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Weg zum Menschen

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„Ich schreibe einen kleinen Aufsatz über den Frieden ...“ Das sagte vor kurzem Ernst Jünger zu einem französischen Journalisten, der ihn in seinem Kirchhorster Haue besuchte. Er ist derselbe Ernst Jünger, der in zwei Weltkriegen deutscher Offizier war; der Jünger, der an den Schluß seines Erstlingswerkes „In Stahlgewittern“ stolz den Wortlaut des Telegramms setzt, das ihm die Verleihung des „Pour le merke“ mitteilt; Jünger, der Autor des „Arbeiters“, der in grausiger Lust die Daten der „Totalen Mobilmachung“ zusammenbaut und das Herannahen der reinen Macht in der Weltherrschaft des Arbeitertypus ankündigt. Welch ein Unterschied zwischen dem Jünger Nietzsches, dem Mauretanier, wie er es nennt, dem „.. . alle jene vergiftenden Gegensätze von Macht und Recht, Blut und Geist, Idee und Materie, Liebe und Geschlecht, Mensch und Natur, Körper und Seele, weltlichem und geistigem Schwert. ..“ nur Worte einer Fremdsprache sind, verwendet von einem „landesverräterischen“ abstrakten Geist, und dem Autor der „Marmorklippen“, der mit einer Art ironischer Schwermut gesteht: „Doch war uns die Gabe versagt geblieben, auf das Leiden der Schwachen und Namenlosen herabzusehen.“ Dazu schreibt er in' seinem letzten Werk („Gärten und Straßen“, 1942) den schönen Satz: „Die Kinder wissen noch, daß alle Menschen Brüder sind...“, und vollends spricht er nun in dem eingangs erwähnten Interview über Demokratie im Deutschland nach dem zweiten Weltkrieg. Welch ein Weg vom Übermenschen zum Menschen, zum heute „am tiefsten gedemütigten Menschen von ganz Deutschland“! Aber es ist der Weg eines Mannes, gekennzeichnet durch Verantwortungsgefühl und Ehrlichkeit, aber auch durch eine tragische Ziellosigkeit, die zeigt, wie sehr Jünger in jener germanischprotestantisch-liberalen Geisteshaltung steckt, die allein den Anspruch des Gewissens geltend macht. Es ist der theologisch bedeutsame Weg von der äußeren Macht zur Ohnmacht der tieferen Wirkmöglichkeiten. Diese geistige Entwicklung, deren letzte Stufe das Interview zeigt, gibt auch einen Fingerzeig, welche Spannkraft des Geistes im Deutschland von heute noch am Werk ist.

Es ist schwierig, dem aristokratischen Künstler Ernst Jünger gerecht zu werden, es ist schwieriger, den aristokratischen Menschen Ernst Jünger bloß aus seinen Werken verständlich zu machen, aber es ist wohl überhaupt nur bis zu einem gewissen Grad möglich, die Entwicklungslinie dieses Mannes aufzuspüren. Seine Bücher hatten zwar verhältnismäßig hohe Auflagen, aber wie sein Meister Nigrornontan liebte er es, „hinter sich die Spur zu löschen“, und er hat ein „innerstes Dickicht“ um sich geschaffen. Auch scheint er einige Zeit der Verlockung erlegen zu sein, als Schriftsteller jenen „Oberförster“ des „Abenteuerlichen Herzens“ zu spielen, den jovial und listenreich in seinen Wäldern Hausenden, der den Adepten-Leser mit feinen Mittelchen abstößt und doch ködert. Ein Schriftsteller allerdings, dem es früh gegönnt war, Meister des Wortes zu werden. Und so ließ er sich in seinen „Träumen von Macht und Übermacht“ zum Spiel mit dem Wort verleiten: seine Wortkunst ist eine Kunst der Tyrannis, sie schafft jene statuarischen Gebilde, die wie die lächelnden, bemalten, unnatürlichen Frauenstatuen aus der Zeit des Peisistratos wirken, diese Wortkunst ist heiter — ein Wort, das Jünger immer wieder verwendet —, so fürchterlich heiter wie ein Himmel, aus dem seit Wochen die Wolken verschwunden sind. Und diese Heiterkeit, zusammen mit anthroposophi-scher Symbolistik, makarthafter Uberladung und einer feinen Technik des Anziehens und Abstoßens, diese absolute Maske des Willenr zur Macht über den Leser, hat eine Atmosphäre des Schweigens um Jünger geschaffen, die nur selten ein Kritiker zu durchdringen wagt.

