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Wasser, Wüste, Willenskraft

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Das moderne Israel besticht durch Leistung, Effizienz, Willenskraft. Aber es schöpft auch aus der Strahlkraft eines Jahrtausende alten heiligen Bodens.

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Das moderne Israel besticht durch Leistung, Effizienz, Willenskraft. Aber es schöpft auch aus der Strahlkraft eines Jahrtausende alten heiligen Bodens.

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Haben Sie den Koffer allein gepackt? Hat jemand seit dem Versperren Zutritt dazu gehabt? Kennen Sie Personen aus dem Palästinenserkreis?...” Keine Luftfahrtgesellschaft kontrolliert so gründlich wie El AI. Drei Stunden vor dem Abflug muß man auf dem Flugplatz sein. Menschen und Gepäck werden mehrfach geröntgt. Dafür gleitet man später sicher wie in Abrahams Schoß über den Wolken ans Ziel.

Ziel der Leserreise ist das Heilige Land. In Tel Aviv wird die Gruppe geteilt: Nach Israel und Jordanien kommen die einen, nach Israel und Ägypten die anderen. Der erste Abend ist einem Spaziergang in Jaffa, dem alttestamentarischen Joppe, gewidmet. Es ist heute ein Stadtteil von Tel Avi v-Yafo. Eine moderne Wal-Skulptur erinnert daran, daß hier der Prophet Jona ans Ufer gespien wurde. In Joppe hat Petrus die Christus-Jüngerin Tabita geheilt.

Dichte biblische Atmosphäre erfüllt die engen Gassen der Altstadt, durch die wir erwartungsvoll bummeln. Ein Orangenbaum wird den Touristen gezeigt, der inmitten einer Straße an Seilen pendelt, die Wurzeln in einer Schale verschlossen: Nicht aus der Erde saugen sie das lebensspendende Naß, sondern aus einer computergesteuerten Tropfleitung: Symbol dessen, wie ein wasserarmes Land höchstmögliche Effizienz erzielt.

Immer wieder kann man auf einer Rundreise durch Israel diese Meisterleistung modemer Technik bewundern, wenn sich endlose Sandwüsten plötzlich in Plantagen mit Kulturpflanzen und ganze Wälder verwandeln. Wasser ist eines der Hauptanliegen dieser Region, heute schon wichtiger als Erdöl. Ein Drittel seines Wasserbedarfs deckt Israel derzeit aus den besetzten Gebieten. Der Wasser-Wert der umstrittenen Golanhöhen ist größer als ihre verbliebene strategische Redeutung: Zwei Quellflüsse des Jordan lassen sich von hier aus kontrollieren. Im Friedensvertrag Israels mit Jordanien spielen Wasserrechte Israels am Grenzfluß Jarmuk eine wichtige Rolle.

Wasser reinigt. Wasser heilt. Wasser weckt Leben. Wir denken daran, schaukeln, im ägyptischen Seebad Taba am Roten Meer 35 trockene Hitzegrade genießen und in Jerusalem die Ausgrabungen am Teich von Be-thesda besuchen, dem Wohnhaus Marias nahe.

Wasser ist für Israel Lebenselixier. Aber die Wüste ist es, so paradox dies klingen mag, auch. Für jeden Bewoh-ner dieses Landes gilt, was uns ein alter Beduine in seinem Zelt in der Ne-gev-Wüste vom Menschen seines Volks berichtet: „Er steht mit den Füßen im Wasser, mit dem Kopf im Feuer”.

Das Feuer der Wüstensonne umfängt uns an Abrahams Brunnen in

Beer Sheva, es lodert inmitten der Kalkstein-, Kreide- und vulkanischen Granitfelsen mit ihren bizarren Ausformungen in der ganzen Negev („die Trockene”), und es erhitzt die überwältigende Felswüstenlandschaft des Sinai, durch die die eine Beisegruppe dem Mose-Berg über dem Katharinenkloster entgegenfährt, während die andere Gruppe die Wunder der alten Nabatäerstadt Petra auf sich wirken läßt.

Wüste: Das ist Versuchung und Läuterung, ist Meditation und Gotteserlebnis. Der Brunnen von St. Katharina erinnert daran, wo Mose die Töchter Jethros traf und eine von ihnen zur Frau nahm, und das Memen-to des Dornbuschfeuers nahe davon. Wüstenerlebnis der besonderen Art ist auch der Bergrücken von Massada, wo die letzten Zeloten im Jahr 73 den römischen Besatzern die Stirn und zuletzt ihre toten Leiber boten, und wo israelische Soldaten heute schwören, daß „Massada nie wieder fallen darf”.

Aber ungeachtet aller Mystik der Wüste und aller handfesten Symbolik des Wassers war und ist Ausgangsort aller kulturellen Anstöße, wie immer und überall in der Welt, auch im Heiligen Land die Stadt. Inbegriff von Verweis auf Transzendenz und Heiligkeit für die Anhänger der drei Familienreligionen aus dem Geschlecht ■ Abrahams ist Jerusalem. Das hebräische „Schalom” und das arabische „Salem” stecken in dem Wort, auch wenn Frieden in dieser „Stadt unseres Gottes” und „Mutter aller Völker” (Ps. 48) stets mehr Hoffnung als Wirklichkeit war.

Seit König David sich vor 3000 Jahren dieser uralten Siedlung bemächtigt und sie zur Heimat der Bundeslade, also des Thronsitzes Gottes unter seinem Volk, gemacht und sein Sohn Salomo auf dem Felsplateau von Moria den ersten Tempel errichtet hat, war diese Stadt umkämpft, belagert, getränkt vom Blut der Juden, der Christen, der Römer, der Muslime, der Kreuzritter und bis heute aller Opfer derer, die Heil und Rettung in fanatischer Gewaltausübung suchen.

Den Kreuzfahrern und ihrem „Königreich Jerusalem” verdanken wir die Lokalisierung vieler für die Chrsi-ten heiliger Stätten - und die ungezählten Kirchen und Kapellen, die über jede vorgebliche Fußspur des Herrs gestülpt wurden und jede Ursprünglichkeit der Szene zerstört haben.

Wer mit einem starken Glauben die Grabeskirche in Jerusalem oder die Geburtskirche in Bethlehem betritt, wird diesen nicht verlieren. Finden dürfte ihn dort niemand. Zu erleben, wie seit 700 Jahren zwischen Griechen und „Lateinern”, Armeniern, Kopten, Syrern, Nestoria-nern und anderen der 30 verschiedenen Kirchen darüber gestritten wird, wer welche Ampeln mit Ewigem Licht bestücken darf oder welche Stufen putzen und Dachschindeln ausbessern muß, läßt erschaudern. Aber was ist das gegen die Überzeugung von Millionen, daß hier Jesus von Na-zareth gekreuzigt wurde und vom Tod erstand und daß auch fromme Juden und Muslime Jerusalem für die Stadt des letzten Gerichts und des Beginns der Auferstehung halten?

Am letzten Tag unserer Reise erleben wir das moderne Jerusalem: Knesset, Israel-Museum, die erschütternde Holokaust-Gedenkstätte Yad Vashem, Marc Chagalls farbtrunkene Synagogenfenster in der Hadassah-Klinik. Das österreichische Hospiz in der Altstadt ist heute unter der Leitung von P. Wolfgang Schwarz eine geachtete Stätte der Ribelpastoral, Hotel, Jugendherberge, Brücke zwischen Österreich und dem Heiligen Land. Wer in Jerusalem Brücken baut, baut sie „el al”, dem Himmel zu.

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