6538327-1946_27_07.jpg
Digital In Arbeit

Wegbereiter des neuen Frankreich

19451960198020002020

Lange in seiner Heimat nicht ganz verstanden, ist Paul Claudel einer ihrer Wegbereiter geworden. In ihrer letzten Folge brachte „Die Furche“ eine Inhaltscharakteristik des Vortrages, den ein so berufener Landsmann des Dichters wie Robert Graf d'Harcourt kürzlich im Rahmen der Katholischen Akademie gehalten hatte. Hier möge eine markante Profilierung, die der französische Literaturhistoriker der Persönlichkeit Claudel: gab, in ihrer ganzen Eigenart Platz finden.

19451960198020002020

Lange in seiner Heimat nicht ganz verstanden, ist Paul Claudel einer ihrer Wegbereiter geworden. In ihrer letzten Folge brachte „Die Furche“ eine Inhaltscharakteristik des Vortrages, den ein so berufener Landsmann des Dichters wie Robert Graf d'Harcourt kürzlich im Rahmen der Katholischen Akademie gehalten hatte. Hier möge eine markante Profilierung, die der französische Literaturhistoriker der Persönlichkeit Claudel: gab, in ihrer ganzen Eigenart Platz finden.

Werbung
Werbung
Werbung

Es ist unmöglich, Claudel zu verstehen, wenn man in Claudel den Dichter und den an der (Qualität und der Regelmäßigkeit seiner Arbeit hängenden und durch diese Arbeit selbst bereicherten Beamten trennt. Ein zeitgenössischer Sehnt tstellei — Paul Morand — hat recht, wenn er schreibt, daß „das Wirtschaftliche im Leben Claudels einen ungeheuren Platz gehabt hat und hat“. Der Irrtum wäre aber noch größer, wollte man in Claudel den Schriftsteller und den Christen trennen und vorgeben, den Künstler genießen zu können, ohne den Gläubigen zu kennen oder glauben, daß man ihn auch nur vorübergehend beiseite lassen dürfte. In Wahrheit ist der Glaube die wesentliche und fundamentale Triebkraft des ganzen Claudeischen Werkes. Und es gibt kein dichterisches Werk, das mehr als dieses verlangt, in einem Stück genommen zu werden.

Jede Bemühung des Menschen geht nach Claudel darauf hinaus, den Spiegel Edens wieder zu finden, sich wieder zu entdecken, über alle Verlogenheit und Künstlichkeit unserer Zivilisation hinweg in sich die ursprünglichen Züge wieder erscheinen zu lassen, die ihm sein Schöpfer gegeben hat. „Das Drama jedes Lebens“ — hat einer der jüngeren französischen Kritiker, Louis Chaigne, sehr schön gesagt — „ist die Rückeroberung eines verlorenen Gesichts. Der Mensch vor dem Fall sah in Gott unmittelbar dieses unverlierbare Bild, das seinem Glück genügte, das sein Glücksbedürfnis überreich befriedigte. Jedes Menschenleben muß fortan im Gedanken an dieses Antlitz gelebt werden, das Liebe, Güte, Reinheit, Stärke, Rechtschaffenheit ist. Zeichen dieses . Gesichts, zerstreute Züge, können hienieden wenigstens im Zustand des Symbols erkannt werden. Der Dichter ist der Aufspürer dieser Spuren. Sie sind nicht vereinzelt da. Sie sind mit dem Leben verwoben.“

Die ursprünglichen Abdrücke in ihrer Frische wieder finden, die Quellen des Kindheitsalters der Welt wieder öffnen — das ist die Bemühung, zu der Claudel uns einlädt, „öffnet die Augen“ — sagt er uns in der „Art Poetique“ — „die Welt ist noch unversehrt, ist noch jungfräulich wie am ersten Tage, frisch wie die Milch.“ Aber der Dichter darf sich nicht damit begnügen, in seinen Augen die Schönheit der Welt zu empfangen, noch damit, ihre Herrlichkeit zu preisen. Er darf sich nicht damit begnügen, die Rose zu besingen. Er muß weiter gehen und den Anteil aufweisen, der der Pracht der Blume in der Harmonie eines geschaffenen Universums zukommt. Alle Schönheit hat apologetischen Charakter. Claudel nimmt den Gedanken Chateau-briands aus dem „Genie du Christianisme“ wieder auf, aber hebt ihn zugleich auf eine höhere Ebene. Des Dichters eigentliches Amt besteht in seinen Augen darin, das offenbar zu machen, was er „die Intention des Rühmens“ in der Kreatur genannt hat.

Und ist es nicht das, was wir in der unvergleichlichen Herrlichkeit dieses kosmischen Hymnus lesen, den wir den „Cinque grandes Odes“ entnehmen:

„O, ganz und ungeteiltes Credo der sichtbaren und der unsichtbaren Dinge, mit einem katholischen Herzen nehme ich dich auf!

Wohin ich das Haupt wende, erblicke ich die ungeheure Oktave der Schöpfung!

Die Welt tut sich auf und so weit die Spanne auch reicht, mein Blick durchquert sie von einem Ende zum anderen.

