6684138-1962_07_16.jpg
Digital In Arbeit

„Weißes Haus“ von Hintermoos

Werbung
Werbung
Werbung

FÜR DEN UNEINGEWEIHTEN BESUCHER ist es gar nicht so einfach, in das Innere des langgestreckten Gebäudes vorzustoßen. Nehmen wir an, es handelt sich um einen klaren Wintermorgen: Im Vorhof herrscht völlige Stille, die durch große Glasfenster sichtbare Eintrittshalle ist menschenleer. Die Fassade wirkt kalt und unpersönlich — und alle Türen sind verschlossen. Der Besucher fühlt sich also zunächst etwas verwirrt und ratlos. Nachdem er aber auf der Suche nach einer Eintrittsmöglichkeit bereits das ganze Haus umwandert hat, steigt er vielleicht einige Treppen tiefer, dem Wegweiser „zum Skistall“ folgend. Und hier platzt nun weiß und deutlich ein Schild aus braunem Türrahmen: „Das Betreten des Hauses ist nur Heimgästen gestattet.“ Doch unser Besucher läßt sich jetzt nicht mehr entmutigen — er drückt auf die Klinke —, und was er kaum noch für möglich gehalten hat, geschieht: die Tür öffnet sich. Ist er aber erst einmal im Inneren des Gebäudes und von der Frau des Verwalters — trotz Verbotsschild — willkommen geheißen, wird er keinen Augenblick lang seine Bemühungen bereuen. Denn das Bundessportheim Hintermoos ist eines der modernsten Heime dieser Art in Europa.

Und nun folgen auch sämtliche Erklärungen,

*

DIE STILLLE? Ja, sicher - am Vormittag befinden sich immer alle Heimgäste auf den Skihängen. Sportliche Ertüchtigung ist eine der wichtigsten Grundregeln dieses Hauses. Da gibt es

kein Längerliegenbleiben oder Müdesein. Um 7 Uhr wird geweckt — um 8 Uhr ist Frühstück. Dann Schuhe an — Skier raus — los geht's!

Und die verschlossenen Türen? Sie haben ihren ganz besonderen, sozusagen wirtschaftlichen Grund. Denn um die Böden zu schonen, muß jeder Gast bei Betreten des Hauses einen einzigen, ganz bestimmten Weg nehmen. Denjenigen durch den Schuhraum nämlich, der an den „Skistall“ anschließt. Und dort hat er nun seine Skischuhe mit den säuberlich auf Holzregalen aneinandergereihten Hausschuhen zu vertauschen.

Ordnung und Sauberkeit — das sind zwei weitere Grundregeln des Heims.

Auch das weiße Verbotsschild findet eine vernünftige Erklärung: Schutz vor Diebstahl. Es gibt nämlich keine Schlüssel im Inneren des Hauses. Sämtliche Türen, Schränke und Laden bleiben unversperrt. Und es ist auch noch nie etwas genoritmen worden, da es sich bei dem Schuldigen auf diese Art und Weise ja nur um einen der Heimgäste handeln könnte, der bei einer allgemeinen Razzia leicht zu finden wäre.

DAS BUNDESSPORTHEIM HINTERMOOS besteht aus zwei, durch eine Eintrittshalle miteinander verbunden Trakten, von denen der eine im Jahre 1955, der andere 1961 von der Bundessportverwaltung erbaut worden ist. Im Stiegenhaus des älteren Traktes hängt die Photographie von zwei 300 Jahre alten Bauernhäusern, die den Grundstock des heutigen Unter-

nehmens bildeten. Was aber unter der 15 jährigen Leitung des Verwalters Karl Matz aus dieser primitiven Unterkunft mit 80 Matratzenlagern entstanden ist. kann sich neben jedem modernst eingerichteten Hotel sehen lassen: die sauberen Zwei- oder Vierbettzimmer mit Balkon, Lautsprecheranlage und fließendem Kalt- und Warmwasser. Der geräumige Speisesaal mit den riesigen Fenstern, der durch Herablassen einer Filmleinwand in einen KinoTaum verwandelt werden kann. Die Vorhalle mit gebeiztem Fußboden und einem kleinen Altar, in der jeden Sonntag von einem eigens hierzu bestellten Pfarrer die Messe gelesen wird. Das Frühstückszimmer, das Musikzimmer, die Bade- und Duschräume. Und das alles für eine Vollpension von 34 S für Studenten und 39 S für Altakademiker. Da vertauscht jeder gern viermal am Tag seine Skischuhe mit den Hausschuhen. Er macht auch selbst sein Bett und hält das Zimmer sauber.

Es erhebt sich natürlich die Frage, wie ein Betrieb auf diese Art und Weise, ohne Subventionen zu erhalten, noch aktiv bleiben kann. Sie ist nicht schwer zu beantworten. Erstens sind das ganze Jahr hindurch fast alle Betten besetzt. (Eine Ausnahme bildet der Monat Mai, in dem das Personal Urlaub erhält.) Im Winter ausschließlich von Studenten und Altakademikern — im Sommer werden hier die verschiedensten Tagungen, Lehrlingswochen, Landschulwochen, Hochschulwochen und dergleichen abgehalten. Das gute Klettergebiet der Umgebung macht das Heim zu einem Stützpunkt für Bergtouren, und in dei heißen Zeit sorgt ein Schwimmbad füi angenehme Abkühlung. Zweitens besteht das gesamte Personal aus nur zehn • Personen. Eine sehr geringe Zahl, wenn man die Größe des Gebäudes in Erwägung zieht. Sie ist auch nur durch die modernen technischen Einrichtungen möglich: die vollautomatische Ölheizung, die Geschirrspülmaschine und den Aufzug, der die Gerichte von der Küche in den Speisesaal befördert.