Hätten wir allein den Jünger bis 1936, er wäre sicher auch weiterhin unzugänglich geblieben. Aber selbst die „MarmorkTippen“, in denen doch das gewaltige „Dreieinig sind das Wort, die Freiheit und der Geist“ aufklingt, tragen den Charakter des Prunkbildes, deren unnatürliche, ja maskenhafte Züge von Jünger selbst erhellt werden, wenn er von ihnen sagt: „Das Flüchtige bereitet mir eher doppelt Mühe, weil ich es auf die bereits perfekten Stellen noch auftrage“. Mit diesem „noch“ steht die bemalte Marmor-statue der vorklassischen Zeit der griechischen Kunst vor uns, mit dem stereotypen Lächeln auf aristokratisch strengen Lippen, die den Schmerz verbergen.

Die „Marmorklippen“ sind ein Buch des äußersten, des metaphysischen Schmerzes, des Untergangsschmerzes, nicht der Todesangst — „Denn die Erde ist schön...“ — und hier, vielleicht auch schon in einigen Capriccios des „Abenteuerlichen Herzens“, wird die neue Haltung erkennbar, die uns die Wandlung Jüngers, seinen Weg zum Menschen, begreiflich machen könnte: die „Marmorklippen“ sind, indem sie den äußersten Schmerz durch die äußerste Form binden und somit die Macht des Geistes aufzeigen wollen, ein Buch der Ironie. Es ist jene Ironie, die in der Terminologie Jüngers selbst „die Schleife“ heißt, und in der der Mensch sich den empirischen Verhältnissen entzieht, wie ein Flieger sich durch eine Steilkurve dem Feuerstoß des Verfolgers entzieht; jene Ironie, die nach Kierkegaard der Ubergang, das Medium des „Sprungs“ vom Ästhetischen zum Ethischen ist.

Die Psychologie Kierkegaards bietet die Möglichkeit, die innere Entwicklung von Menschen, wie Ernst Jünger einer ist, zu verstehen, die so ganz im Geistigen wurzeln, die aber auch so einsam und gewollt einsam leben, daß ihre Werke nur Vexierbilder ihres Selbst geben, geschaffen, die Massen abzuhalten und die Neugierigen auf Irrwege zu lenken. Diese Psychologie erst kann zum Beispiel einen Menschen und Dichter wie Milton voll würdigen, in dessen drei großen Alterswerken sich die fast exakt paradigmatische Entwicklung des geistigen Menschen von der ästhetischen zur ethischen und religiösen Kategorie zeigt, während die Persönlichkeit Miltons als Künstler und Puritaner unter diesen Wandlungen wie im KristaJl-gerüst erhalten bleibt.

Bei Emst Jünger kommt eine ähnliche Entwicklungstendenz zum Ausdruck. In ihm sind die Achsen der Persönlichkeit, wie bei Milton, in einem gewissen paradoxen Gegensatz angeordnet: ein Künstlertum, das aiuf einen Puritanismus moderner Ausformung trifft, der gewachsen ist aus einer bürgerlicharistokratischen und asketischen Tradition; hinzu tritt bei Jünger persönlichkeitsformend als dritte Achse das Erlebnis des Weltkrieges.

Dieses Kristallgerüst zeichnet sidi scharf in dem Jugendwefk „Das Wäldchen 125“ ab und fände etwa in. Miltons barockem Maskenspiel „Comus“ eine überraschende Entsprechung. Das ästhetische Element hingegen erfährt seine Ausformung in den Büchern „Der Arbeiter“ und „Blätter und Steine“, das eine mehr die puritanische, das andere mehr die künstlerische Achse hervortreten lassend.

