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WEIHNACHTEN IN DER WÜSTE

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Ägypten, am Heiligen Abend 1945

Weihnachten hat heuer für mich eine ganz andere Bedeutung als in allen früheren Jahren. Diese Bedeutung ist bestimmt durch den Ort, an dem ich mich befinde, und durch das abermalige Fernsein von euch. Angesichts des Zusammenbruchs aller Hoffnungen, die wir beide in das Weih- nachtsifest 1945 gesetzt hatten, wirst du es mir nicht verübeln, weinn meine Pestigedanken flügellahm sind in dieser Stunde, die ums so arm am jener Gemeinschaft findet, die wir uns für das Ende des Krieges erhofften.

Ich weiß dich nicht einmal in der Gewißheit meiner Existenz, aber selbst wenn du auf irgendwelchen Wegen erfahren haben solltest, daß ich hier in Ägypten bin, dann ist doch eine öde Leere in deinem Herzen, das wohl bis zur letzten Stunde gehofft hat, vielleicht sogar -an ein Wunder glaubte, an das Wunder meiner Heimkehr in den letzten Tagen vor Weihnachten. Und nun, da alle Hoffnungen zerronnen sind und aller: Wunderglaube getäuscht ist, weiß' ich mir keinen Gedanken; der heute Segen in dein Herz1 gießen könnte, wenigstens keinen Gedanken, in dam ein kleines persönliches Glück für dich und mich beschlossen läge. Sie sind ale in dieser Stunde zuschanden geworden.

Aber nun, da altes von uns abgefallen ist, was unsere Gemeinschaft, unsere Liebe, unsere Familie, unsere Kinder betrifft, da du allein bist, in deinem Herzen allein trotz Kimderjuibel und Weihmacbtisglamz, und ich allein in einer Wüste, allein inmitten aller Kameraden, nun mögen uns die großen Gedanken ergreifen, die in der Menschen weit sind. Wdhl einer der größten von ihnen ist die Erlösung der Menschheit durch das Kind von Bethlehem. Fast möchte ich sagen, wenn ich mich auf diesen Gedanken besinne: Das Schicksal hat es mir vergönnt, Weihnachten 1945 in Ägypten zu feiern. Daß ich mit dieser Empfindung nicht allein stehe, daß sie vielmehr die Zuflucht all der Tausenden geworden ist, die Weihnachten 1945 in der Wüste feiern mußten, hat mir das nachstehende Gedicht gezeigt, das in unserer Lagerzeitung veröffentlicht wurde:

Es herbstet, es fallen keine Flocken,

Es trägt die Erde hier kein winterlich Gewand;

Ich höre nicht des Festes frohe Glocken,

Bin fern der Heimat und der Väter Land.

Und doch will Weihnacht bei uns allen werden!

So nah war Bethlehem mir ja noch nie!

Ich scheute nicht .dies Wüstenwegs Beschwerden,

Ging zu dam Kind und beugte meine Knie.

Oh, stand’ das Tor zur Krippe mir j-ezt offen!

Voll Trauer ist das Herz, die Hand ist leer,

So steh’ ich da und sah’ zultiefst betroffen Nur -durch den strengen Zaun die Wundermär.

Doch willst zur Knechtschaft Du die Freiheit legen,

Bau-st naben meiner Not die Hilfe -am,

Hast -mir zuilleb und meinetwegen Mir dein Erbarmen also 'kundgetan.

Drum seh’ ich nicht der Pessöl lähmend Zeichen

Ich bin daheim, -die Meinen um mich her,

Ich kann -im Geist die H-and ja -allen redeben,

Als ob da keine Trennungswand mehr war’.

Mit ihnen ikn-i-e d-ch istffl! -an Deiner Kripp’n,

Du -machst mit Deinem Schein mein Herze froh,

Es preisen Dich voll Lob und Dank die Lippen-:

Nie sah der Weihnacht Glanz und Glück -ich- so!

Und kommt -der Tag, da mir das Tor -Steht offen,

So-will ich still zu Deiner Krippe gehn,

Du Bruder' meiner Anmut, sieh mein Hoffen,

Laß mich än Freiheit dann in Deinem Dienste stehn.

