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Was kein Auge gesehen hat

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Noch vor wenigen Jahrzehnten waren die Antworten auf die Frage „Was kornmt nach dem Tode?” dem Menschen eher klar - für die Guten beginnt gleich das ewige Leben im Himmel, die ganz Bösen kommen für immer in die Hölle, und für die dazwischen gibt es das Fegefeuer, mehr oder weniger lang. Anschließend kommt man von dort aber auch in den Himmel.

In zahllosen Sonntagspredigten und Hirtenworten wurde den Gläubigen die Schönheit des Himmels vorgezeichnet, aber noch viel öfter schilderte man ihnen die Qualen der Hölle. Die Bilder in den Gotteshäusern unterstrichen oft noch das Gehörte. Die Höllenvorstellungen und Höllenpredigten sollten den Menschen aus Angst und Furcht vor dem schrecklichen Ende zum Gutsein motivieren.

Mit der Zeit aber hat der Mensch sich immer mehr mit dem Leben vor dem Tod beschäftigt, als mit dem Leben danach. Und die Aussagen über Himmel, Hölle und Fegefeuer wurden in ihrer bildhaften Beschreibung so auch immer weniger geglaubt. Das war die Zeit, als man den Menschen' verdächtigte, ganz dem Diesseits zugewandt zu sein und das Jenseits vergessen zu haben.

Vielleicht stimmte diese philosophisch-gesellschaftliche Situationsbeschreibung für einige Zeit. Heute kann sie so nicht mehr angenommen werden.

Die Menschen stellen sich heute wieder verstärkt die Frage „Wie geht es nach dem Tode weiter?” Sie finden nicht mehr allein die Antworten des christlichen Glaubens vor, sondern Christentum muß sich heute das Antwort-Monopol mit anderen Religionen und Weltanschauungen teilen. Besonders die Hoff-nungsbilder*fernöstlicher Religionen sind es, die für manche Menschen eine immer größere Plausibilität haben. Der Glaube an Wiedergeburt und an die Reinkarnation war noch nie so verbreitet wie heute.

Das hat auch die Kirche und in ihr die Theologie dazu gebracht, verstärkt wieder Antworten auf die es-chatologischen Fragen der Menschen zu geben. Wenn man dem Menschen aber theologische Inhalte nahebringen will, muß man es in einer Sprache tun, die er versteht („Theologie in Augenhöhe”), in Hoffnungsbildern, die er zu glauben vermag („Theologie in Menschlichkeit”) und in Inhalten, die der Botschaft Christi gerecht werden („Theologie in Wahrheit”).

Im Wort „Himmel” verdichten sich für die Menschen all ihre Sehnsüchte, Wünsche, Träume und Hoffnungen wie selten in einem Begriff. Weit über 170 mal ist allein im Neuen Testament von Himmel die Rede, im Alten Testament über 450 mal. Und von allem Anfang war dieser Begriff in Gefahr, als eine reine Ortsangabe im Kosmos verstanden zu werden. Himmel, als Ort, wo Gott wohnt. Man hat ihn dann auch „göttlich” ausgestattet und „himmlisch” eingerichtet. Menschen konnten durch ein gottgefälliges Leben, unter anderem durch „Gebote halten und gute Werke tun” eine „Eintrittskarte” dafür erwerben.

„Schon” und „Noch nicht”

Immer stärker wurden die Bilder, Gleichnisse und Metaphern für Himmel in der Bibel als Beschreibungen und Auskünfte über diesen bestimmten jenseitigen Ort ausgegeben. Immer öfter wurde er auch von jeder vorherigen Erfahrung abgehoben. Immer seltener wurde unter Himmel das gesehen und verstanden, was mit all den Bildern aber auch gemeint ist.

Himmel beginnt schon ansatzweise erahnt zu werden, wo Menschen („zwei oder drei” oder noch mehr) im Namen Gottes, im Glauben versammelt sind. Himmel hat seinen Vorentwurf schon in dieser Welt. Das meint jene alte dogmatische Aussage vom „schon” und „noch nicht'. Himmel hat „schon” begonnen, aber er ist „noch nicht” in Vollendung erfahrbar. Wo Gottesliebe und Nächstenliebe ist, da ist „Himmel” gegenwärtig. Jeder Mensch hat dort, wo er liebt, schon „ab und zu” Himmel erfahren. Jesus verkündete nicht „den Himmel”, sondern die Endgültigkeit der Herrschaft Gottes in dieser Schöpfung.

Himmel in letzter Konsequenz ist somit eine Zustandsbeschreibung für absolute „Gottes-Nähe”, für das unüberbietbare Zusammensein mit ihm; Himmel ist das, worüber hinaus nichts Innigeres gedacht werden kann und auch nichts Innigeres mehr ist. Himmel hat immer eine sozial-personale Beziehungsdimension mit Gott und in Gott, „allein ist auch das Paradies kein Paradies”.