Dem Ästhetischen ist der Wille zur umfassenden Synthese, zur mehr oder minder gewaltsamen Zusammenfassung des Widerstrebenden und Komplexen eigen. Die überreiche Beziehungssymbolistik Jüngers, mit der Kleinstes und Größtes, Körperliches und Geistiges relativisiert und in ein feines Koordinatennetz eingeordnet werden — seine Klage, daß man die „Marmorklippen“ zu grob deute! —, trägt die gleichen Züge wie Miltons „Verlorenes Paradies“, das mit gewaltsamer, neuplatonischer Theologie die Geschichte der Welt von der Zeugung des Sohnes bis zur Rücknahme des Alls in Gott durchführt. Und auch bei Mifcon ist schon jene Haltung vorbereitet, die in der Ironie zur ethischen Kategorie überleitet — die Schleife, in der sich der geistige Mensch den empirischen Verhältnissen entzieht: Milton blind und von einem schmachvollen Tod bedroht, Jünger- nach einem Krieg, der nur als Anfang des Untergangs und allgemeiner Verrottung erscheint. Beide glauben ihre geistige Freiheit durch die Anerkennung des Schicksals retten und in der Ironie über sich hinauswachsen zu können. In dieser Ironie erfolgt der Verzicht auf die Welt und die Macht: die Beschränkung auf den kleinen Kreis des Ichs, mit der strengen Durchführung des als wahr Erkannten, das allein erscheint nun als wesentlich. Die ethische Kategorie wird bei Milton im „Wiedergewonnenen Paradies“, bei Jünger in den „Gärten und Straßen“ ausgeformt.

Einige Beispiele mögen den Unterschied zwischen ästhetischer und ethischer Haltung bei Jünger aufzeigen: Ist im „Sizilischen Brief an den Mann im Mond“ das Kind „fähig, auf den Dingen die Sprache der Runen zu lesen, die Kunde geben von einer tieferen Brüderschaft des Seins“, so wird dieses Wort gegenständlich und zu einer tiefen Forderung in dem schon zitierten Satz: „Der kleine Alexander, der jeden Onkel nennt: die Kinder wissen noch, daß alle Menschen Brüder sind.“ „Der Arbeiter“ lehnt es ab, zu-urteilen, „ob gut oder böse, schön oder häßlich, falsch oder richtig“, aber im Kriegstagebuch in Frankreich macht Hauptmann Jünger seiner Kompanie klar, was zu nehmen erlaubt ist und was nicht. Der höhnische Wille zur Macht weicht dem Verantwortungsbewußtsein, und die Keller unter den Schlössern der Tyrannis nennt er „Stankhöhlen grauenhafter Sorte, darinnen auf alle Ewigkeit verworfenes Gelichter sich an der Schändung der Menschenwürde und Menschenfreiheit schauerlich ergötzt“. Aber es ist auch sonst ein Element des Gegenständlichen in de letzten Werken Jüngers, etwa wenn er über der prunkenden Starre der Marmorklippen die Hausrotschwänzchen zirpen läßt, oder wenn die Umschlagseite — stets ein Punkt besonderer Sorgfalt — des Buches „Gärten und Straßen“ die zarte Silhouette eines Büschels Feldblumen trägt, , während „Der Arbeiter“ im blau-schwarzen Kleid der absoluten Trostlosigkeit von der Presse kam.

Die „Marmork'lippen“ sind ein Buch des Schmerzes und der Versuch, ihn in der Ironie zu überwinden. Aber es taucht noch ein anderes Element auf durch die Einführung des Pater Lampros und durch das Zugeständnis, daß einem Mann wie ihm, der „so hohe Grade der Erkenntnis mit der strikten Regel zu vereinigen verstand“, eine hohe Macht über die Menschen und das Geschehen gegeben wird. Obwohl Jünger streng die „katholischen Klischees“ vermied, und wenn auch ein unüberbrückbarer geistiger Abstand des Autors von dieser Figur (im Jüngerschen Sinne!) besteht, so ergibt sich hier doch eine Anerkennung des Religiösen, die vor allem darin erkennbar wird, daß er den Christenmönch aus a.4tem Adel stammen läßt und ihn zum Schöpfer des Werkes „Die Symmetrie der Früchte“ macht. Was dies bei Jünger bedeutet, der noch über den „Kristallismus“ im Organischen arbeitet, kann nur eine eingehende Kenntnis seines Werkes und des Werkes seines Bruders Friedrich Georg Jünger vermitteln. Es zeigt sich hier eine großartige, wenn auch im Symbolhaften verharrende und damit wesentlich gnostische Schau der Kirche. Es wäre verfehlt, in dieses Buch schon eine Entwicklung zur religiösen Kategorie hineinzudeuten, wiewohl sie persönlich, im Leben Jüngers, durchaus gegeben sein mag. In seiner Schilfhütte am Westwall liegt schon damals „meist die Bibel“, und es gibt ein Gerücht, daß Jünger in Paris konvertiert wäre.

