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„Weder Stadt, noch Land, noch Landschaft"

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Der Architekt Joost Meuwissen, 1950 in den Niederlanden geboren und seit Oktober 1995 Professor für Städtebau und Entwerfen an der Technischen Universität Graz, über Städtebau in Österreich, den Einfluß des Computers und Stadtwahrnehmung.

dieFurche: Wie sehen Sie den Städtebau in Österreich?

Joost Mkuwissen: Ich bin noch zu kurz hier, um darüber viel sagen zu können. Mir fällt aber auf, daß es hier sehr wenig ausgeprägte Planung gibt. In Holland, vor allem bei den Vierteln aus den fünfziger und sechziger Jahren, sieht man öffentliche Planung. Das sieht man hier nirgendwo, mit Ausnahme Wiens natürlich - der Karl-Marx-Hof etwa ist gebaute Sozialdemokratie. Aber eben gebaut und nicht geplant.

dieFurche: Und Graz?

Meuwissen: Graz hat eine sehr schöne, gut erhaltene Altstadt. Das heißt, da hat sich sehr wenig getan. Aber was man sehr wohl sieht, ist die ungeplante Entwicklung am Stadtrand. Wenn man vom Grazer Flughafen ins Zentrum fährt, kommt man durch ein riesiges suburbanes Gebiet, das weder Stadt, noch Dorf, noch Landschaft ist.

Alles ist zerbröckelt und zerstückelt: Hier ein großer Betrieb, da ein Wohnhaus, dort Brachland. Das hat zwar seinen Reiz, weil dort viel passiert, doch sehr schön ist das nicht. Vor allem ist es völlig ungeplant.

dieFurche: Finden Sie das gut?

Meuwissen: Nein. Weil ich als Städtebauer es besser kann. Die gleiche wirtschaftliche Entwicklung könnte auf schönere und effektivere Weise ablaufen - und weniger Grund beanspruchen, also kompakter sein. Ich habe übrigens schon einmal in Graz gearbeitet. Das war im Jahre 1971, bei der stei-rischen Landesregierung. Damals war Graz eine provinzielle, versteinerte Stadt. Mittlerweile hat sich die Stadt geöffnet, überall sieht man glänzende Geschäfte mit viel Chrom, Messing und Glas - das glänzt viel mehr als in Holland. Das Schönste ist, daß man die Innen-höfe der Altstadt geöffnet hat. Es gibt jetzt nicht nur die Straßen, sondern Passagen und Durchgänge - als ob sich die Stadt verdoppelt hätte.

dieFurche: Eine ganz andere Frage: Welche Auswirkungen hatte die Erfindung des Computers auf den Städtebau?

Meuwissen: Früher war die Straße der öffentliche Raum. Die Öffentlichkeit des Internet oder des Fernsehens ist jedoch viel größer, intensiver, direkter und schneller als das, was auf der Straße passiert. Der öffentliche Raum ist nicht mehr der Raum, wo alles passiert. Alles passiert sozusagen auf Internet oder im Fernsehen. Die Leute beginnen auch, eine Straße oder einen Marktplatz mit anderen Augen, mit Internet-Augen zu betrachten.

dieFurche: Spielt die Wahrnehmung der Stadt eine große Rolle?

Meuwissen: Ja. Die Sichtweise ist vielleicht wichtiger als zum Beispiel die Stelle, wo ein Gebäude liegt oder die Geographie der Stadt.

dieFurche: Ein Beispiel?

Meuwissen: Derzeit wird in Amsterdam das neue Stadion für Ajax Amsterdam gebaut, den wichtigsten holländischen Fußballclub. Die Grundstücke um den neuen Standort herum sind sehr begehrt. Jeder möchte sein Büro oder seinen Betrieb in der Nähe dieses großen, glänzenden Stadions haben. Es ist so, wie wenn man sagen würde: „Mein Büro liegt neben dem Eiffelturm." Das hat nichts damit zu tun, wo das Stadion liegt, nämlich in einem suburbanen Zwischenraum. Es ist eine Frage des Glamours.

Das Gespräch führte

Michael Kraßnitzer.

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