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In seinem Buch "Böhmen böhmisch" nähert sich Peter Demetz der tschechischen Frage auch mit literarischer Brillanz.

Böhmen böhmisch: Das will heißen nicht tschechisch, nicht deutsch, nicht jüdisch, sondern all dies zusammen - haben Tschechen, Deutsche und Juden doch jahrhundertelang an der Moldau in Spannung und Eintracht gelebt. Es bedeutet aber auch nicht, wie sich aus diesem Titel des Buches von Peter Demetz kurzsichtig schließen ließe, ein nostalgisches Fortschreiben des durch die Geschichte obsolet gewordenen Landespatriotismus. Es bedeutet vielmehr den Versuch, der Geschichte und ihren Akteuren gerecht zu werden.

In der Einleitung zum zentralen Essay "Walter Benjamin als Leser Adalbert Stifters" zieht der Literaturwissenschaftler Peter Demetz gegen die "Generalstände der Kritiker und Leser" zu Felde, die "in permanenter Tagung gegen die Elite der Autoren" begriffen seien, und verteidigt "das Besondere, das der Autor selbst in seinen Text gelegt haben mag", gegen die "wachsende Skepsis", "den Text eines Schriftstellers in seinem Sinn zu verstehen". Diese konservative Grundhaltung nimmt Demetz nicht nur bei der Lektüre von Dichtungen, sondern auch in der Betrachtung gesellschaftlicher Phänomene wie etwa des Nationalismus ein.

Fairness über alles

Und der Ansatz erweist sich als überaus produktiv und keinesfalls rückwärts gewandt. Gerade weil Demetz immer ganz genau nachfragt, wie etwas tatsächlich gewesen sei, interessiert er sich auch dafür, wie mit der Geschichte später umgegangen wird. Geschichtsklitterungen, vor allem Unterschlagungen legt er unbestechlich bloß, ist aber selbst dann noch um Fairness bemüht, wo es für ihn selber nahe läge, schwarzweiß zu malen. Das erweist sich insbesondere im Essay über das Verhältnis von Tschechen und Juden am Beispiel Siegfried Kappers, des ersten jüdischen Lyrikers in tschechischer Sprache, den Karel Havl\0xED C7cek journalistisch hinrichtete und dem Jan Neruda einen hymnischen, im Hinblick auf Kappers Judentum aber ambivalenten Nachruf widmete.

Als Sohn einer in Theresienstadt ermordeten Jüdin mit tschechischem Hintergrund und eines deutschen Vaters ladinischer Abstammung ist Peter Demetz in beiden alten Landessprachen zu Hause und verweigert sich der Ausschließlichkeit einer einzigen Nationalität. In einer eindringlichen Gegenüberstellung des Sprachreformers Josef Jungmann und des Philosophen Bernard Bolzano ergreift er eindeutig Partei für Bolzano, der den Menschen als Bürger und nicht als Volksgenossen sieht. Dabei arbeitet er fein heraus, dass der Deutsche Bolzano die Gleichberechtigung des Tschechischen mit keinesfalls geringerem Nachdruck forderte als der Tscheche Jungmann.

Die Kombination alteuropäischer Bildung mit amerikanischer Unbefangenheit - der Autor lehrte jahrzehntelang an der Yale University - tut das Ihre dazu, die zehn in Böhmen böhmisch vorgelegten, mit Ausnahme des Benjamin-Stifter-Beitrags allesamt nach der Wende entstandenen Essays zu einem intellektuellen Hochgenuss zu machen. Anders als in Prag in Schwarz und Gold, wo Demetz chronologisch vorging, greift er hier einzelne Themen heraus und bringt auch persönliche Erinnerungen ein, etwa an Johannes Urzidil oder an "melancholisch-pikareske Buchhandelsabenteuer" in den Kriegsjahren. Über Prag von 1939 bis 1945 soll demnächst ein weiteres Buch des mittlerweile 84-jährigen Autors erscheinen.

Nation als Frage

Es sei für die Tschechen charakteristisch, dass sie ihre Nation nicht affirmativ, sondern als Frage präsentieren; sogar die Landeshymne frage: "Wo ist meine Heimat?", stellt Peter Demetz in einem seiner Essays fest. Wie wohl die tschechische Übersetzung heißen soll, die sich Karl Schwarzenberg im Vorwort wünscht, gibt es doch im Tschechischen für "tschechisch" und "böhmisch" nur ein einziges Wort, cesky? Auch darüber möchte der süchtig gewordene Rezensent noch einen Essay von Peter Demetz lesen.

Böhmen böhmisch

Essays von Peter Demetz

Paul Zsolnay Verlag, Wien 2006

176 Seiten, geb., e 20,50

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