*

ABER NOCH ETWAS WAR NOTWENDIG, um den Erfolg zu sichern: eine gute Portion Idealismus I „Ich wollte damit etwas Besonderes schaffen“, erklärt Prof. Rudolf Otepka, Direktor der Universitätsturnanstalt und Initiator des ganzen Unternehmens. „Körperliche Ertüchtigung der jungen Menschen, verbunden mit dem Bestreben, die Vertreter sämtlicher Studienrichtungen der österreichischen Universitäten zusammenzubringen, um der Einseitigkeit des Universitätsbetriebes entgegenzuwirken. Da sitzt nun der Jurist neben dem Mediziner, der Techniker hat sein Bett neben dem des Philosophen, und der Chemiker zieht am selben Hang seine Schwünge

wie der Kunststudent. Sie alle zusammen sollen eine große Familie bilden.“

Daß dies tatsächlich der Fall ist — davon kann sich der Besucher selbst überzeugen. Lassen wir ihn also um die Mittagszeit — etwa kurz vor 12 Uhr — anwesend sein.

UND DA KOMMEN AUCH SCHON DIE ERSTEN SKIFAHRER den Hang heruntergewedelt. Kleine schwarze Punkte, die immer größer werden, durch den Hohlweg sausen und durch das Tor in den Vorhof — halt! Im Nu füllt sich der Platz vor dem Haus mit Lachen, Rufen und ausgelassenen Schneeballschlachten. Rot, gelb, blau — zu einer prächtigen Farbenskala aneinandergereiht stehen die Skier unter den Torbögen und warten, bis es zwei Uhr ist und sie abermals von den jeweiligen Besitzern angeschnallt werden. Vorläufig aber sitzen diese im Speisesaal mit den buntbedruckten Vorhängen und lassen sich's schmecken. Teller klirren — Speisen werden gereicht — und die

Gesichter glühen von Sonne, Schnee und kaltem Fahrtwind. Im anschließenden, kleineren Raum sitzt der Verwalter, der mit den zehn Skilehrern auch als Kursleiter tätig ist. Eben erzählt er von den primitiven Anfängen, als es in Hintermoos noch keine Lifte gab: „Ich Heß also einen Schlitten für ungefähr zehn Personen bauen und verband diesen durch ein Seil mit dem Motor am oberen Ende des Hanges. Auf ein bestimmtes Signal von unten wurde der Motor eingeschaltet, und der Schlitten setzte sich in Bewegung. Damals war man i och bescheiden. Aber heute, in unserem liftverseuchten Zeitalter, sind manchem Skifahrer sogar die drei zur Verfügung stehenden Lifte zuwenig.“ Dann werden zwischen Suppe und Hauptmahlzeit die Tagesprobleme besprochen, Aufträge gegeben, Weisungen erteilt. Schließlich kommt noch Herr Dr. M., Altakademiker und seit zehn Jahren treuer Gast

des Hauses, samt Gattin, um den Mokka mitzutrinken. Ebenso Prof. G. und Kommerzialrat D. Ein Student will eine Auskunft haben — der Lauf-bursch eine weitere. Und da ist es auch schon zwei Uhr. Unten im Vorhof warten die Schüler auf ihren jeweiligen Skilehrer. In geordneten Reihen stehen sie vor dem roten, grünen oder braunen Schildchen, das seinen Namen trägt. Ski Heil! Und abermals wird das Haus still und leer. — Um 16 Uhr, wenn es langsam dunkel wird, füllen sich wieder die Räume. Nun kann sich jeder nach Belieben die Zeit vertreiben. Im Turnsaal fliegen die Bälle — keine Angst, die Fenster sind unzerbrechlich. Es spielen die Übereifrigen Basketball — diejenigen, die auch jetzt noch keine Müdigkeit kennen.

Im Tischtennisraum geht es schon etwas gemäßigter zu — da fliegen nur Bällchen von einem Partner zum anderen.

Die ganz Bequemen aber erleben am Fernsehschirm die Sendung „Wer ist

wer?“ und die allerletzte Wochenschau.

Schachspiel und Kartenspiele finden besonders bei den älteren Semestern ihre Anhänger. Und nach dem Abendessen ist meist ffSr irgendein Programm gesorgt. Es werden Vorträge gehalten, Filme vorgeführt oder Schallplatten aus der reichhaltigen Sammlung von Frau Matz durch Lautsprecher in die einzelnen Zimmer übertragen.

, ■''' v;.%“*^r.Vv,,^.^|:

UM 22 UHR IST HEIMRUHE. Und da gibt es keinen Pardon. Weil man doch morgen um 7 Uhr wieder geweckt wird — und zwar durch denselben Lautsprecher, dem eben Beet hovens Neunte oder Lehars Operettenmelodien entströmten. Nur wird es dann weniger angenehm sein. Und von solchen Erwägungen getrieben beschließt man, jetzt nichts mehr als müde zu sein — und zu schlafen!

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung