch für das verlassenste Waisenkind und für die in allen schmutzigen Gassen herumgekommene jugendliche Prostituierte eine Verantwortung bis ins letzte Wort fordert.

Zudem haben die letzten zehn Jahre den Ordensfrauen ein anderes, von den braunen Machthabern wohl unbeabsichtigtes Plus gebracht: viele von ihnen waren im fernen

Ausland, konnten Sprachen, Schulen, Völker und Sitten studieren und kamen mit einem reichen Schatz von Wwsen und Erfahrungen nach Österreich zurück. Dadurch haben viele Klosterschulen einen ganz anderen Zuschnitt, bekomme , sie sind weiter, großzügiger geworden. Aber auch die Ordensfrau, die im Inland an einen Platz gestellt wurde, der für sie Neuland war und an dem sie als Krankenpflegerin, als ökonomin, als Oberin eines großen Hauses nach allen Seiten zulernte, steht heute ganz anders in der Schule.

Dies wirkt sich vor allem aus in der Einstellung der geweihten

Lehrerinnen zur Frage der religiösen Erziehung. Die plötzliche Schwenkung eines Großteiles der Schülerschaft im Frühling 1938 und die leidvoll aufdringliche Menschenkenntnis der nächsten Jahre hat ihnen allen gezeigt, daß religiöse Betätigung aus irgendeiner äußeren Beeinflussung heraus nichts Brauchbares und Dauerhaftes ist, das eine Bewährungsprobe aushalten könnte; daß die wahre Frömmigkeit und tiefe Religiosität reine Gnade ist, nur vorlebbar, nicht aufredbar; daß auch der leiseste Zwang in dieser Richtung die Heranwachsenden jungen Menschen zur Rank iin e und Ressentiment bringt. In keiner der Klosterschulen wird heute ein Zwang zum Besuch der Messe im Alltag ausgeübt oder zum Empfang der Sakramente. Es gibt Klosterkapellen, in denen Werktags nur zwei Schülerinnen zur Messe gehen von all den zwei-, dreihundert, die im Hause sind. So betrüblich dies für ein frommes Herz sein mag, so ist es doch ein wahrhaftigeres Bild als die vollgefüllten Kapellen vor 1938 und beweist, wie zurückhaltend und achtungsvoll die Ordensfrauen von heute vor der Gewissensfreiheit der jungen Menschen stehen. v Į

„Aber“ — und das ist der große Schlager: „Die Klosterschulen sind ,d i e bourgeoisen Erziehungss ätten par excellence'. Wer auch kann schon seine Kinder in die teuren Klosterschülen schicken? Doch nur Leute ganz bestimmter Prägung und ganz bestimmter Einkünfte! Für den kleinen Mann, für den Arbeiter schließen sich d i e v e r g o 1 d e t e n Klosterpforten von selbst.“

Dieses irrige Bild mögen folgende Zahlen berichtigen: Von den 2636 Schülerinnen klösterlicher Mittelschulen in verschiedenen Städten Österreichs sind nachweisbar

19,4% aus Akademikerfamilien (520 Sdiül.)

5,3% aus Unternehmerfamilien (141 Sdiül.)

1,4% aus Großbauernfamilien (43 Sdiül.)

29,0% aus Angestelltenfamilien (736 Schül.)

4,5% aus Kleinbauernfamilien (122 Sdiül.)

20,2% aus Familien von kleinen Geschäftsleuten und Handwerkern (537 Sdiül.)

13,2% aus Arbeiterfamilien (351 Sdiül.)

7,0% von Kriegerwitwen (186 Schül.)

Verhältniszahlen, die sich ganz ähnlich in weltlichen Mittelschulen wiederfinden. Es ist so, daß von den 2636 Schülerinnen 1932 Kinder kleiner Leute sind, zu denen man bei den heutigen nivellierenden Zeitverhältnissen Ange stellte so gut wie Arbeiter, Kleinbauern So gut wie Handwerker und kleine Geschäftsleute zählen kann.

Anders liegen die Verhältnisse bei den klösterlichen Haupt- und Volksschulen, bei denen sich folgendes Bild ergibt:

Von 8125 Schülerinnen sind:

761 oder 9,4% aus Akademikerfamilien 472 oder 5,8% aus Unternehmerfamilien

2061 oder 25,3% aus Angestelltenfamilien 89 oder 1,0% aus Großbauernfamilien 797 oder 9,8% aus Kleinbauernfamilien

1948 ocfer 23,9% aus Familien von kleinen

Gesdiäftsleuten und Handwerkern

1287 oder 15,7% aus Arbeiterfamilien 710 oder 8,7% aus Familien von Kriegerwitwen

Das heißt, daß 6 1,4 Prozent aus Familien des kleinen Mannes kommen. Man kann mit Recht einwenden, daß an öffentlichen Schulen dieser Prozentsatz doch noch bedeutend höher ist, und es muß zugegeben werden, daß dabei natürlich die Frage des Schulgeldes ausschlaggebend ist.