Und ist es etwa nicht möglich, daß dieser freie Geist wieder eine Schleife zöge, die Schleife des Humors diesmal, daß er wie Miltons „Samson Agonisthes“ sein eigenes Versagen anerkannte und sich rückhaklos der Macht des unergründlichen Gottes hingäbe, daß er also von der ethischen zur religiösen Kategorie fortschritte? Die Fraglichkeit, ja die' Zweif elhaftigkeit. einer solchen Wendung ist zumTeil wohl dadurch bedingt, daß das 17. Jahrhundert sich wesenhaft vom 20. Jahrhundert unterscheidet: jenes ist noch voll eines religiösen Lebens, das allerdings im Rationalismus schon säkular zu werden beginnt, das unsere ist noch voll eines von Dämonen durchwanderten Dunkels, in dem langsam eine neue Religiosität aufleuchtet. Da ist auch eine gewisse Koketterie Jüngers mit seinem Ästhetizismus, die Koketterie 'des modernen Schriftstellers mit seinem Werk. Da ist aber vor allem seine gnostische Geisteshaltung. Noch bei dem Interview mit dem französischen Journalisten kommt diese Gnosis ganz stark zum Ausdruck: er kann sich nicht mit dem „orakelhaften“ Zusammenhang abfinden, daß sein Sohn gerade in den Marmorbrüchen von Carrara getötet wurde, wo doch Söhnchen Erio auf den Marmorklippen mit den Lanzenottern spielte...

So lange aber alles dies: daß Freiheit und Schicksal ein Rätsel bleibt, dunkel den Weltenimechaniker verbergend, statt ein lichtes Geheimnis des lebendigen Gottes zu werden; daß theologische Fragen brennen, aber ohne das Gebet der Frömmigkeit; daß Weltangst und Kulturschmerz auf Mittel sinnen, um die Werke des Geistes ins Unvergängliche zu sublimieren, statt daß die Bitterkeit der Stunde getrunken wird; daß das Orakel lockt und quält und nicht die Frohbotschaft freudig hellt; daß das Denken von den Vexierbildern Nigromontans beherrscht wird statt von den Gleichnissen Christi: so lange also aß cfies im Denken und Schreiben Ernst Jüngers bleibt, so lange bleibt er Häretiker, der subtilste Häretiker und der traurigste, weil heiterste Mensch. Er hat den Weg vom Übermenschen zum Menschen gefunden, und mit dem Haupte des Fürsten von Surimyra, des Adeligen, in dessen Herzen das Leiden des Volkes am heißesten brannte, steigt er in das Schiff, das ihn zur Freiheit „ohne Fülle“ Alta Planas bringt. Wird Jünger von dort zurückkommen, um für die Freiheit und Würde des Brudermenschen zu kämpfen, wird das Buch der Ironie vom Buch des Humors gefolgt werden? Man kann auf das nächste Werk Jüngers gespannt sein.

G. K. Chesterton — es wäre ebenso reizvoll, den schwarzen, mondkalbhaften Father Brown mit dem Pater Lampros zu vergleichen wie Chesterton selbst mit Jünger — hat in seinem Roman „Ball und Kreuz“ Philosophie und Religion in den Symbolen von Kugel und Kreuz gefaßt. Wo immer man bei Jünger zu lesen beginnt, da ist das Sinnbild der Kugel, da ist im Ästhetischen das Ganze, die Gestalt, die „Figur“, da ist im Ethischen die Verantwortung und die Verwobenheit ins Ganze: groß, heroisch, lastend. Das Kreuz aber ist der Schnittpunkt zweier Linien, die aus dem Unendlichen kommend sich hic et nunc schneiden; und die Verantwortung ist größer, umfassender und — tröstlicher. Christi größte und verborgenste Eigenschaft, das hat uns Chesterton klar gemacht, ist seine Fröhlichkeit: sie ist der äußerste Gegensatz zur aristokratisch-schwermütigen, maskenhaften Heiterkeit Jüngers. Wir sind in der Zeit der Scheidung der Geister, und wer den Weg zum Brudermenschen findet und wer die Bibel liest, der müßte den Weg zum Vatergott gehen und zu Gottes Sohn, der als wahrer Bruder und Mensch in dieser Welt lebte — hic et nunc, nicht als Symbol und Arabeske der Ewigkeit.

Ernst Jünger, der Mann mit dem „Pour le merite“, der Mann, der bei den Maure-taniern um ehrenvollen Abschied einkam, der Mann, der den Weg zum Menschen fand, mag seinen Weg der tragischen Ziellosigkeit weitergehen. Aber er wird einmal zu dem Kreuzweg kommen, an dem gefragt wird: „Was haltet ihr von Christus?“

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