Ich habe das Heer der Himmel gezählt und ihren Bestand aufgenommen.

Von den großen Gestalten angefangen, die sich über den Greis Ozean neigen,

bis zum seltensten, in den tiefsten Abgrund verschlungenen Feuer,

und auch den dunkelblauen Pazifik, auf dem der Walfischfanger das Spritzloch eines Wals wie einen weißen Flaum belauert. ..

Ich grüße dich, o Welt, die du so freigebig bist für meine Augen!

Ich verstehe, wodurch du da bist;

weil der Ewige mit dir ist und weil da, wo das Geschöpf ist, der Schöpfer dich nicht verlassen hat.“

Alle Dichtung ist Gebet. In einem der jüngsten Gedichte vergleicht Claudel sein Leben einem Fluß und diesen Fluß der Weisheit. Zum Schluß wendet er sich mit folgendem Hymnus an den Schöpfer:

„Sei es der Wald oder das Meer oder der Nebel gar und der verschiedene Anblick der Gegend.

Alles wird in der Sdiau deines Antlitzes erkennbar und golden.“

Wir sagten, in den Augen Claudels ist der Dichter das geweihte Wesen, das vor Gott die Opferfeier begeht, das Gott die Schönheit seiner Schöpfung darbringt, die Herrlichkeit der Erde. Dieses Amt des Dichter-Priesters scheint niemand mit mehr Eindringlichkeit analysiert und mit mehr Glück im Ausdruck definiert zu haben als einer seiner jüngsten Kommentatoren, A. Blanchet, im Vorwort zu seiner Auswahl Claudelscher Texte:

„Der Dichter verleiht der ganzen Schöpfung, der er solidarisch verbunden ist, eine Stimme- Für diese ganze versunkene Masse, aus der er hervorragt, für alle diese stummen Wesen, die ihn beauftragen, ist er vor Gott ,der Opferer und der Zeuge'. In dem berechneten Netz der Dinge fühlt er sich ebenso unentbehrlich wie ein Stern es in seiner Konstellation sein kann. An dem genauen Punkt, den er in Raum und Zeit einnimmt und den er definiert, erwartet ihn ein Amt; ein Drama spielt sich dort ab, wo seine Rolle festgelegt ist Im Weltkonzert soll, er seine Partie spielen. In diesem Dienst bei Tag und bei Nacht, in der ,unaüsschöpfbaren lebendigen Feier', hat er seinen Teil, der ihm nicht genommen werden kann. Daher dieser ihm eigene Tonfall, dieses ,Versmaß', das nur ihm eigen ist, in dem der Puls der Schöpfung schlägt und sich einschreibt dieses köstliche ,Maß' eines Atems, diese wesentliche Silbenmessung, die seinem Leben wie seiner Sprache den Rhythmus verleiht... Und sein Zeugnis ist nicht weniger unersetzbar. Auch er, und besser als die gehorsamen und stimmlosen Myriaden, ,erzählt des Himmlischen Ehre'.“

Es sei auch an die scharfsinnigen Analysen erinnert, die Ernst Robert C u r t i u s 1914 in seinen Vorlesungen und dann 1918 in seinen „Literarischen Wegbereitern des neuen Frankreich“ vortrug. Darin sagt er von Claudel: „Er wirkt unter den modernen Franzosen als der einzige ursprüngliche Dichter; ein echter und tiefer Dichter, für den die Dinge neu sind wie am ersten Tag.“ Und weiter: „Der Dichter ist Lautwerdung der göttlichen Stimme, ist Sprachorgan des Geistes ... Völlig abgewiesen ist durch ihn die moderne subjektivistische Sehart, für die der Dichter der Künder der zufälligen Erregungszustände seines Ich ist. Claudels Auffassung des Dichters ist mythisch. Wenn der Dichter, funktionell betrachtet, das Organ des göttlichen Geistes ist, so kann die Substanz der Dichtung nur die Beschreibung, Ausrufung, Deutung der göttlichen Weltschöpfung sein. Der Dichter deutet die Welt, in ihm deutet sich die Welt.“ Und ferner: „ ... Der Mensch hat für Claudel nur so viel Wirklichkeit und Wert, als er durch Gott und für Gott existiert. Seinen höchsten Wert verwirE-licht der Mensch im Bekennen und Anerkennen, daß er Gott gehört, und daß er sich ihm zurückgeben muß... Sich Gott weihen, sich ihm darbringen im Arbeiten, im Leiden, im Sterben: das muß dem Menschen oberstes Gesetz und letztes Glück sein ... Der Claudeische Mensch ist hineingeboren in einen gesetzlich geordneten, um Gott als Mittelpunkt geordneten Kosmos.“

Curtius Hat sein Buch im November 1918 abgeschlossen. In jener Zeit hatte Claudel seinen Durchbruch in Frankreich noch nicht endgültig vollzogen. Für die ungeheure Mehrzahl der Franzosen war Claudel damals noch ein Schriftsteller für einen kleinen Kreis, ein esoterischer Autor. Es verdient festgehalten zu werden, daß Claudel in Deutschland früher durchgedrungen ist als in Frankreich.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung