
„Was ist mit der Welt, dass sie mich ständig zwingt, sie unfair zu finden“
Katharina Pressl verhandelt in ihrem Debütroman „Andere Sorgen“ ein wohlbekanntes Thema neu – die Frage nach dem richtigen Lebensentwurf.
Katharina Pressl verhandelt in ihrem Debütroman „Andere Sorgen“ ein wohlbekanntes Thema neu – die Frage nach dem richtigen Lebensentwurf.
Debütromane haben oft ein Sujetproblem. Die Schreibenden haben außer Kindheit und Ausbildung noch nicht sehr viel erlebt, die eigene Rolle in der Gesellschaft ist noch etwas unklar. Da wird dann oft der Tod eines Elternteils zum Auslöser, die Herkunft Revue passieren zu lassen und die ewig unlösbare Frage nach dem richtigen Lebensentwurf zu thematisieren. Denn ob erfülltes Familien- und Sozialleben oder einsame Welteroberung und Karriere – jede gelebte Option trägt zumindest latent immer die Sehnsucht nach der verpassten anderen in sich, gleichgültig, ob die Entscheidung freiwillig erfolgt oder vom Schicksal zugeteilt wird.

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Das verhandelt auch Katharina Pressl, geboren 1992 in Wolfsberg, in ihrem ersten Roman „Andere Sorgen“, und es gelingt ihr, das so oft Durchdeklinierte neu anzupacken. Die Erzählerin ist einst in die Stadt aufgebrochen und wohnt hier mit ihrer tüchtigen und sozial kompetenten Freundin Jola zusammen. Während sie selbst mühsam in ihre Tage hineinfindet, pflegt Jola, beruflich engagiert als Beraterin sozialer Bewegungen, schon putzmunter in der Küche zu hantieren, wenn „sich der Himmel noch gar nicht richtig an die Sonne gewöhnt hat“. Der gemeinsame Aufbruch zu Studienbeginn war durchaus vielversprechend. „Wir hörten auf, Sachen auf eine Weise zu denken, nur weil alle glaubten, dass sie so zu denken waren. Das hieß nicht, dass wir recht hatten, aber es war ein Anfang.“ Dann scheint sich die Selbstverständlichkeit für die Erzählerin verloren zu haben und das schreibt sich mitunter auch der Sprache ein. So können Körperteile wie disloziert am eigenen Ich vorbei agieren, etwa wenn ihre Augen, bevor sie zufallen, bemerken, „wie die Dunkelheit beginnt“.
Gesellschaftliche Ideale und Realität
Beruflich arbeitet sie als Texterin für eine Agentur, ohne besondere Leidenschaft oder große Pläne. Das Ziel sieht sie mehr in einem „aushaltbaren Leben in der Gegenwart“ als in Zukunftsprojekten wie Familiengründung und Hausbau. Und so fällt ganz selbstverständlich ihr die Aufgabe zu, das Haus der Mutter aufzulösen, als die ins Altersheim zieht. „Ich bin am leichtesten in meinem Leben zu entbehren“, während die ältere Stiefschwester Klara zwar in dem kleinen Städtchen geblieben ist, aber mit Partner und zwei Kindern „ein akzeptiertes Ideal“ darstellt, bei ihr stimmt die Realität „mit den geläufigen Vorstellungen, wie sie sein sollte, überein“.
Klara hat also andere Sorgen, und die bekommt nun auch die Erzählerin, zunächst mit der praktischen Arbeit samt Sentimentalitätsfallen bei der Liquidierung des Hausstands ihrer Kindheit. Das Leben ihrer Mutter kommt ihr so vor, „als wäre der gesellschaftliche Bescheid darüber, dass sie eigentlich unglücklich sein müsste, in der Post verloren gegangen, oder als hätte sie den Brief aus Versehen weggeschmissen, wer weiß, und wäre stattdessen einfach glücklich geblieben, und niemand wäre auf die Idee gekommen, sie davon abzubringen“.
Weshalb sich diese noch absolut rüstige Dame überreden ließ, weit vor der Zeit ins Altersheim zu übersiedeln, ist nicht ganz klar. Als das überforderte Pflegepersonal streikt, steht sie jedenfalls voll dahinter und animiert ihre Tochter dazu, den Aufenthalt vor Ort zu verlängern und sich ebenfalls zu engagieren, was diese dann auch tut. „Als wäre mein Leben ein endloses Bewerbungsgespräch, denke ich, dass ich hier Erfahrungen sammeln kann, die mich weiterbringen.“ Das ist durchaus der Fall. So lernt sie etwa einstige Schulfreunde, die sich mit ihrem Kulturprojekt „Hauswilderei“ an der Aktion beteiligen, in einem neuen Licht zu sehen. Denn aus „unerfindlichen Gründen“ hat sie bisher die „Möglichkeit nicht in Betracht gezogen“, dass alle, „die dauerhaft im Ort wohnen, damit hadern könnten“.
Aktivisten und Himbeersträucher
Höhepunkt der Solidaritätsaktionen ist die fingierte Entführung einiger Heiminsassen zu einem Ausflug an die slowenische Küste. Auch dabei bleibt die Erzählerin eine genaue Beobachterin von Stimmungslagen und Verhaltensweisen der kleinen Truppe. Wenn sie einem jungen Aktivisten beim Spazieren mit einem der alten Männer zusieht, fällt ihr der eigenwillige Gleichklang in der Körperhaltung auf, und sie fragt sich, wer hier wen imitiert, „vielleicht sie beide die Vorstellung, wie Männer am Strand zu gehen haben“.
Für die radikalste Erfahrung sorgt dann Malina, die ohne Rücksicht auf Verluste zwischen extrem differenten Lebensentwürfen pendelt. Sie lebt mit Mann und zwei kleinen Kindern, arbeitet im Altersheim und sucht nachts das Risiko – auch jenseits der Legalität. Bei einer ihrer Aktionen wird zufällig der schon lange geschiedene Vater der Erzählerin verletzt. Trotzdem befreunden sich die beiden Frauen und unternehmen gemeinsam einige absurde, freilich weniger gewalttätige Interventionen, an deren Ende allerdings ein überraschender Paukenschlag steht. Dass Malina auf Slowenisch Himbeere heißt, bedeutet übrigens nicht nur, dass die Erzählerin „endlich nicht mehr an Bachmann denken“ muss, sondern legt auch eine eigenwillige Spur zu den geliebten Himbeersträuchern ihrer Mutter.
„Was ist mit der Welt, dass sie mich ständig zwingt, sie unfair zu finden.“ Das hält die Erzählerin an einer Stelle fest und es ist nicht als Frage formuliert. Im Übrigen werde das Leben irgendwie immer „aus Versehen“ so, wie es dann ist, und wie es weitergeht, „steht in den Sternen, die auch nichts wissen“. „Mögen müssen wir uns nicht, aber blinken“, denkt sie während einer Autofahrt – und das ergibt ein schönes Bild für eine Gesellschaft, in der Altersheime „Hohe Wonne“ oder Kindergärten „Perlenmeer“ heißen.

Andere Sorgen
Roman von Katharina Pressl
Residenz 2019
184 S., geb., € 20.-

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