-Solange -solche Gesinnungen in der Welt stehen, ist für uns das Weihnachtswunder noch immer nicht verloren: Dieses Wunder der Liebe, das nicht in Glanz -und Pracht einlher- schneitet, sondern sich in Not und Armut gibt und seine große Gültigkeit wieder -für Not und Armut -hat. Wir sind bei-de arm beute, du und ich und unsere Kinder, und- so dürfen Wir glauben, diesmal stärker als sonst glauben, daß -das

Kind von Bethlehem auch für uns zur Welt gekommen ist, daß ein Strahl des Lichtes, durch das es die Welt erhellt, auch unser Herz erwärmen soll und daß wir in unserer Armut mehr als sonst der Liebe eines Größeren teilhaftig sind, die Zeit und Ewigkeit umschließt. Vor dieser Liebe verstummen all meine Klagen, sie ist größer als altes, und meine heutige Not stöbt in keinem Verhältnis zu dem, was in Bethlehem geschehen ist. Ist es darum nicht eher ein Segen als ein Verhängnis, wenn ich einmal im Leben den Heiligen Abend unter denselben Sternen begehe, die vor zwei Jahrtausenden auch über der Krippe von Bethlehem leuchteten? Darum äst es trotz allem eine gnadenvolle stille Heilige Nacht., und aus einem so stillen Herzen, einem so friedlichen und heute auch von göttlicher Liebe erhellten, wünsche ich euch dieselbe gnaden volle Weihnachtszeit!

• •; "- .!-j.JL/. Am Bittersee, 25, Dezember 1945

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Nufl, , a der Heilige Abend, vorbei isf,. kann auch die Prosa wieder in ihre Rechte treten. Die Angelegenheit "hat tatsächlich etwas van der armseligen Atmosphäre eines Stalles gehabt. Die Lagerverwaltung stellite uns einige Kerzen zur Verfügung, die wir am Abend entzündeten, um uns einen Chriistbaum vorzutäoscben. Wir saßen rund um diese Kerzen herum, und jeder stellte sich Insgeheim vor, wie sich die Bescherung zu Hause abspielen würde. Ein M/itgefiaogener schenkte mit von seinem kargen Verdienst zehn Zigaretten da ist hier der Erlös für einen Tag Arbeit,

Eine Bescherung gaib es freilich auch hier — die Engländer bedachten uns mit drei Orangen und einigem Backwerk. Außerdem war der Tee an diesem Abend gezuckert Dafür batten sie für den nächsten, den heutigen Tag, ein großartiges Geschenk parat: Wir durften zum erstenmal unsere Cages verlassen und auf der Lagerstraße Spazierengehen! Ein billiges Weihnachtsgeschenk. Wir haben es jedoch nicht verachtet, weil es uns endlich Gelegenheit bot, mit Bekannten in anderen Cages in Verbindung zu treten. Es bedeutete für uns außerdem ein Stück Freiheit, uns außerhalb des Cages bewe-

gen izu können. Ja. recht begehen. Wair dieses' billigste

Geschenk für uns das wertvollste. Da alles relativ ist, heißt es hier durchaus etwas, wenn ein Kriegsgefangener den Fuß über die Schwölle seines Käfigs setzen darf, sei es auch nur, um auf einer Lagerstnaße Spazierengehen zu können.

Am Bittersee, 1. Jänner 1946

Es gab keine Silvesterfeier. Das Jahr 1945, jetzt vorbei, das erste Jahr des Friedens und für viele Hundertaiusende, die das Kriegsende zu Gefangenen gemacht hat, ein Jahr unentwegter Hoffnungen, ist für uns zu Ende gegangen, Ohne diese Hoffnungen erfüllt zu haben. Das ist sein wesentlichstes Ergebnis., das keine Feier verdient. Wohl aber l-a-cbt uns das neue Jahr wie ein pausbäckiges Kind an, in dessen kleine Händchen wir nun von neuem alle unsere Hoffnungen legen: Das Jahr 1946, davon sind wir felsenfest überzeugt, wird das Jahr unserer Heimkehr sein!

Aus dem Tagebuch eines Kriegsgefangenen, POW 332/624. Erschienen im

Herold-Verlag, Wien-München.

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