Vor mir liegt ein Brief aus einer mittleren Stadt Dänemarks. Dort haben Österreichische Ordensleute eine wunderschöne Schule gebaut, die von ungefähr 120 Schülern beider Bekenntnisse besucht wird. Der Schulinhaber und Schuldirektor berichtet in diesem Brief, welche Erleichterung seiner finanziellen Lage ihm der staatliche Zuschuß brachte, der für das zweite Halbjahr 1946 — das Gesetz trat erst mit August 1946 in Kraft — 13.000 gute dänische Kronen betrug. Wenn der letzte Beweis der Demokratie darin beschlossen liegt, was die Mehrheit der Minderheit zugute kommen läßt, dann ist gerade diese Art, katholische Privatschulen in einem überwiegend protestantischen Lande zu behandeln,' wieder einer der glänzenden Beweise der demokratischen Haltung dieses kleinen nordischen Landes. Es ist schon oft gesagt worden: wenn Privatschulen dem

Staate Schullasten abnehmen, dann verdienen sie — alle ohne Unterschied — seine Unterstützung. Es ist ein glattes Unrecht, sie einem Teile der Privatschulen zu geben, einem Teile, der absolut nicht der bessere ist, und dem anderen zu verweigern. Dieses Unrecht richtet sich nicht sosehr gegen die Schule als gegen die Elternschaft, der das Recht der Freizügigkeit auch in Schuldingen gewahrt werden muß.

Zudem gibt es einen Zweig des Schulwesens, für den trotz seiner volkswirtschaftlichen Bedeutung der Staat sehr wenig leistet: das ist die ganze Gruppe der hauswirtschaftlichen Schulen. Von einjährigen Haushaltungsschulen sind nur 8 Bundesanstalten, 18 werden von Gemeinden erhalten, 28 von Ordensgemeinschaften. Von dreijährigen Hauswirtschaftsschulen sind 8 Bundesschulen, 9 Gemeindeschulen, 10 Klosterschulen. Eine . Bildung, die jedem Mädchen zugänglich gemacht werden müßte, wird so für viele unerschwing lich; es wäre eine gute Geste, die der Staat der Frauenbildung schuldig ist, wenn er alle die vollkommen ausgestatteten Klosterschulen dieser Art subventionieren würde. Damit könnten wenigstens auch Mädchen aus ärmsten Familien eine Haushaltungsschule besuchen und fänden so den Weg zum häuslichen Dienst.

Der Vorwurf, die Vorstehungen der Klosterschulen benähmen sich unsozial und lohndrückerisch gegen ihre weltlichen Lehrerinnen, mag auch vor 1938 durch einzelne Beispiele bewiesen worden sein. Es „men- schelt“ eben überall, und der damals gute Wohlstand einzelner Klöster hat vielleicht da und dort herzverhärtend gewirkt. Auch in diesem Belange haben sich die Verhältnisse gebessert, die Kloserschulen sind durch ihr geistlichen Behörden gebunden, entsprechende Gehälter an ihr weltliches Lehr- personal zu bezahlen.

Die Klosterschulen sind also zeitgemäß; es handelt sich darum, daß sie es bleiben, daß sie sozial sind, sozial in all dem hohen und vielfordernden Sinne unserer Zeit: daß sie immer mehr — so wie zumeist es ihre Stifter meinten — die Kinder der sozial schwächsten Schichten in ihre vorbildlichen Häuser und Schulen aufnehmen, auch wenn ihr finanzielles Gleichgewicht darunter leidet. Aber weil Klostervorstehungen nicht Bankrott machen dürfen — auch das wäre unsozial —, so hat der Staat ihnen zu helfen, so wie sie ihm durch ihre Schulen dienen. Die vorbildlich eingerichtete, kostenlose Klosterschule, deren Lehrpersonal vom Staate bezahlt wird und die sich dafür auch die strengste s t a a 11 i c h e K o n t r o 11 e gerne gefallen lassen wird, das wäre die zeitgemäßte Klosterschule par excellence!

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