6570435-1950_17_10.jpg
Digital In Arbeit

Was kommen sollte, kam nicnt

Werbung
Werbung
Werbung

Prall und heiß strahlte die Mittagsonne auf die Erde. Durch das goldene Netzwerk der Äste und Zweige sprühten feine Sonnenfäden, die sich mit dem Schatten verwebten, über mir hing reglos und ohne Summen ein Schwärm ermatteter Mücken.

Plötzlich hörte ich hinter mir eiliges Aufstoßen eines Stockes. Eine schmächtige, tief zur Erde gebeugte Greisin näherte sich der Bank, auf der ich saß, mit schnellen, schnurrenden Schritten. Sie hielt den Kopf tief gesenkt, so daß ich ihr Gesicht nicht erkennen konnte. Auch sie schien mich nicht zu sehen. Erst als mein Schatten sich vor ihren Füßen bewegte, richtete sie sich höher und hob ihr Gesicht.

„Heiß“, sagte ich, nur um etwas zu sprechen. „Herr Jesus — wie einem die Glut zusetzt!“ erwiderte sie und wischte sich mit der ausgedörrten Hand den Schweiß aus dem Gesicht. „Wollt Ihr Euch nicht einen Augenblick setzen?“ „Eh — was soll ich mich setzen, gnädige Frau? — Ich werde mich so etwas stützen. Einer Alten wie mir fällt das Sitzen so schwer wie das Stehen.“

„Wie alt seid Ihr denn?“ „Was soll ich mir die Jahre zählen, gnädige Frau? Herr Jesus zählt sie ohne mich. Immerhin, über die Achtzig muß es sein, achtzig oder mehr. In der Pfarre zu Hause wissen sie es schon.“ „Seid Ihr denn nicht von hier, Mutter?“ „Warum soll ich von hier sein, gnädige Frau? Von oberhalb bin ich, bei dem Städtchen. Da kennen sie mich, groß und klein.“ „Da seid Ihr also nach hier gezogen?“ „Nur weil ich hier eine Tochter habe, die den Nagelschmied in der Fabrik hat. Und nun, da mich die heilige Erde zu

rufen anfing, bin ich zu ihnen auf das Sterben gekommen.“

„Bei den Kindern habt Ihr es gut?“ „Na, was gut? Alten Leuten ist überall gut. Nur so, wie ich es bei mir ausgedacht habe, ist es nicht gekommen.“ „Was ist nicht gekommen?“ „Na, das Sterben, gnädige Frau. Ich schleppe mich hieher zum' Sterben und lebe immer weiter. Am Anfang, da gab es überhaupt keine Schererei. Sie haben mich angemeldet, was der Schwiegersohn ist, richtig und in Ordnung. Und ich sitze am Ofen, schleiße die Federn, die ich mir für das Sterbekissen zusammengehalten habe, und ich bete und warte auf eine gute Sterbestunde. Ich warte einen Monat, ich warte noch einen Monat, nichts.

Eines Sonntags kommt der Hausverwalter und sagt: ,Peter' — Sie müssen wissen, sie .haben meinen Schwiegersohn auf Peter getauft —, ,Peter', sagt er, ,du mußt der Mutter die Aufenthaltskarte besorgen, wenn sie bei euch bleibt.' Der Schwiegersohn fragt: .Wieviel macht das?' Und der Verwalter sagt: .Zwei Zloty das Quartal.' Peter will es sich überlegen. Er gibt ihm eine Pfeife Tabak, und der Verwalter geht. Als er weg ist, sage ich dem Peter: ,Wozu eine Aufenthaltskarte, wo ich doch nur auf das Sterben zu euch gekommen bin?'

Und dabei ist es geblieben. Immer mehr kamen die Schwächeanfälle, gnädige Frau. Da habe ich mit meinem dummen Verstände gedacht, daß es keine lange Geschichte mehr sein kann. Aber was weiß schon der sündige Mensch? Ein Vierteljahr ging hin, noch ein Vierteljahr, nichts ist, und ich lebe immer weiter.

Ein Abend, der Schwiegersohn kommt von der Arbeit und hinter ihm her der Verwalter. ,Um Gottes willen', sagt er,

,was ist nun mit der Mutter? Du hast gesagt, nur zum Sterben — und es sind schon acht Monate und keine Aufenthaltskarte. Darauf steht doppelte Strafe. Mehr als zehn Zloty sind es schon.' Peter wurde ärgerlich und kratzte sich den Kopf. Die Tochter jammerte: ,Mit der Mutter haben wir schon was. Kommt zum Sterben hieher und dann?'

Da sagt Peter: .Halte den Mund, Franziska, weißt du, wie es noch einmal mit dir kommen kann?' Er gibt dem Verwalter zwanzig Groschen, damit er es vertuschen soll.

Wie Peter ihm das Geld zusteckt, zieht es mir das Herz im Leibe zusammen. Die Tochter wirft ärgerlich die Kasserolle unter den Tisch, daß ich denke, sie geht in Stücke ... und kein Wort. Ist ja auch eine Schande, jetzt so viel Geld wegzuwerfen für nichts und wieder nichts ...“ Sie atmete tief und wischte sich wieder den Schweiß von den eingefallenen Wangen.