Dieses ganz und für immer in Gott sein ist das, was als Geschenk von Gott her Christen erhoffen dürfen. Das meint christlicher Glaube. Paulus schreibt ja im Brief an die Kolosser „Wir haben von eurem Glauben an Jesus Christus gehört und von der Liebe, ... weil im Himmel die Erfüllung eurer Hoffnung für euch bereitliegt.” (Kol 1,5)

Mit dem christlichen Glauben untrennbar verbunden ist die Vorstellung von Hölle als Ort der ewigen Verdammnis und der Marter für die, die nicht zu Umkehr und Glauben bereit waren. Viele Beschreibungen der Höllenqualen sind durch den biblischen Befund abgedeckt. Vom „Feuer der Hölle” schreibt unter anderem schon Matthäus (Mt 5,22), vom „Heulen und Zähneknirschen” neben Matthäus auch Lukas (Lk 13,28). In der Botschaft Jesu nimmt die Rede von der Hölle einen gar nicht so geringen Stellenwert ein, auch wenn im Neuen Testament die Hölle nur rund zehnmal erwähnt ist und dabei kein einziges Mal im Johannes-Evangelium.

Und wieder gilt, was bei der Begrifflichkeit von Himmel schon gesagt ist. Alle Aussagen meinen zunächst nicht die Beschreibung eines Ortes, sondern einen Zustand, mit Hölle ist der Zustand der Gottes-Ferne beschrieben. Dem Hörer der Botschaft Jesu wird dabei die dramatische Entscheidungssituation vor Augen gestellt, was passiert, wenn die Einladung Gottes und seine unendliche Liebe zu jedem Menschen ohne Echo, ohne Erwiderung bleibt. Deshalb sind die Aufrufe Jesu zur Umkehr von so großer Dringlichkeit und tiefem Ernst. Jesu will jeden einzelnen Menschen für sich gewinnen, er will sein ewiges Leben und nicht seine ewige Vernichtung. Aber er will ihn dazu nicht zwingen, nicht durch Angst, nicht durch plumpe Überredung, nicht durch Gewalt. Er will das freie, mündige, gläubige Ja des Menschen.

Und es ist möglich, daß das ein Mensch Gott verweigert. Dann hat er sich für die Hölle (Gottferne) entschieden. Aber hier ist Hölle nicht eine Strafe, die Gott für die bereithält, die sich ihm verweigern, sondern die äußerste Konsequenz des inneren Wollens, also die fürchterlichste Form des Gebrauchs der menschlichen Freiheit.

hölle real möglich

Freiheit macht aber nur dann Sinn, wenn auch der Mißbrauch möglich ist. Somit muß auch Hölle für das endgültige Verfehlen menschlichen 'Lebens real möglich sein. Gott ist nicht einer, der die Menschen zwingt, er zwingt sie nicht in seine Nähe (Himmel), aber er will sie schon gar nicht in der Ferne (Hölle). Das ist jener unaufgebbare Kern christlicher Frohbotschaft.

Von den Antworten auf die Fragen nach den letzten Dingen hat das „Fegefeuer” fast die meisten Spuren in der Frömmigkeit der Menschen hinterlassen. Das ist deshalb bemerkenswert, weil es fast keine wirklich eindeutig belegbare Stelle in der Bibel dafür gibt, höchstens „Wer etwas gegen den heiligen Geist sagt, dem wird nicht vergeben, weder in dieser noch in der zukünftigen Welt” (Mt 12,32). Aber auch dieses Zitat sieht nicht unbedingt einen zeitlichen Rahmen als Strafausmaß vor.

Der „Katechismus der Katholischen Kirche” stellt im Artikel 1031 auch fest, daß besonders auf den Konzilien von Florenz (15. Jh.) und Trient (16. Jh.) die Glaubenslehre über das Purgatorium (Fegefeuer) formuliert wurde. Hier könnte es äußerst spannend sein, aber auch aufschlußreich, auf die Zeitumstände damals einzugehen, um zu sehen, warum damals so auf die Fragen nach Ewigkeit geantwortet wurde.

Für das Verständnis von Fegefeuer heute sind sich die Theologen nahezu einig, den zeitlichen Zustand eines Menschen im Augenblick seines Todes zu betrachten. Das ist jener Moment von der Zeitlichkeit in die Ewigkeit, von der Erlösungsbedürftigkeit in die Erlösung, von der Immanenz in die Transzendenz, vom Glauben an Gott zur Schau Gottes.

Was kann man über diesen Augenblick sagen? „Es ist furchtbar, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen”, heißt es im Brief an die Hebräer (Hebr 10,31). Die Begegnung des Menschen mit dem unendlichen Gott wird alles bisher Erfahrene in den Schatten stellen. Der Mensch wird sich, wie niemals zuvor, seiner Endlichkeit, Begrenztheit, Hinfälligkeit und Sündhaftigkeit bewußt. Diese Erfahrung, als Unvollkommener die Vollkommenheit Gottes zu schauen, bringt den Menschen in den Zustand eines „alles verzehrenden Feuers”.

Die Erfahrung in der Liebe um Unendliches zurückgeblieben zu sein, ist das eigentliche Leiden beim Gericht Gottes. Dabei geschieht Läuterung, das ist das Fegefeuer.

Jede allzustarke zeitliche Ausdehnung sollte die Frage hervorrufen, ist nicht die erstmalige Gottesschau schon ein Eingehen in die Ewigkeit?

Gott hat aus Liebe den Menschen geschaffen. Und er hat ihn mit Freiheit begabt. Gott wartet auf die Erwiderung seiner Liebe jedes einzelnen Menschen. Und was kommt dann? Was darf der Mensch hoffen?

„Was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat, was keinem Menschen in den Sinn gekommen ist, ist das Große, das Gott denen bereitet hat, die ihn lieben.” (1 Kor 2,9)

Der Autor ist

üirektionsassistent am Religionspädagogischen Institut der Erzdiözese Wien.

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