„Nicht, daß sie mir auf den Löffel gesehen hätten. Einen Mund voll Essen oder was sonst in der Schüssel blieb, haben sie mir immer gegönnt und war stets genug für mich. Aber, gnädige Frau, es paßt sich nicht für dürres Stroh, den Jungen auf der Tasche zu liegen.“

„Und nun, was weiter?“ „Na, was? Es kam der zweite Winter, und ich lebe immer noch. Dem Verwalter steckten sie wieder und wieder etwas zu — und gut. Dabei ging es mir immerzu durch den

Kopf, daß es nicht so kam, wie ich es mir ausgedacht hatte. Was der Mensch denkt, ist ein dummer Trost. Solange ich mit den Federn zu tun habe, sagte ich mir, es ist schon gleich, soll es für sie sein. Die Federn gehen zu Ende. Das Kissen ist fertig, da fängt es schon in den Beinen an und war nachher doch nichts. Dann kam .der Husten mit Ersticken. Auch nichts. Dann hab ich für die göttliche Vorsehung gefastet, weil es mir schon eine Schande vor den Leuten war. In allen Kellerwohnungen wissen sie es, daß ich nur zum Sterben gekommen bin, und jeder wundert sich. Zuerst will mein Schwiegersohn nicht, daß ich faste. ,Was macht die Mutter', sagt er, ,Gott zu versuchen? — Was kommen soll, kommt ohne zu fasten.“ Aber ich lasse mir da nicht hineinreden.“

„Und nun — hat es geholfen?“ „Etwas ja, hat es geholfen. In der dritten Woche wurde ich so schwach, ich kann nicht mehr die Stube ausfegen. Nicht ein Tropfen Wasser will hinunter. Mein Tod, denke ich, und gleich ist mir leichter auf der Brust. Ich gehe mich ordentlich waschen, ziehe ein frisches Hemd an, nehme den Rosenkranz, bete und warte.

Da höre ich Schritte und sehe den Verwalter kommen. ,Zur Polizei, sofort zur Kanzlei', schreit er. .Wegen der Aufenthaltskarte, müssen Sie wissen.' Ich denke, die Erde will sich auftun. Peter ist in der Fabrik. Die Tochter hat große1 Wäsche, da ist kein Wort mit ihr zu reden. Ich gehe in die Stube, stehe und stehe, ohne von einem Menschen einen Rat zu haben. Wenn man zur Polizei befiehlt, dann muß man gehen. Ich schlage das Tuch um die Schulter und gehe. Ich halte mich an der Mauer, die Augen flimmern und so eine Kälte drin im Leib und Hitze.

Ich komme an und sehe, da sitzen zwei Herren, erzähle ihnen, so — und so — und sie winken mit den Händen weg: .Nicht hier, nicht hier!' Ich gehe weiter zum dritten, und der sagt auch: .Nicht hier.' Ich gehe weiter zum vierten und fünften, daß ich schon ganz von Kräften bin.

Endlich komme ich zu einem Schmächtigen, und er zeigt auf eine Tür weiter. Ein grauer Herr ist hier. Ich stehe auf der Schwelle. Er sieht mich an und fragt: ,In welcher Sache?' So erzähle ich ihm von Anfang an. Ich erzähle ihm, wie ich zu den Kindern zum Sterben gekommen bin und darum die Aufenthaltskarte nicht brauchen will und ich immer weiterlebe. Der graue Herr läutet, und ein zweiter kommt mit blanken Knöpfen. Jetzt fängt er an zu fragen. Er fragt und fragt, und dann schreit er, und zuletzt sagt er: ,Gut, liebe Frau, das macht zusammen fünf Scheine und einen halben.' Ich denke, ich höre falsch. Fünf Scheine, das ist ja meine Beerdigung, die ich dem Peter gegeben habe, als ich zu ihnen auf das Sterben kam. Ich falle gegen die Wand und soll in die Erde versinken. Da springen die Herren auf. Der Herr mit den blanken Knöpfen bringt ein Gas Wasser. Sie setzen mich auf einen Stihl.

.Herr Kommissar', sage ich, ,Hoh-wohlgeboren sollen mich doch nur cn-mal richtig ansehen. Das ist doch ales nur noch ein Hobelspan, morsche Kochen, Moder. Woher soll das so iiel Geld nehmen? Kaum, daß noch etwas ist, worauf der letzte Atem zu röcheln lat, Bin ich wem im Wege auf dieser Welt? Eine Handvoll Stroh in der Ecke am Ofen, ein Schlückchen Wasser unt ein' Nippchen Essen, kaum für den Speling. Wem schnappe ich Luft weg, wo ich kaum noch atmen kann. Hochvohl-geboren, es ist höchste Zeit, daß ich sterbe, aber was soll der Mensch tun, wenn das Leben so zäh in aller Cno-chen steckt und nicht fort will.' “

Sie brach weinend ab. über iir Gesicht liefen große Tränen. Die eiigesun-kenen Lippen zitterten unter der Lst unaussprechlichen Leides, und kaftlos zitterte das weiße Haupt der Greisn mit.

„Und was wurde nun daraus?“ fragte ich, als sie sich beruhigt hatte. „Nun, was? Ich mußte bezahlen, gnädig: Frau. Die fünf Scheine gingen weg we das Eis. Peter gab mir noch einen halben von seinem Geld dazu. Was ich ür die Gruft hatte, war umsonst gespart Daß es so ein Recht gibt und daß ran so etwas Ordnung heißt!“ Sie schüttete ihr zitterndes Haupt und starrte vo sich hin, in tiefes Nachdenken versinken über die Ordnung dieser Welt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung